Weber: „Österreich könnte Brücke bilden“
Der deutsche EU-Parlamentarier Manfred Weber, Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament, der auch die ÖVP angehört, spricht im Interview mit ORF.at über den möglichen Kanzler Sebastian Kurz und trifft eine Einschätzung zur künftigen österreichischen EU-Politik einer möglichen Koalition zwischen ÖVP und FPÖ.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
ORF.at: Was bedeutet eine Regierung unter Kurz bzw. unter Beteiligung der FPÖ für die EU-politische Ausrichtung?
Weber: Die Europapolitik hat in der Wahlkampagne von Sebastian Kurz eine wichtige Rolle gespielt. Er hat die positive Gestaltung Europas herausgehoben. Bei den Inhalten sind wir zwischen EVP-Fraktion und neuer Volkspartei in den meisten Punkten sehr nahe beieinander. Deshalb ist der Wahlsieg für Kurz ein gutes Signal für Europa. Ich freue mich, dass wir einen echten Partner auf EU-Ebene bekommen werden.
ORF.at: Ist es vorstellbar, dass sich Österreich dann gegen einen Kurs einer aktiveren Union nach Vorstellung von Jean-Claude Juncker, Emmanuel Macron und Angela Merkel stellt?
Diese Zukunftsdebatte über Europa ist jetzt notwendig, weil die EU offenkundig noch nicht so funktioniert, wie sie sollte. Kurz und die ÖVP stehen für ein starkes Österreich in einem starken Europa. Die künftige Bundesregierung in Wien unter einem Regierungschef Kurz wird neue und konstruktive Ideen einbringen, gerade was die Debatte über die Zukunft Europas betrifft. Wir wollen gemeinsam ein handlungsfähigeres Europa in den großen Fragen, etwa bei den Themen Sicherheit und Verteidigung oder was die Begrenzung der Zuwanderung angeht. Aber wir wollen auch einen Systemcheck, ob die Aufgaben besser in Europa aufgehoben sind oder bei den Nationalstaaten oder Regionen. Mir gefällt die Idee eines Subsidiaritätspakts. Wir wollen ein besseres Europa.
ORF.at: Ist hinsichtlich der Migrationsfrage engere Abstimmung mit anderen Staaten - etwa mit Ungarn, Polen, Tschechien und der Slowakei - denkbar?
Die Migrationspolitik ist die große offene Wunde in Europa, die wir seit 2015 nicht heilen konnten. Dies muss jetzt aber schnell geschehen, weil die Flüchtlingsströme auf Dauer nur gemeinsam europäisch gut bewältigt werden können. Wir stehen für Humanität für Menschen in Not, aber auch für strikte Kontrollen an den Außengrenzen und eine konsequente Rückführung von illegalen Migranten und Bekämpfung der Schleuser. Ich setze hier stark auf die österreichische Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2018, damit wir zu einer Lösung kommen. Österreich könnte die Brücke bilden zwischen Ost und West in Europa.
ORF.at: Ist auch eine prinzipielle Annäherung Österreichs an die Visegrad-Staaten möglich? Was spricht dafür, was dagegen?
Ich halte diese Debatte für eine Gespensterdiskussion. In Europa werden wir nur erfolgreich sein, wenn wir uns am Ende alle zusammenraufen. Dazu muss jeder seinen Beitrag leisten. Manche Länder, die anerkennen müssen, dass es viele Sorgen gibt, was Zuwanderung oder Europas Identität betrifft. Andere Länder, die akzeptieren müssen, dass auch sie einen Beitrag zur Lösung der Migrationskrise leisten.
ORF.at: Könnte die Schengen-Ausweitung auch ein strittiger Punkt in Hinblick auf die Ratspräsidentschaft werden?
Für die Mitgliedschaft im Schengen-Raum gibt es klipp und klare Regeln. Solange die Kriterien nicht eingehalten sind, kann ein Land nicht Mitglied werden. Im Gegenteil: Wir hatten 2015 und 2016 ja zu Recht auch eine Debatte, ob die Mitgliedschaft eines Schengen-Lands, das die Kriterien nicht mehr erfüllt, zeitweilig suspendiert werden sollte.
ORF.at: Zur Forderung der FPÖ nach mehr direkter Demokratie - denkbar wären etwa Volksabstimmungen über EU-Themen: Könnte diese zum Problem werden?
Klar ist: Es braucht bessere Mitwirkungsmöglichkeiten der Menschen. Dass alle paar Jahre gewählt wird und dazwischen keine Beteiligung stattfindet, wird von den Wählern zu Recht nicht mehr akzeptiert. Wie das aber genau aussehen soll, muss jedes Land für sich selbst entscheiden.
ORF.at: Glauben Sie, gibt es hier eine gewissen Grad an Nervosität auf EU-Seite, es mit einem Vorsitzland zu tun zu bekommen, dass EU-kritische Positionen äußern könnte?
Nein, dazu gibt es überhaupt keinen Anlass. Ich denke, dass die österreichische Präsidentschaft eher eine Chance ist, voranzukommen.
Valentin Simettinger, ORF.at, aus Brüssel