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Die Liebe zur Inszenierung

Das Jüdische Museum Wien erinnert mit Fotografien, Zeitungsausschnitten, Originaldokumenten, Schminktiegeln und raffiniertem Verpackungsmaterial an die 1965 verstorbene Helena Rubinstein, die „Madame“ der Kosmetikindustrie, und zeichnet deren Lebensstationen auf vier Kontinenten nach.

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Schon auf den frühen Aufnahmen tritt sie einem energisch entgegen. Den Blick stolz, leicht nach oben gerichtet, das Gesicht ins Halbprofil gedreht. Rubinstein, geboren 1870 in Krakau als Älteste von acht Geschwistern einer orthodox-jüdischen Kleinbürgerfamilie, wirkte bereits in jungen Jahren, lange bevor ihre Karriere sich abzuzeichnen begann, wie eine, die weiß, wo’s lang geht. Ihre Liebe zur Kamera und zur Selbstinszenierung wusste sie sich zeitlebens zunutze zu machen.

Von der Inszenierungsleidenschaft und -akribie zeugen unzählige Fotografien, die derzeit dicht gedrängt an den Wänden der Dependance des Jüdischen Museums am Wiener Judenplatz hängen: Rubinstein selbst ist hier allgegenwärtig - mit gewagten Straußenfederhüten, im Designerkimono oder im paillettenbesetzten Ives-Saint-Laurent-Kleid; fast immer kombiniert mit opulenten Schmuckensembles, am liebsten aus großen Diamanten. Die tiefschwarzen Haare trägt sie stets streng nach hinten frisiert.

Mit zwölf Tiegeln Hautcreme nach Australien

Doch der Reihe nach: Begonnen hat Rubinstein ihre Bilderbuchkarriere mit ihrer Flucht als 16-Jährige aus dem engen Elternhaus, angeblich, um einer arrangierten Ehe zu entkommen. Nach einer zweijährigen Station in Wien, von der kaum etwas überliefert ist, emigrierte Rubinstein schließlich nach Melbourne zu ihren Onkeln.

Helena Rubinstein

Archiv/Archives Helena Rubinstein, Paris

Rubinstein mit dem Hoffotografen der britischen königlichen Familie, Cecil Beaton

Rubinsteins Mutter, so sagt es die Legende, gab ihr auf diese Reise zwölf Tiegel Hautcreme mit, die sie, in Australien um ihren Teint beneidet, weitergab und aufgrund des großen Anklangs selbst anzurühren begann. Nach welchem Rezept, ist unbekannt. Was man hingegen weiß, ist, dass Rubinstein dieses – und sich selbst – mit Mythen zu umranken wusste.

Ausstellungshinweis

Helena Rubinstein. Die Schönheitserfinderin. Jüdisches Museum Wien, Standort Judenplatz, bis 6. Mai 2018, sonntags bis donnerstags 10.00 bis 18.00 Uhr, freitags bis 17.00 Uhr.

Eine Marketingspezialistin war sie: Die Hautcreme pries sie als Erfindung eines Arztes für eine Schauspielerin an. Die erfundene Legende um ein Medizinstudium wusste sie mit Fotos in weißen (Designer-)Laborkitteln zu bebildern. Keine Gelegenheit ließ sie, die von allen „Madame“ gerufen wurde, aus, sich selbst als „world famous“ zu promoten.

Demokratisierung der Schminke

Dass Rubinstein jedoch weit mehr war als ein Vermarktungsgenie, brauche man nicht hervorzuheben, betont Danielle Spera, Direktorin des Jüdischen Museums, im Interview mit ORF.at: „Rubinstein war ihrer Zeit immer voraus. Eine starke Frau, die durch ihren Fleiß, ihre Vision und ihr Engagement ganz ohne Hilfe eine noch nie da gewesene Karriere startete. Ende des 19. Jahrhunderts hat sie Dinge erreicht, die für Frauen in diesen Jahren ganz ausgeschlossen schienen.“

Helena Rubinstein

Archiv/Archives Helena Rubinstein, Paris

Rubinstein bei der Eröffnung einer Produktionsstätte für Kosmetik in Tel Aviv

Als Pionierin gilt sie nicht nur, was das Vordringen ins männlich dominierte Unternehmertum anbelangt, sondern eben auch in der modernen Schönheitsindustrie. Schminke war um die Jahrhundertwende noch ein zwielichtiges und ruchloses Produkt und vor allem Prostituierten und Schauspielerinnen vorbehalten.

„Sie wollte Frauen mehr Selbstbewusstsein geben“

„Helena Rubinstein war beseelt von der Idee, dass sie Frauen mehr Selbstbewusstsein geben möchte“, so Spera über die erste „Beauty-Selfmade-Woman“,.

Das sollte Rubinstein ändern. Sie brachte Wimperntusche, Make-up und Lidstrich in die Mittelklasse – mit der Überzeugung, so Spera, „dass jede Frau, die etwas für ihre Schönheit und ihren Körper tut, mehr Selbstbewusstsein bekommt“. Salopp lautete ihr Credo: Es gibt keine hässlichen Frauen, nur Faule. Das Timing für ihr Engagement war dabei kein Schlechtes: Als sie zu Beginn des Ersten Weltkriegs nach New York zog, demonstrierten dort die Suffragetten mit erhobenem Lippenstift für Freiheit und Selbstbestimmung.

Vamp-Look und Hauttypenlehre

Krakau, Wien, London, Paris, Tel Aviv und New York – das waren die Stationen in Rubinsteins Leben, die jetzt im Jüdischen Museum nachgezeichnet werden. 100 Niederlassungen in 14 Ländern mit insgesamt 30.000 Beschäftigten führte sie am Höhepunkt ihrer Karriere; eine ganze Reihe an Erfindungen, die man heute noch kennt, gehen auf ihre Kappe: die Einstufung von Hauttypen (trocken bis Mischhaut), der Vamp-Look und gefärbtes Puder, das Wimperntuscheröhrchen und wasserfestes Mascara, ein Patent, das sie allerdings einer Wienerin abgekauft hatte.

Helena Rubinstein

Archiv/Archives Helena Rubinstein, Paris

Puderedition anlässlich der Krönung von Queen Elizabeth II. im Jahr 1953 - sowie eine Morgencreme aus ihrer Kollektion

Dem Antisemitismus, der ihr ab 1939 auch in den USA entgegenschlug, wusste sich Rubinstein zu entziehen – oder selbstbewusst entgegenzutreten. Als man ihr verweigerte, eine Wohnung zu erwerben, kaufte sie kurzerhand das ganze Haus an der New Yorker Park Avenue.

Die Städte, die tendenziell als Hochburgen der weißen Protestanten galten, überließ Rubinstein indes ihrer langjährigen Konkurrentin Elizabeth Arden. Die berüchtigte Feindschaft der beiden – Arden galt im Gegensatz zur weltoffenen Rubinstein als homophob und antisemitisch – ist legendär und sogar Stoff eines Musicals, das derzeit auch am Broadway zu sehen ist.

Empfang mit Krakauer Wurst

Berühmt wurde Rubinstein außerdem als Kunstförderin und -sammlerin mit engen Kontakten zu den Größen der europäischen Moderne und des Surrealismus. Und auch ein Ruf als Exzentrikerin eilte ihr voraus: „Legendär ist die Geschichte, dass sie oft Gäste zu eleganten Abendessen empfing, mit einem Stück Wurst in der Hand, und die Gäste zum Abbeißen aufforderte“, so Spera. Genauer: Es handelte sich um Krakauer Wurst. Mit ihren polnischen Wurzeln blieb Rubinstein nämlich, die einen unverhohlenen slawischen Akzent sprach, zeitlebens verbunden.

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