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Die Wurzeln eines Sprachbilds

Mit welchen Sprachbildern Politiker sich selbst und ihr Handeln beschreiben, sagt auch einiges über die aktuelle Rolle der Politik in der Gesellschaft aus. Derzeit sieht es nach eine Renaissance des Bildes des Politikers als Diener des Staates aus. Mit „Demut“ nimmt man Wahlergebnisse zur Kenntnis, und mit „Demut“ will man regieren - freilich nicht ohne Grund.

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Sprachlich und konzeptionell lässt sich der Begriff „Demut“ von zwei Wurzeln herleiten. Er entstand aus dem althochdeutschen Wort „diomuoti“, das sich mit „dienstwillige Gesinnung“ übersetzen lässt, also auf eine dienende Rolle abzielt. Der zweite Strang ist die Theologie, hier übersetzte Martin Luther den lateinischen Begriff „humilitas“ mit Demut.

Von der Tugend zur „knechtischen Unterwürfigkeit“

In der Theologie und Philosophie durchlief der Begriff über Platon, Augustinus und viele andere über die Jahrhunderte etliche Bedeutungen und Interpretationen. „Demut“ als christliche Tugend lässt sich zunächst als Ehrfurcht vor Gott und der Welt deuten. In einer strengeren christlichen Lesart galt sie auch als eine Art Unterwürfigkeit gegenüber dem Schöpfer, ähnlich dem Verhältnis des Knechts zum Herrn.

Diese Form der Unterwerfung wurde wiederum in der religionskritischen Philosophie als gedankenloser Gehorsam kritisiert: „Demut ist eine Trauer, die daraus entspringt, dass der Mensch seine Ohnmacht oder Schwachheit betrachtet“, schrieb etwa Spinoza. Und Friedrich Nietzsche prangerte in „Zur Genealogie der Moral“ die „knechtische Unterwürfigkeit“ und die „ängstliche Niedrigkeit“ der Vorstellung von Demut an.

Viel Demut in der ÖVP?

In den allgemeinen Sprachgebrauch trat das Wort Demut dann als eine Beschreibung der richtigen - der nicht überhöhten - Selbsteinschätzung. Genau dort landete es auch im politischen Diskurs - und erlebt seit einiger Zeit eine Hochkonjunktur. Vor allem von Wahlsieger ÖVP war das Wort Demut zuletzt sehr oft zu hören: „Wir nehmen das Ergebnis mit sehr viel Demut zur Kenntnis“, sagte ÖVP-Generalsekretärin Elisabeth Köstinger am 15. Oktober kurz nach Veröffentlichung der ersten Ergebnisse. „Ich nehme diese Verantwortung mit großer Demut an“, sagte Parteichef Sebastian Kurz in einer ersten Stellungnahme nur wenige Minuten später.

Parole: „Demut“

Diese „ganz besonders ehrenvolle Aufgabe“ des neuen Präsidenten des ÖVP-Wirtschaftsbundes nehme er mit „Demut“ an, sagte Wirtschaftsminister Harald Mahrer nach seiner Kür Anfang November. Und Köstinger meinte dann auch nach ihrer Wahl zur Nationalratspräsidentin, sie nehme diese mit großer Demut und Dankbarkeit an. Schon im April sagte der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) bei seiner letzten Rede im Landtag, dass er den „Führerstand“ in Niederösterreich „nicht mit Wehmut, sondern mit unglaublicher Dankbarkeit, Freude und großer Demut“ verlasse. Wenige Tage später übernahm Johanna Mikl-Leitner das Amt - freilich auch „mit Demut“.

Vorbild Macron?

Einer, der international mit der Inflation des Begriffs in Verbindung gebracht werden kann, ist der französische Präsident Emmanuel Macron. Nach seinem Erfolg bei der Präsidentschaftsstichwahl gegen die Front-National-Kandidatin Marine Le Pen im Mai war es eine bescheidene und gar nicht triumphierende Siegesrede: Er werde Frankreich mit Demut und Kraft dienen, sagte Macron.

In Deutschland ist bei Politikern immer wieder von Demut die Rede - und auffälligerweise sind es wie in Österreich vor allem Konservative, die sich des Worts bedienen. Auch die britische Premierministerin Theresa May sprach im Frühsommer von Demut: Bei der vorgezogenen Parlamentswahl musste sie allerdings unerwartete Verluste hinnehmen. Sie wolle dennoch ihr Regierungsprogramm mit „Demut und Entschlossenheit“ durchsetzen.

Gegenentwurf zur Abgehobenheit

Durchforstet man die Wortmeldungen heimischer Politiker, so hatte das Wort Demut jahrelang eher Sendepause: Wenn es vorkam, waren es zumeist ÖVP-Politiker, die es verwendeten. Von Sozialdemokraten wurde es vergleichsweise selten verwendet, und wenn, wurde es eher nicht in der Stunde des Sieges, sondern der Niederlage - bei schlechten Wahlergebnissen - ausgesprochen: Demut als Folge einer Demütigung.

Dass das Wort Demut und das Bild des Politikers als Diener gerade jetzt wieder strapaziert werden, hat wohl mehrere Gründe: In Krisenzeiten - wie zuletzt in der Wirtschaftskrise - gaben sich Politiker eher als Steuermänner, die den Staat durch stürmische Zeiten lenken. Nicht zuletzt die Vertrauenskrise in der Politik und den politischen Institutionen trägt wohl dazu bei, dass allzu überhöhte, ja abgehobene Politikerimages gar nicht funktionieren. Der Politiker setzt sich stattdessen mit dem vielzitierten „kleinen Mann“ auf Augenhöhe. Demut wird zum Gegenentwurf zum Hochmut, der ja bekanntlich vor dem Fall kommt.

Der Politiker als Diener

Auch in den Wortmeldungen von Vertretern der FPÖ findet sich das Wort Demut immer wieder. Expliziter war aber die Aussage von Parteichef Heinz-Christian Strache im Wahlkampf, „den Menschen dienen“ zu wollen - und nicht den Systemen und Interessenlagen.

Das Bild des dienenden Politikers ist uralt: Schon im Markus-Evangelium heißt es, dass ein Herrscher nicht Unterdrücker, sondern Diener, ja gar der „Sklave aller“ sein solle. In der politischen Philosophie taucht das Bild immer wieder auf, in der Praxis war es Friedrich II. von Preußen, der sich als „ersten Diener des Staates“ bezeichnete. Auch sprachlich ist das Bild im deutschsprachigen Raum in der Politik verhaftet: Minister kommt aus dem Lateinischen und bedeutet nichts anderes als erster Diener.

2005 griff diese Metapher eine gewisse Angela Merkel auf: In ihren ersten Wahlkampf als deutsche Kanzlerkandidatin ging die CDU-Politikerin mit dem persönlichen Motto: „Ich will Deutschland dienen.“ Auch vor den Bundestagswahlen 2013 und 2017 wählte sie das sprachliche Motiv wieder, allerdings weit weniger häufig als 2005.

Häufung auch in ÖVP unter Schüssel

In der ÖVP gibt es freilich auch eine Tradition der Demut als Bild. Ob er Kanzler werden könne, entscheide der Wähler, und man müsse die „Demut“ haben, darauf zu warten, sagte etwa Parteichef Wolfgang Schüssel 1999 vor der Nationalratswahl. Wenige Tage nach der Wahl am 3. Oktober, bei der die ÖVP Dritte wurde, sagte Schüssel dann, man müsse auch „die Demut haben“, ein Ergebnis anzunehmen. Der ÖVP-Chef wurde allerdings - nach monatelangen erfolglosen Koalitionsgesprächen mit der SPÖ - doch Kanzler, indem er eine Koalition mit der FPÖ einging.

Die erste Auflage von Schwarz-Blau scheiterte nach nicht einmal zwei Jahren, aus der Neuwahl im November 2002 ging die ÖVP als stärkste Kraft hervor. Damals war es Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat, die sagte, man werde mit dem Ergebnis mit „großer Demut“ und „großer Dankbarkeit“ umgehen.

Misstrauen bei so viel Demut

Und es ist wohl heute auch das Misstrauen gegenüber der Politik und deren Sprache, die Skeptiker auf den Plan ruft: Der Schweizer Kulturjournalist Heinrich Vogler konstatierte unlängst im Onlineportal Infosperber eine Inflation der ausgesprochenen „Demut“ nicht nur in der Politik, sondern auch in Sport und Wirtschaft: Es scheine, „dass man eine moralische Haltung simulieren will“. Die „ideologische Rede“ von der Demut oszilliere „in der Unschärfe von Bedeutungen wie Dankbarkeit, Ergebenheit, Bescheidenheit, Selbsteinschätzung“. Das „pseudomoralische Gerede“ könnte man sich schenken, wenn „einfach nur ein bisschen mehr Anstand eingefordert würde“.

Der ehemalige Präsident des deutschen Bundestages und SPD-Politiker Wolfgang Thierse sagte bereits vor einiger Zeit gegenüber dem „Spiegel“: „Man muss misstrauisch werden, wenn Politiker zu oft das Wort Demut gebrauchen. Demütig muss man sein, und wer es ist, spricht im Normalfall nicht darüber.“ Und der Publizist Albrecht von Lucke schrieb in der „taz“ vom „Kampfbegriff“ Demut als der „modernen Unterwerfungsgeste - zum Nutzen der Politik“.

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