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Barockes Drama und Wollust

Niemand hat weiblichen Kurven einen solchen Perlmuttglanz verliehen wie er: Die genaue Anatomie war für Peter Paul Rubens weniger wichtig als der Ausdruck und die Vitalität seiner üppigen Figuren. Das Kunsthistorische Museum (KHM) bietet nun einen frischen Blick auf den alten Meister und demonstriert, wie er antiken Marmorfiguren in seinen Gemälden Leben einhauchte.

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Altersweise und müde, aber doch eindringlich blickt uns Rubens von seinem letzten Selbstporträt 1638 an. Feiner Zwirn und Degen weisen ihn als Edelmann aus; der habsburgische Hofmaler wusste nicht nur den Pinsel, sondern auch diplomatische Geschicke zu führen. Neben dem Bildnis hängt die Federzeichnung „Kampf nackter Männer“, die 40 Jahre weiter zurückreicht. Als 21-Jähriger kopierte Rubens die winzigen Krieger eines alten Kupferstichs, und nicht nur das: Er schnitt die Muskelprotze auf Büttenpapier aus und klebte sie umgruppiert wieder zusammen.

Jesus mit dem Waschbrettbauch

Es sind solche Aneignungen, die jetzt im Zentrum der großen Rubens-Schau im KHM stehen. Während seiner acht Jahre in Italien kopierte der Barockmaler Vorbilder wie Tizian. Später schickte er Mitarbeiter aus, um sein Quellenarchiv anzureichern. „Unsere Ausstellung dreht sich um die Schnittstelle von Invention und Inventar, also von Idee und vorhandenen Quellen“, sagte der Leiter der KHM-Gemäldegalerie Stefan Weppelmann.

Das Urteil des Paris

Museo Nacional del Prado

In dem Ölbild „Das Urteil des Paris“ bringt Rubens seine Vorstellung idealer Schönheit zum Ausdruck

„Er geht meistens von antiken Statuen aus“, erklärte die Kuratorin Gerlinde Gruber Rubens’ Körperideal. „In Zeichnungen zergliedert er sie: Frauen werden mit Kreisen analysiert, Männer mit Quadraten.“ Welch ungewöhnliche Lösungen Rubens einfielen, beweist etwa sein wunderbares Jesusbild „Ecce Homo“ aus der Eremitage. Für den expressiven Messias, der die Schultern nach hinten und den Bauch nach vorne streckt, stand die Figur eines wilden Kentauren Pate - also eines Pferdemenschen.

Die frierende Göttin der Liebe

Zu Rubens’ Zeiten war es in Flandern verboten, dass Frauen unbekleidet Modell stehen. Aber freilich waren gerade seine Bilder nackter Grazien besonders gefragt. „Hauptsache mit Frauen“, verlangten manche Auftraggeber. Erotisch fanden die Zeitgenossen nicht nur üppige Leiber, sondern auch den unvergleichlichen Perlmuttschimmer, den Rubens seinen Göttinnen und Nymphen durch das Schichten von Farblasuren verlieh.

Venus Frigida

www.lukasweb.be – Art in Flanders vzw, photo Hugo Maertens

Amor und Satyr können die „Venus frigida“, die „Frierende Venus“, nicht aufheitern

Besonders inspirierend fand Rubens die römische Marmorfigur „Kauernde Venus“, deren hockende Haltung er gleich mehrfach weiterverarbeitete. Neben der originalen Marmorgöttin aus dem ersten Jahrhundert nach Christus ist nun das großartige Gemälde „Frierende Venus“ („Venus frigida“) zu sehen, eine Leihgabe des Antwerpener Museum für Schöne Künste. Spricht aus Venus’ wehmütigem Blick Liebeskummer? Ein bisschen züchtig bleibt Rubens doch: Er zieht einen Schleier halb über den Po der Göttin.

Wo legte der Meister Hand an?

Der Erfolgskünstler konnte sich vor Aufträgen von Adel, Klerus und Kaufleuten gar nicht retten. Mitarbeiter wie Anthonis van Dyck verstanden einen „echten Rubens“ zu malen. Die Frage, ob bloß „Werkstatt“ oder „sua mano“, also von des Meisters Hand, entscheiden die Experten bis heute anhand der Güte der Ausführung. „Es gab damals einen anderen Originalitätsbegriff“, betonte die Kuratorin. „Rubens legte selbst unterschiedliche Grade der Eigenhändigkeit fest.“ Gekauft wurde so viel Echtheit, wie die Geldbörse erlaubte.

Haupt der Medusa

KHM-Museumsverband

Für das gruselige „Haupt der Medusa“ verpasste Rubens heimischen Nattern ein giftiges Muster

Zwischen Horror und Fleischeslust

Mit fünf Metern Höhe zählen die Jesuiten-Altarbilder zu den XL-Gemälden der Schau. Das „Wunder des Hl. Ignatius von Loyola“ überwältigt, aber der Vergleich mit der antiken „Laokoon-Gruppe“ macht den Ölschinken zugänglicher. Das verzerrte Gesicht des Besessenen darin gleicht dem trojanischen Priester aus Stein, der von Schlangen getötet wird. „Rubens muss um diese Skulptur regelrecht herumgeturnt sein“, sagte Kuratorin Gruber zu einer Laokoon-Zeichnung von unten, für die sich der Künstler wohl auf den Boden gelegt hat.

Ausstellungshinweis

„Rubens. Kraft der Verwandlung“ im Kunsthistorischen Museum Wien bis 21. Jänner 2018

Rubens hatte für Schrecken ebenso viel übrig wie für Lust: Sein „Haupt der Medusa“ schockiert mit gruseligen Augen und giftig gemusterten Schlangen. Ein Meer aus Pastelltönen bietet hingegen das „Venusfest“, in dem sich unzählige Putti um die Liebesgöttin scharen - das Vorbild für das geile Getümmel lieferte abermals der Venezianer Tizian, den Rubens so schätzte. Auch für das berühmte „Pelzchen“, ein Aktbild seiner Frau, stand der Venezianer mit seinem „Mädchen im Pelz“ Pate.

Unter einem stürmischen Himmel

Das sinnliche Ölbild bildet gemeinsam mit der „Großen Gewitterlandschaft“ das Finale der Schau. Beide Bilder schuf der Meister für sich privat, beide vergrößerte er durch angestückelte Holzplatten. Das fantastische Naturschauspiel setzt sich gar aus 17 Teilen zusammen, die bei der jüngsten Restaurierung zerlegt und wieder neu aneinandergefügt wurden. Unter dem stürmischen Himmel erscheinen die Menschen nun so hilflos, wie sich der gefeierte Maler wohl ob seiner eigenen Endlichkeit fühlte.

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