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„Bis unser System kollabiert“

Der Chemiker und Buchautor Ugo Bardi spricht mit ORF.at über die historische Bedeutung des ersten Berichts an den Club of Rome, über Ressourcenverbrauch und die Geißel des Wirtschaftswachstums.

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ORF.at: Welche politische Wirkung hatte der Club of Rome zur Zeit seiner Gründung?

Ugo Bardi: Der Club of Rome wurde im Jahr 1968 gegründet. Im Jahr 1972 wurde dann der erste Bericht mit dem Titel „Die Grenzen des Wachstums“ veröffentlicht. Darin wurde erklärt, welche Zukunftsszenarien bei der zu erwartenden Bevölkerungsentwicklung, bei der Produktion, beim Konsum sowie dem daraus resultierenden Ressourcenverbrauch möglich seien. Die Wissenschaftler warnten davor, dass gegen Mitte des 21. Jahrhunderts die Umweltzerstörung einen kritischen Punkt überschreiten und die notwendigen Ressourcen knapp werden könnten.

Der Bericht schlug unglaubliche Wellen, er wurde in vielen Sprachen gelesen und verbreitete sich „viral“, wie man heute sagen würde. Wenn sich heute etwas im Internet viral verbreitet, hält die Aufmerksamkeit vielleicht ein paar Tage oder Wochen an. Doch die Ergebnisse des Berichts über die „Grenzen des Wachstums“ prägten die politische Diskussion für Jahrzehnte.

ORF.at: Was erwarteten Sie sich damals?

Bardi: Der Bericht hätte der erste Schritt sein können, um die gesellschaftlichen Prozesse im globalen Maßstab sinnvoll zu gestalten. Die öffentliche Verwaltung hat ja die Aufgabe, einen gesellschaftlichen Ausgleich zu schaffen: Die Armen zu unterstützen, die Reichen zu besteuern, öffentliche Dienstleistungen wie Krankenhäuser, Schulen etc. bereitzustellen. All das hätte im globalen Maßstab in Angriff genommen werden müssen, bei gleichzeitiger Schonung der Ressourcen.

Viele waren in den 1970er Jahren von den Modellen des Berichts so begeistert, dass sie überzeugt waren, dass jemand die Ergebnisse aufgreifen und politische Schlüsse daraus ziehen würde. Leider ist das nicht passiert. Vielfach passierte sogar das Gegenteil von dem, was wir erhofft hatten.

ORF.at: Woran lag das Ihrer Meinung nach?

Bardi: Es ist schwer, einzuschätzen, wodurch gewisse politische Entwicklungen entstanden sind. Seit über 30 Jahren gibt es einen Fokus auf Privatisierung und Liberalisierung – die Wirtschaft soll sich selbst optimieren. Nicht anders verhält es sich mit dem Begriff des Wirtschaftswachstums. Diese Begriffe werden heute nicht infrage gestellt, sie haben einen fast religiösen Status. Es ist sehr beunruhigend, dass unser gesamtes Wirtschaftssystem nach einer einzigen Komponente beurteilt wird, nämlich dem Bruttoinlandsprodukt.

Wenn es hoch ist, scheint alles in Ordnung, wenn nicht, dann ist Feuer am Dach. Natürlich gibt es reale Hintergründe für dieses Denken: Wenn die Wirtschaft aufhört zu wachsen, würden sich in der Gesellschaft, so wie sie jetzt organisiert ist, viele Dinge radikal verändern – für viele Menschen nicht zum Besseren. Deshalb brauchen wir tiefergehende Lösungen.

ORF.at: Welche konkreten Vorschläge an die Politik machte der Club of Rome damals, welche macht er heute?

Bardi: Der Club of Rome stritt erbittert über verschiedene Themen: Aurelio Peccei, der erste Präsident des Club of Rome, vertrat den Standpunkt, dass der Club nicht generell gegen Wirtschaftswachstum eingestellt sein dürfe.

Andere argumentierten, dass nicht alle Menschen auf der Erde in gleicher Weise für den globalen Ressourcenverbrauch verantwortlich gemacht werden können - Von einer indischen Bäuerin dürfe man deshalb nicht das gleiche verlangen wie von einem mittelständischen Europäer. Es bestand also keine Einigkeit darüber, was zu tun ist, und selbst heute gibt es im Club of Rome diese Auseinandersetzung.

ORF.at: Was ist denn Ihre Position?

Bardi: Ich persönlich weiß nicht, wie das Problem des globalen Ressourcenverbrauchs zu lösen ist. Es ist sehr komplex. Wir müssen einen Weg finden, doch die Veränderungen werden so groß sein müssen, dass ich nicht sagen kann, wie das bewältigt werden kann, und vor allem wer es in die Wege leiten soll! Als die Arbeit des Club of Rome in den frühen 1970er Jahren begann, waren die Möglichkeiten, die Wirtschaft zu bremsen, noch viel größer. Heute ist das ungleich schwieriger.

Vom Standpunkt des Ressourcenverbrauchs wissen wir, dass es unmöglich ist, alle Menschen auf den europäischen Standard zu hieven. Gleichzeitig wollen die Europäer nicht an ihrem Lebensstandard rütteln. Man sagt den Leuten, sie sollen für die Aufrechterhaltung ihres sogenannten Wohlstands immer weiter arbeiten ... Wir rennen und rennen, bis irgendwann unser System kollabiert.