Brutaler Steuerwettbewerb
In der globalisierten Wirtschaft ist der Kampf um Standortvorteile hart. Wie die Paradise-Papers zeigen, sind Regierungen wie die von Irland oder der Kanalinsel Jersey dazu bereit, Konzernen wie Apple bei deren Steueroptimierungsplänen enorm weit entgegenzukommen. Mit etwas Hilfe von Kanzleien wie Appleby, selbstverständlich.
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Apple-Chef Tim Cook zeigte sich leicht verärgert. Man schrieb den Mai 2013 und er saß vor dem ständigen Untersuchungsausschuss des US-Senats, der gerade geprüft hatte, wie es Apple anstellte, zweistellige Milliardenbeträge an Steuern zu vermeiden, indem der Konzern seine Gewinne in irische „Geisterfirmen“ verschob.
„Wir zahlen jeden einzelnen Dollar, den wir an Steuern schuldig sind“, gab Cook zu Protokoll, „Wir verlassen uns nicht auf Steuertricks. Wir parken unser Geld nicht auf irgendeiner Insel in der Karibik.“

Günter Hack, ORF.at
Ikone des Netzwerkzeitalters: Apple Store in New York City
Neues Schlupfloch gesucht
Nur fünf Monate später gab Irland dem internationalen Druck nach und kündigte an, gegen Firmenkonstrukte wie die von Apple vorzugehen, die behaupteten, dass beinahe ihr gesamtes Einkommen weder in Irland noch sonstwo auf der Welt steuerpflichtig wäre.
Dokumente in den Paradise-Papers zeigen, wie smart der iPhone-Konzern auf das Vorgehen der irischen Behörden reagierte. Obwohl Apple sich öffentlich von Steueroasen distanzierte, ging das Unternehmen gleichzeitig auf die Suche nach einer ebensolchen.
Neue Heimat auf Jersey
Apples Berater aus der renommierten US-Anwaltskanzlei Baker McKenzie traten zu diesem Zweck an eine der führenden Offshore-Firmen der Welt heran: Appleby, heute einer breiten Öffentlichkeit als eine der Quellen der Paradise-Papers bekannt. Sie schickten Appleby einen Fragebogen mit 14 Kriterien in Bezug auf Steueroasen wie die Cayman Islands, die Britischen Jungferninseln, die Bermudasinseln, die Isle of Man, Guernsey und Jersey. Einer der Punkte lautete: „Bestätigen Sie, dass eine in Irland ansässige Gesellschaft in Ihrer Jurisdiktion aktiv sein kann, ohne bei Ihnen steuerpflichtig zu sein?“
Angesichts der ungünstigen jüngsten Veränderungen in Irland zeigte sich Apple vor allem an Stabilität interessiert: „Sehen Sie Anzeichen dafür, dass die Gesetze sich in vorhersehbarer Zukunft zu unserem Nachteil ändern könnten?“ Am Ende entschied sich Apple dafür, eine Niederlassung auf Jersey einzurichten, einer winzigen Insel im Ärmelkanal, die keine Steuern auf die Gewinne der meisten Unternehmen einhebt.
Diese Niederlassung auf Jersey sollte eine entscheidende Rolle bei der Einrichtung der neuen steueroptimierenden Unternehmensstruktur spielen, die Apple gegen Ende 2014 in Irland einrichtete. Diese neue Struktur ermöglichte es dem iPhone-Hersteller, auch weiterhin von ultraniedrigen Steuersätzen zu profitieren – was dazu führte, dass Apple außerhalb der USA bis heute die gigantische Summe von 252 Milliarden US-Dollar in bar und bargeldäquivalenten Werten anhäufen konnte.
Steuersenkungen geplant
Die Enthüllungen des Rechercheverbunds Internationales Konsortium investigativer Journalisten (ICIJ) in Zusammenarbeit mit Medien wie der „Süddeutschen Zeitung“, der „New York Times“ und der BBC kommen zu einem Zeitpunkt, an dem US-Präsident Donald Trump den Spitzensatz der US-Bundessteuern auf Unternehmensgewinne von 35 Prozent auf weniger als 20 Prozent senken möchte. Trump glaubt, dass US-Konzerne zu viel Steuern zahlen.
Die Paradise-Papers hingegen zeigen, dass international agierende US-Konzerne dank raffinierter Konstruktionen, die von Ratgebern wie Appleby oder der 2016 davon abgespalteten Treuhandfirma Estera aufgesetzt wurden, bereits extrem wenig Steuern zahlen. „US-Großkonzerne sind Weltmeister in Sachen Steuervermeidung“, so Edward Kleinbard, Professor für Steuerrecht an der University of Southern California, „Sie sorgen nicht nur dafür, dass den USA Steuergeld entgeht, sondern auch jeder der anderen großen Volkswirtschaften.“
Apple kann dabei als Vorreiter gelten. Obwohl das Unternehmen fast alle seine Produkte in den USA entwickelt, stammen zwei Drittel seines weltweiten Gewinns seit Jahren aus dem Ausland, wo es von Steuerschlupflöchern profitiert.

Günter Hack, ORF.at
Trump will Steueramnestie
Die Trump-Regierung und der von Republikanern dominierte US-Kongress denken auch darüber nach, ob sie den Megakonzernen erneut eine Steueramnestie gewähren möchten, damit diese geschätzte 2,6 Billionen US-Dollar (2,2 Billionen Euro) – und das ist kein Übersetzungsfehler – an Reserven aus ihren Offshore-Konten zu einem extrem niedrigen Steuersatz in die Vereinigten Staaten bringen. Einen solchen „Tax Holiday“ hat bereits George W. Bush 2004 veranstaltet.
„Pläne für eine weitere Steueramnestie sind quasi eine Aufforderung an die Konzerne, weiter Steuervermeidung im Ausland zu betreiben“, so Kleinbard, „Sie können ja damit rechnen, dass auch in Zukunft immer wieder Steueramnestien veranstaltet werden.“
Apple lehnte es ab, die Fragen des ICIJ zu der besagten Reorganisation der irischen Tochterunternehmen zu beantworten. Ein Konzernsprecher sagte lediglich, man habe die Steuerbehörden der USA und Irlands sowie die EU-Kommission darüber informiert. „Wir bei Apple halten uns an das geltende Recht, und wenn das System sich ändert, dann passen wir uns an. Wir unterstützen die Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft in Bezug auf eine Vereinfachung des Steuersystems.“
Klandestines Vorgehen
Die Spur der Apple-Gelder führt heute zu einem Gebäude auf der Kanalinsel Jersey, in dem die Niederlassungen der Kanzlei Appleby und der Treuhandfirma Estera beheimatet sind. „Apple ist sehr auf gute Publicity bedacht“, heißt es in einer E-Mail des Appleby-Managers Cameron Adderley an seine Kollegen: „Die Arbeit, die wir für sie machen, sollte nur von einem exakt abgegrenzten Personenkreis besprochen werden.“ Die Arbeit mit Apples Anwälten von Baker McKenzie gebe dem Unternehmen die Möglichkeit, sich weltweit auf großer Bühne zu präsentieren.
Und so beschloss Apple mit Hilfe von Appleby, dass zwei seiner irischen Firmen sich auf Jersey ansiedeln sollten. Apples irische Tochtergesellschaften unterhielten zu diesem Zeitpunkt dort bereits ihre Bankkonten. Jersey ist eine Kronbesitzung, die Insel hat ein eigenes Rechtssystem, legt ihre Steuern selbst fest und ist außerhalb der Reichweite der meisten Bestimmungen des EU-Rechts.
Druck auf den „Double Irish“
Doch die fleißigen Steueroptimierer gerieten Mitte 2014 unter Druck. Nach Protesten anderer EU-Regierungen begann die irische Regierung darüber nachzudenken, die besonders bei Technologiekonzernen wie Google und Facebook beliebte Steuersparstruktur des „Double Irish“ abzuschaffen. Der „Double Irish“ ermöglicht es Unternehmen, ihre Gewinne über eine in Irland ansässige Gesellschaft einzusammeln, die tatsächlich Menschen anstellt und auf der Grünen Insel steuerpflichtig ist.
Die Gewinne werden dann aber über eine zweite irische Tochtergesellschaft desselben Konzerns weitergeleitet, die in einer Steueroase wie den Bermudas, den Cayman Islands oder auf der Isle of Man residiert. Wäre die irische Regierung entschlossen gegen diese Konstrukte vorgegangen, wäre Apples Reorganisation schon im Ansatz gescheitert, denn sie hätte es allen irischen Firmen untersagt, sich in Steueroasen als steuerpflichtig zu erklären.
Doch hinter den Kulissen arbeiteten Lobbyisten von Firmen wie dem Botox-Hersteller Allergan hart daran, großzügige Übergangsregelungen auszuhandeln. Der damalige irische Finanzminister Michael Noonan sicherte den Unternehmen, die bereits von einem „Double Irish“ profitierten, dann am 14. Oktober 2014 auch zu, dass sie diese bis Ende 2020 weiter nutzen durften. Und nicht nur das: Im Kleingedruckten stand, dass auch bis Ende 2014 eingerichtete Steuersparstrukturen von dieser Regelung Gebrauch machen durften.
Umzug der „Schattenfirmen“
Das gab Apple genug Zeit, seine neuen Gesellschaften einzurichten. Zu Anfang 2015 hatte es seine Geschäfte in Irland restrukturiert und zwei seiner Firmen auf Jersey steuerpflichtig gemacht: Apple Sales International und Apple Operations International. Das sind zwei der drei „Schattenfirmen“, die dem US-Senat in seiner Untersuchung aufgefallen waren.
Apple Sales International war in den vergangenen fünf Jahren der größte Gewinnbringer im Reich des iPhone-Herstellers gewesen, mit 120 Milliarden US-Dollar (103 Mrd. Euro) immerhin die Quelle von rund 60 Prozent des weltweiten Gesamtgewinns. Der größte Teil dieses Gewinns wurde aber als Dividende an Apple Operations International überwiesen, eine Gesellschaft, die, so Tim Cook, dazu gegründet worden ist, um Apples Gelder „möglichst effizient zu verwalten“.
Der Irland-Trick
Vor ihrem Umzug nach Jersey haben diese beiden Tochtergesellschaften eine führende Rolle dabei gespielt, dass Apple bis 2015 rund 137 Millionen US-Dollar in Bar anhäufen konnte – weitestgehend ohne dafür irgendwo auf der Welt Steuern zahlen zu müssen. Die jüngsten Zahlen zeigen, dass diese Summe seither noch um stolze 84 Prozent gestiegen ist, wobei Apple nicht bestätigen will, welche seiner ausländischen Tochterfirmen diese Summe halten.
Wie genau Apples restrukturiertes Steuersparmodell in Irland funktioniert, wollte der Konzern dem ICIJ nicht verraten. Eine Schlüsselrolle dabei spielt aber eine weitere irische Tochterfirma: Apple Operations Europe. Diese Gesellschaft ist in Irland eingetragen und zahlt dort – überraschenderweise – auch ihre Steuern.

Günter Hack, ORF.at
Immaterielle Werte
Während die irische Regierung vorgeblich den „Double Irish“ abmontieren wollte, weitete sie gleichzeitig die Steuererleichterungen für Unternehmen aus, die immaterielle Werte, beispielsweise geistiges Eigentum wie Patente, an eine Tochter in Irland verkaufen. Das neue Arrangement war besonders für jene Konzerne vorteilhaft, die immaterielle Werte aus einem Steuerparadies nach Irland übertragen konnten, denn der Gewinn aus einem solchen Verkauf wäre steuerfrei.
Obwohl eine solche interne Übertragung den Konzern nichts kosten würde, würde der Vorgang dafür sorgen, dass die irische Regierung ihm als Gegenzug für die Standortwahl gewaltige Steuerrabatte gewähren würde. Der Steuersatz würde im Optimalfall dann nur noch 2,5 Prozent betragen. Apple wollte die Frage des ICIJ nicht beantworten, ob der Konzern von dieser Steuererleichterung profitiert hat, indem er etwa Nutzungsrechte an seinen immateriellen Werten von Apple Sales International auf Jersey an Apple Operations Europe in Irland verkauft hat.
Irland aufgebläht
Sicher ist nur, dass ziemlich viele immaterielle Werte zu der Zeit in Irland landeten, als Apple seine irischen Töchter neu aufstellte. Das Bruttoinlandsprodukt des Landes wuchs 2015 um unglaublich 26 Prozent, aufgebläht durch immaterielle Güter im Wert von rund 270 Milliarden US-Dollar. Das ist mehr, als der gesamte irische Wohnungsmarkt damals wert war.
Das ICIJ zeigte seine Daten den beiden Experten J. Richard Harvey, Rechtsprofessor an der Villanova University und Stephen Shay von der Harvard Law School. Beide waren als Gutachter an der Senatsanhörung zu Apples Steuerstrategien im Jahr 2013 beteiligt. Beide sagten dem ICIJ, es sei wahrscheinlich, dass Apple seine immateriellen Werte nach Irland geschafft habe.
Harter Steuerwettbewerb
„Ich bin nicht hundertprozentig sicher, wie Apple seine irischen Geschäfte neu aufgestellt hat, aber eine Möglichkeit bestünde darin, dass sie immaterielle Werte in Höhe von rund 200 Milliarden US-Dollar an eine Tochterfirma in Irland übertragen haben, beispielsweise an Apple Operations Europe“, so Harvey. Sein Kollege Shay ergänzte: „Indem Apple die Steuererleichterungen für immaterielle Werte nutzt, wird Apple höchstwahrscheinlich nur wenig oder gar keine zusätzlichen Steuern auf die Einkünfte von Apple Operations Europe in Irland zahlen.“ Im Oktober 2017 hat die irische Regierung Noonans Steuererleichterungen wieder zurückgenommen.
Apple sagte dem ICIJ, dass man nach der Reorganisation nun in Irland sehr wohl mehr Steuern zahle als vorher. „Die Änderungen, die wir vorgenommen haben, haben unsere Steuerlast nirgendwo verringert“, so das Unternehmen, „tatsächlich sind unsere Zahlungen an Irland über die Jahre 2014, 2015 und 2016 stark gestiegen, auf rund 1,5 Milliarden US-Dollar. Das ist ein Anteil von sieben Prozent an allen gezahlten Unternehmenssteuern in diesem Land.“
Neue Schlupflöcher
Doch Apple will nicht verraten, wie viel Gewinn seine irischen Töchter machen. Daher kann man nicht sagen, ob 1,5 Milliarden Dollar Steuern über drei Jahre nun vergleichsweise viel Geld sind oder wenig.
Gegenüber dem ICIJ sagte Reuven Avi-Yonah, Leiter des International Tax Program an der Rechtsfakultät der University of Michigan, dass Apple „dazu entschlossen war, sich nicht zu verschlechtern“, als es dazu gezwungen war, seine alten Gesellschaftsstrukturen in Irland aufzugeben: „So ist das eben: Man geht gegen den einen Steuertrick vor, und gleichzeitig geht ein neues Schlupfloch auf. Das geht ewig so weiter.“
Links:
Simon Bowers (Guardian), Jesse Drucker (New York Times). Bearbeitung: Günter Hack (ORF.at)