Jahr des Abstiegs für die Grünen
„Ich bin zuversichtlich, dass das Ergebnis besser wird, als es in den letzten Tagen und Wochen in den Umfragen war“, hat Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek bei ihrer Stimmabgabe am Wahlsonntag noch gesagt. Die Ernüchterung wenige Stunden später war umso bitterer, der Absturz tief wie nie zuvor.
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Die Ausgangslage der Grünen war vor einigen Monaten noch gut: 2013 hatten sie ein Rekordergebnis von 12,42 Prozent erreicht. Fünf Regierungsbeteiligungen zählen die Grünen in den Bundesländern, im Vorjahr wurde zudem der ehemalige Parteichef Alexander Van der Bellen zum Bundespräsidenten gewählt.
Bittere Niederlage
Im Wiener Metropol herrschte vor der ersten Hochrechnung noch Optimismus. Danach dominierte Ernüchterung.
Die Liste der Ursachen für den Absturz ist aber lang. Die augenscheinlichste ist wohl die Abspaltung des langjährigen ehemaligen Parteimitglieds Peter Pilz. Nachdem dieser nicht auf den von ihm gewünschten Listenplatz gewählt worden war, trat er aus der Partei aus und gründete die Liste Pilz. Die Konkurrenz aus dem eigenen Stall dürfte besser abgeschnitten haben - Pilz hatte am Sonntag größere Chancen auf einen Einzug ins Parlament.
Absturz mit Anlauf
Das Jahr des Abstiegs begann aber schon vorher: Ein öffentlich ausgetragener Streit mit den Jungen Grünen offenbarte schon im März interne Risse. Auch in Kärnten gab es eine Abspaltung, zudem verabschiedeten sich Bundesgeschäftsführer Stefan Wallner und Kommunikationschef Martin Radjaby-Rasset. Schließlich trat Eva Glawischnig nach achteinhalb Jahren als Bundessprecherin zurück - die Partei tat sich sichtlich schwer, Glawischnigs Funktionen neu zu besetzen. Eine Dreierspitze aus Lunacek als Spitzenkandidatin, Albert Steinhauser als Klubobmann und Ingrid Felipe als Parteichefin sorgte auch innerhalb der Grünen nicht überall für Optimismus.
Lunacek, bisher Rekordhalterin bei grünen Wahlergebnissen, muss nun die Wahlniederlage verantworten. Es war die dritte Spitzenkandidatur der 60-Jährigen und schon die zweite nach internen Turbulenzen. Bei der EU-Wahl 2009 löste sie Johannes Voggenhuber als Listenersten ab. 2014 übertraf Lunacek als Spitzenkandidatin bei der Europawahl mit 14,5 Prozent noch das Nationalratswahlergebnis von 2013 (12,4 Prozent). Am Sonntag blieb Lunacek hingegen nur zu sagen: „Es ist ein Debakel“, eine schmerzliche Niederlage. Nun müsse der „Neustartknopf“ gedrückt werden. Von rollenden Köpfen war vorerst jedoch nicht die Rede.
SPÖ profitiert stark
Allein bei den Grünen sind die Ursachen indes nicht zu finden. Die Wählerstromanalyse zeigt einen starken Wechsel von Grünwählern zur SPÖ. Während die Grünen rund 84.000 Stimmen an die ÖVP und 67.000 an die Liste Pilz verloren, gingen 161.000 Stimmen an die SPÖ. Vielfach dürften ehemalige Grünwähler zur SPÖ gewechselt sein, um ein Gegengewicht zu ÖVP und FPÖ zu stärken. Vizeklubchef Werner Kogler verwies am Wahlabend auf die Auseinandersetzung von SPÖ, ÖVP und FPÖ, auf die alles zugespitzt gewesen sei. Dass taktische Wahlentscheidungen zur Gefahr werden könnten, erkannten auch die Grünen im Vorfeld. „Wer Grün denkt, aber Rot wählt, kann Blau bekommen“, warnte etwa ein Wahlplakat.

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/SORA
Eine ähnliche, wenn auch weit weniger schwere Niederlage erlitten die Grünen schon einmal - im Jahr 1995. Dabei verloren sie 2,5 Prozent, der erste Verlust für die Partei überhaupt. Der Wechsel vieler Wähler zur SPÖ wurde auch damals mit einer im Raum stehenden Koalition von ÖVP und FPÖ erklärt.
Am Wahlabend regierte bei der Feier im Wiener Metropol noch die Hoffnung. Lunacek wurde von ihren Anhängerinnen und Anhängern mit minutenlangem Applaus empfangen. In ihrer Rede verwies sie auf die vielen Mandatare der Grünen und auf die Basis der Partei. „Wir werden es wieder schaffen, die Grünen in Österreich groß und stark zu machen, um zu zeigen, warum es uns geben muss in Österreich“, so Lunacek.
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