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„Tirol ist die nächste wichtige Wahl“

Die grüne Bundessprecherin und Tiroler Landeshauptmann-Stellvertreterin Ingrid Felipe hat am Dienstagnachmittag im Bundesparteivorstand ihren Rückzug von der Parteispitze verkündet. „Wenn man als grüne Partei nicht mehr dem Nationalrat angehört, kann man nur sagen, die schwierige Mission ist gescheitert“, sagte Felipe gegenüber der „Tiroler Tageszeitung“ („TT“).

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Die 39-Jährige will sich nun ganz auf ihre Arbeit als Tiroler Parteichefin konzentrieren. Dort findet nächstes Jahr eine Landtagswahl statt. „Tirol ist die nächste wichtige Wahl und Tirol braucht meine volle Energie“, begründete sie ihren Rückzug. Sie helfe den Grünen sicher am allermeisten, „wenn wir in Tirol gut abschneiden“. Gemeinden und Länder müssten die Bundespartei wieder aufrichten und finanziell unterstützen, so Felipe. Als möglicher neuer Grünen-Chef wurde am Dienstag immer wieder Vizeklubchef und Listenzweiter Werner Kogler gehandelt.

Die scheidende Grünen-Chefin, die erst vor rund vier Monaten auf Eva Glawischnig an der Parteispitze folgte, sagte im „TT“-Interview, dass es wohl ein Fehler gewesen sei, von Tirol aus die Grünen zu führen. In diesem Zusammenhang sagte Felipe aber auch: „Als ich als Bundessprecherin eingesprungen bin, wollte niemand diese Verantwortung übernehmen. Ich war sozusagen die Feuerwehr.“ „Grundsätzlich“ bezeichnete Felipe zudem „unsere Besserwisserei“ als Problem: „Gleichzeitig müssen wir wieder lernen, Widersprüche auszuhalten.“

Lunacek vor Abschied aus EU-Parlament

Neben Felipe dürfte sich laut APA-Informationen zudem die grüne Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek aus der Politik zurückziehen. Die bisherige EU-Abgeordnete hatte sich ja schon während des jüngsten Wahlkampfs von ihren Kollegen und Mitarbeitern in Brüssel verabschiedet. Mit dem Ausscheiden der Grünen aus dem Parlament steht Lunacek nun ohne Mandat da.

Am Dienstag zeichnete sich diversen Medienberichten zufolge auch ein Abschied Lunaceks von allen politischen Funktionen ab - sie würde damit auch das EU-Parlament, in das sie am 14. Juli 2009 als Delegationsleiterin der österreichischen Grünen einzog und in dem sie seitdem in etlichen Ausschüssen saß, verlassen. Als möglicher Nachfolger wurde in diesem Zusammenhang der steirische Grünen-Politiker Thomas Waitz genannt.

Geheimer Sitzungsort

Der sich abzeichnende Abschied aus dem Parlament samt der damit einhergehenden Personaldebatte war am Dienstag zentrales Thema der ersten Krisensitzung des Bundesvorstands nach der Wahl. Ungeachtet einer mit dem Titel „Personelles“ für den frühen Abend angekündigten Pressekonferenz zeigten sich die Teilnehmer des Bundesvorstands zu Sitzungsbeginn noch wortkarg und waren um größtmögliche Distanz bemüht, worauf etwa ein geheim gehaltener Tagungsort verwies. Nach dessen Durchsickern wurde dieser verlegt.

Klubchef Albert Steinhauser meinte noch am ersten Ort: „Es gibt nichts zu sagen, weil wir erst tagen.“ Noch wortkarger gab sich Lunacek. Sie forderte die Journalisten bei ihrem Eintreffen lediglich dazu auf, Respekt zu zeigen. Im Ö1-Mittagsjournal hatte Steinhauser zuvor von „brutalen“ Konsequenzen des Wahlverlusts gesprochen, denn nicht nur die Abgeordneten, sondern auch deren Mitarbeiter müssten ihre Arbeit einstellen.

Willi: „Ingrid muss Tirol Priorität einräumen“

Die Landessprecherin der Grünen im Burgenland, Regina Petrik, hielt von einem Personalwechsel nicht viel - mehr dazu in burgenland.ORF.at. Cyriak Schwaighofer, grüner Klubchef in Salzburgs Landtag, sprach sich ganz im Gegensatz dazu bereits offen für eine Ablöse von Lunacek und Felipe aus - mehr dazu in salzburg.ORF.at. Der grüne Noch-Nationalratsabgeordnete und nunmehrige Spitzenkandidat bei der Innsbrucker Gemeinderatswahl, Georg Willi, drängte Felipe, sich nach dem Wahldesaster ihrer Partei auf Tirol zu konzentrieren.

„Ingrid muss Tirol und der Landtagswahl jetzt Priorität einräumen“, sagte Willi der „Tiroler Tageszeitung“ (Dienstag-Ausgabe). „Ich stelle mir schon die Frage, ob die Funktion der Bundessprecherin da noch Platz hat“, so Willi, der viele Jahre als Klubobmann im Tiroler Landtag fungierte, mit Blick auf die am 25. Februar anstehende Tiroler Landtagswahl.

„Hütte eingestürzt“

Der Vorarlberger Landessprecher der Grünen, Johannes Rauch, versprach eine „schonungslose Aufarbeitung“ des Wahldebakels. „Wenn dir die Hütte einstürzt, kannst du nicht so tun, als könntest du noch darin wohnen“, sagte Rauch und machte die Notwendigkeit einer Neuaufstellung der Partei deutlich - mehr dazu in vorarlberg.ORF.at. Auch der Wiener Landessprecher Joachim Kovacs plädierte für einen Neustart: „Dass es nicht so weitergehen kann, ist hoffentlich allen klar“ - mehr dazu in wien.ORF.at.

Von einer „Katastrophe“ sprach der Landesrat der Grünen in Oberösterreich, Rudi Anschober - mehr dazu in ooe.ORF.at. Der Kärntner Landesrat Rolf Holub sprach von einer Ohrfeige, die der Wähler den Grünen verpasst habe. Die Marke Grün sei beschädigt worden - mehr dazu in kaernten.ORF.at. In der Steiermark orteten ehemalige Grünen-Politiker mehrere Ursachen für das Wahldebakel - mehr dazu in steiermark.ORF.at. Ursachensuche heißt es nach der verlorenen Wahl auch bei den Grünen in Niederösterreich - mehr dazu in noe.ORF.at.

Nur noch 36.000 Stimmen offen

Wie nach Auszählung der Briefwahlstimmen in der Nach auf Dienstag bekanntgegeben wurde, liegen die Grünen nun bei 3,76 Prozent. Sie konnten zwar um 0,44 Prozentpunkte zulegen, aber das war bei 3,32 Prozent aus der Urnenwahl zu wenig, um die Vierprozenthürde zu nehmen. Bei laut Innenministerium 36.893 noch offenen Wahlkarten haben sie innerhalb der vom ORF-Hochrechner SORA ausgegebenen Schwankungsbreite - zumindest theoretisch - zwar weiterhin Chancen, das Ergebnis wird sich dadurch aber voraussichtlich wohl nur noch marginal verändern.

Hochrechnungsgrafik

ORF/SORA

Denn am Montag wurden bereits 758.588 per Post oder bei den Bezirkswahlbehörden im eigenen Wahlkreis abgegebene Briefwahlstimmen ausgezählt. 753.616 davon waren gültig, das waren beinahe 15 Prozent der bisher ausgewerteten gültigen Stimmen. Am Donnerstag werden noch jene 36.893 Wahlkarten ausgezählt, die am Sonntag in fremden Wahlkreisen abgegeben wurden - und zwar nicht nur „klassisch“ als Wahlkarte, sondern heuer erstmals auch als Briefwahl (also ausgefüllt und unterschrieben).

Wenig Hoffnung auf einen Sprung über die Vierprozenthürde hatte bereits zuvor der grüne Klubobmann Albert Steinhauser. Er meldete sich am Montag im Kurznachrichtendienst Twitter zu Wort: „Zehn tolle Jahre im Parlament sind vorbei. Dass ich nicht weitermachen darf, trifft mich hart, aber ich kann’s nicht ändern.“

110 Mitarbeiter vor Kündigung

Laut APA-Infomationen haben die Grünen unterdessen bereits mit der Abwicklung der Bundespartei begonnen. Am Montag wurden die Mitarbeiter darüber informiert, dass ihnen mit Ende der am 8. November endenden Gesetzgebungsperiode die Kündigung droht.

Insgesamt sind rund 110 Mitarbeiter betroffen. Rund 90 dürfte es den Angaben zufolge im Parlamentsklub der Grünen treffen, knapp 20 in der Bundespartei. Die Grünen müssen in den nächsten Wochen bis zur konstituierenden Sitzung des Parlaments auch ihre Klubbüros rund um das Parlament räumen. 31 Jahre waren die Grünen seit ihrem Einzug 1986 im Nationalrat vertreten.

Grafik zeigt die Entwicklung der Grünen seit 1986

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Großteil von Klubförderung betroffen

Mit einem Auszug aus dem Parlament ist auch der Verlust der Klubförderung verbunden. Bei den Grünen waren das zuletzt 3,4 Millionen Euro. Den Grünen droht, auch mit Blick auf Millionenschulden aus dem Wahlkampf, somit auch ein finanzielles Debakel. Wie die Parlamentsdirektion am Dienstag sagte, wird zumindest die Bundesratsfraktion auch künftig Fördermittel erhalten. Allerdings werden sie deutlich geringer ausfallen als die aktuelle Klubförderung, weil die nur den Nationalratsklubs zustehenden Sockelbeträge wegfallen.

Die Grünen verfügen im Bundesrat über vier Abgeordnete (je einer aus Wien, Salzburg, Tirol und Oberösterreich) und Fraktionsstatus. Letzteres bedurfte eines Mehrheitsbeschlusses der Länderkammer, weil für eine Fraktion eigentlich fünf Mandatare nötig wären. Außerdem gibt es drei grüne EU-Abgeordnete.

Nach Angaben des Politikwissenschaftlers Hubert Sickinger kommen für die Bundesratsförderung zwei Beträge infrage: jedenfalls der für jeden Bundesrats- und EU-Mandatar zustehende Zusatzbetrag von jeweils rund 26.400 Euro (in Summe also 185.000 Euro). Unklar ist aus seiner Sicht, ob den Grünen zusätzlich auch die Bundesratsfraktionsförderung von 174.280 Euro zusteht.

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