Regierungschef hält an Abspaltung fest
Der Regierungschef von Katalonien, Carles Puigdemont, will am Ziel einer Unabhängigkeit von Spanien festhalten. Er setze diesen Prozess aber aus, um in den nächsten Wochen einen Dialog und eine Vermittlung einzuleiten. Damit verzichtete er zunächst darauf, auf Basis des Referendums der Katalanen sofort die Unabhängigkeit der Region zu erklären.
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„Wir erleben einen historischen Moment, die Folgen gehen über dieses Land hinaus“, sagte Puigdemont am Dienstagabend in einer mit Spannung erwarteten Rede vor dem Regionalparlament in Barcelona. „Katalonien ist ein europäisches Thema.“ Er wolle deeskalieren und suche den Dialog. „Ich bitte das Parlament, dass es die Unabhängigkeitserklärung aussetzt, damit in den kommenden Wochen ein Dialog in Gang gesetzt werden kann“, so Puigdemont.

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Puigdemonts Auftritt im Regionalparlament in Barcelona
„Diesen Weg möchte ich gehen“
Der katalanische Regierungschef kritisierte in seiner Rede die Zentralregierung in Madrid heftig. Diese habe jeden Versuch des Dialogs vonseiten Kataloniens abgelehnt: „Die Antwort war immer eine radikale und absolute Weigerung, kombiniert mit einer Verfolgung der katalanischen Institutionen“, sagte Puigdemont. „Ich appelliere an die Verantwortung aller. Die spanische Regierung fordere ich dazu auf, eine Vermittlung zu akzeptieren.“

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Die Rede wurde mit großer Spannung erwartet
Puigdemont verurteilte die Polizeigewalt bei der Durchführung des Referendums am Sonntag vor einer Woche. Das Ziel sei gewesen, Panik auszulösen. Mit dem Ergebnis habe Katalonien das Recht gewonnen, ein unabhängiger Staat in Form einer Republik zu werden. „Heute wird Katalonien angehört“, sagte Puigdemont. „Die Urnen sagen Unabhängigkeit, und diesen Weg möchte ich gehen.“ Es gebe auch Demokratie jenseits der Verfassung. An alle Spanier gerichtet fügte Puigdemont hinzu: „Wir sind keine Verbrecher, keine Verrückten, keine Putschisten.“
Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet
Nach seiner Rede unterzeichneten die Abgeordneten des Regionalparlaments in Barcelona am Dienstagabend ein Unabhängigkeitsdokument. Auch Puigdemont unterschrieb das Papier. Darin heißt es unter anderem: „Wir gründen die katalanische Republik, als unabhängigen und souveränen Staat.“ In der Erklärung wird auch die internationale Gemeinschaft aufgerufen, Katalonien als souveräne Republik anzuerkennen.
Madrid beruft Kabinettssitzung ein
Puigdemont hatte bereits mehrfach eine Vermittlung im Streit mit der Zentralregierung gefordert. Die spanische Zentralregierung wies Puigdemonts Erklärung als „inakzeptabel“ zurück. Puigdemont habe Katalonien „in die größtmögliche Ungewissheit gestürzt“, sagte die stellvertretende Ministerpräsidentin Soraya Saez de Santamaria in Madrid. Ministerpräsident Mariano Rajoy habe für Mittwochvormittag eine Kabinettssitzung einberufen, um „über die nächsten Schritte zu beraten“.
Katalonien: Aufruf zum Dialog
Der katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont verkündete bei seiner Rede, dass die Unabhängigkeit Kataloniens verschoben werde, vorerst liege der Fokus auf einem Dialog.
Puigdemont wisse offensichtlich nicht, „wo er steht, wohin er geht und mit wem er gehen will“, sagte die Vize-Ministerpräsidentin. Rajoys konservative Regierungspartei Partido Popular (PP) kritisierte das Vorgehen Puigdemonts im Kurzbotschaftendienst Twitter als „Anschlag auf den gesunden Menschenverstand“. Der Chef der Sozialisten in Katalonien, Miquel Iceta, kritisierte: „Man kann keine Erklärung aussetzen, die man gar nicht abgegeben hat.“
Demonstration vor Parlament
Rund 7.000 Befürworter der Unabhängigkeit waren vor der Rede in der Nähe des Parlaments in Barcelona zusammengeströmt. Auf Großbildschirmen verfolgten sie das Geschehen in und um das Regionalparlament. Immer wieder brandete Jubel auf, wenn Puigdemont vom Ergebnis des Referendums sprach, die Aussetzung der Unabhängigkeitsausrufung löste dann aber Enttäuschung aus. Es gab hier und da sogar Pfeifkonzerte.

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Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung versammelten sich unweit des Parlaments
Die katalanische Polizei hatte alle Zugänge zum Park, in dem das Parlament liegt, mit gepanzerten Fahrzeugen und Beamten mit automatischen Waffen abgeschirmt. Auch an Flughäfen und Bahnhöfen in Katalonien waren die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt worden.
Referendum bleibt umstritten
Sowohl das Referendum als auch sein Ergebnis sind in Spanien und auch in Katalonien umstritten. Die Befürworter der Unabhängigkeit hatten zuletzt jedoch an Boden verloren, nachdem am Sonntag Hunderttausende Menschen in Barcelona auf die Straße gegangen waren, um für die Einheit Spaniens zu demonstrieren. Die Organisatoren sprachen von einer Million, die städtischen Behörden von 350.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
Am 1. Oktober hatte Puigdemont ungeachtet eines Verbots durch das Verfassungsgericht und gegen den Willen der Zentralregierung in Madrid ein Referendum über die Unabhängigkeit abhalten lassen. Bei der von den Gegnern der Abspaltung mehrheitlich boykottierten Befragung gewann das „Ja“-Lager mit rund 90 Prozent, die Beteiligung lag jedoch bei nur 43 Prozent. Dennoch reklamierte Puigdemont anschließend, damit habe Katalonien das „Recht auf Unabhängigkeit“ erlangt.
Macron sieht keine Vermittlerrolle
Der französische Präsident Emmanuel Macron hofft auf eine friedliche Beilegung der Krise. Er sehe aber keine Rolle Europas, zwischen der Zentralregierung in Madrid und Katalonien zu vermitteln, sagte Macron, der von einem „Gewaltstreich der Katalanen“ sprach.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel rief zur Besonnenheit auf: „Jede Eskalation muss vermieden werden.“ Spanien durchlebe einen schweren Konflikt. „Ich hoffe, dass ein Dialog in Gang kommen kann und Lösungen gefunden werden, die der spanischen Verfassung entsprechen.“ EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker ließ unterdessen Gerüchte über mögliche Gespräche mit Katalonien dementieren. Derartige Meldungen seien „Fake News“, sagte seine stellvertretende Sprecherin Mina Andreeva.
Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon forderte, Madrid solle mit der Regierung in Barcelona über ein legales Unabhängigkeitsreferendum verhandeln. „Es ist Zeit, einen Weg vorwärts zu finden, einen Weg, der die Rechtsstaatlichkeit respektiert, aber auch die Demokratie und das Recht der Katalanen, ihre eigene Zukunft zu bestimmen.“ Die Schotten hatten im Jahr 2014 über eine Abspaltung von Großbritannien abgestimmt. Das Referendum war, anders als eine Abstimmung in Katalonien Anfang Oktober, von der Zentralregierung in London genehmigt worden. Eine Mehrheit der Schotten stimmte gegen die Unabhängigkeit.
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