Entwicklungshilfe „zweckentfremdet“
Der deutsche Journalist und Buchautor Christian Jakob erläutert im Gespräch mit ORF.at die politischen und wirtschaftlichen Motive für die Grenzschutzpolitik der Europäischen Union.
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ORF.at: Sie kritisieren eine „Zweckentfremdung“ der Entwicklungshilfe, die heute weniger der Armutsbekämpfung diene als dem Grenzschutz. Welche Beispiele können Sie dafür bringen?
Christian Jakob: Da, wo Entwicklungshilfe draufsteht, steckt immer öfter Migrationskontrolle drin. Die Kanalisierung von Hilfe auf „Fluchtursachenbekämpfung“ und „Ertüchtigung“ für das Grenzmanagement nimmt zu. Das Ziel ist dabei immer das gleiche: Die Partnerstaaten sollen Flüchtlinge und Migranten im Land halten oder zurücknehmen.
Das Geld fließt deshalb in Zukunft vermutlich seltener dorthin, wo Armutsbekämpfung nötig ist, sondern in Staaten, die beim Grenzschutz nützlich sind. Gegenüber diesen soll europäische Hilfe auch als Druckmittel eingesetzt werden. Wer nicht hilft, unerwünschte Migranten fernzuhalten, soll nicht nur Hilfszahlungen, sondern auch Marktzugänge verlieren. Bislang ist das nicht geschehen, die Drohungen sind aber deutlich.
ORF.at: Geht es der Europäischen Union auch um ihre wirtschaftlichen Interessen in Afrika?
Jakob: Ja, das spielt in der Tat eine wichtige Rolle. In Afrika ist viel zu holen. Noch jedenfalls. Kontinentweit gab es im Schnitt in den letzten zehn Jahren fast vier Prozent Wachstum. Elf der 20 Staaten mit den höchsten Wachstumsraten der Welt liegen in Afrika, wenngleich der Rohstoffboom abflaut. Vom „Löwen auf dem Sprung“ spricht die Unternehmensberatung McKinsey, vom „Chancenkontinent“ der Bundesverband der Deutschen Industrie.
China hat sich in den letzten Jahren praktisch flächendeckend in Afrika eingekauft, gigantische Infrastrukturprojekte angeschoben und sich ebenso gigantische Flächen Land angeeignet. Die Botschaften Pekings in Städten wie Bamako (Hauptstadt von Mali, Anm.) stellen die nationalen Ministerien wortwörtlich in den Schatten. China dürfte der alten Kolonialmacht Frankreich den Rang abgelaufen haben. Doch europäische Rüstungs- und Hightech-Konzerne, etwa aus der Biometriebranche, profitieren von den Grenzschutzprojekten in Afrika, die mit europäischen Mitteln bezahlt werden, gewaltig.
ORF.at: Welche Rolle spielt die EU-Grenzschutzagentur Frontex?
Jakob: Eine sehr zentrale. Frontex hat längst seine Fühler nach Afrika ausgestreckt. Die Agentur wurde im September 2016 als Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache neu konstituiert. Ein Kern des neuen Mandats ist die operationelle Zusammenarbeit mit Drittländern. In den letzten Jahren lud Frontex bereits 20-mal Geheimdienstchefs aus Afrika in ihren Hauptsitz nach Warschau ein. Bei der sogenannten Africa-Frontex Intelligence Community (AFIC) sind bislang 21 Staaten, von Marokko über Dschibuti bis nach Angola, fest dabei.
Dafür werden auch Regime mit an den Tisch geholt, die für einen Teil der Flüchtlinge verantwortlich sind. Mittlerweile tauschen Frontex und die afrikanischen AFIC-Geheimdienste Daten auf einer gemeinsamen Onlineplattform aus. Dazu wurden die Geheimdienstmitarbeiter Afrikas an den EU-Datenbanken geschult. Es wurden ihnen Zugangsdaten ausgehändigt, damit sie alle drei Monate ihre Daten in die Frontex-Datenbank einspeisen können. Seit Mai 2016 entstehen daraus monatliche Analysen. Das Ziel: ein möglichst vollständiges, aktuelles Bild der Migration in ganz Afrika – als Grundlage für Maßnahmen gegen irreguläre Migration nach Europa.
ORF.at: Warum machen die afrikanischen Staaten da mit?
Jakob: Das tun sie nur sehr bedingt. Afrika hat eigene Vorstellungen von seiner Zukunft formuliert, vor allem im Kontext der Afrikanischen Union (AU). Diese wünscht sich in erster Linie mehr wirtschaftliche Integration. Gerade hier fallen europäische und afrikanische Interessen auseinander: Der Wunsch nach mehr Grenzkontrollen ist mit dem Wunsch nach innerafrikanischer Freizügigkeit kaum vereinbar. Das hat die Afrikanische Union auch sehr klar gesagt.
Die Aussicht auf westliches Kapital ist allerdings für Staaten verlockend, die wenige Rohstoffe besitzen oder unter dem Rohstoffpreisverfall leiden. Was aber ist mit den ganz armen Ländern, die Hilfe am nötigsten haben? Sie können sich im Wettbewerb um das beste Investitionsklima kaum durchsetzen. Was ist mit den Staaten, die keine Rolle für das Grenzmanagement spielen? Sie treten in den Hintergrund. Die Ungleichheit innerhalb Afrikas wird auf diese Weise verstärkt. Europa versucht einmal mehr, Afrika nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen zu formen.
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Das Gespräch führte Alexander Behr, für ORF.at