„Für alle“ und „für jene, die es brauchen“
Von der Wiege bis zur Bahre - dieser Rundumversorgungsanspruch politischer Parteien ist im politischen Alltag ziemlich verblasst, in den Wahl- und Parteiprogrammen findet sich dieser Anspruch aber sehr wohl noch wieder. Und nirgendwo ist das offensichtlicher als in der Sozial-, Gesundheits- und Familienpolitik.
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Gerade in der Familienpolitik werden auch die bekannt unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Vorstellungen der Parteien deutlich. Im SPÖ-Programm findet sich so kein eigenes Kapitel Familie, die Themen sind vielmehr auf Bildung, Gesundheit und Alter, Frauen und Zusammenleben verteilt.
Die SPÖ will den Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem ersten Lebensjahr und ein zweites - gratis - verpflichtendes Kindergartenjahr, dazu österreichweit einheitliche Qualitätskriterien für Kindergärten. Dazu soll der bezahlte Papamonat - derzeit nur im Bundesdienst möglich - für alle kommen. Damit will die SPÖ die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ebenso erhöhen wie die Chancengleichheit für Frauen.
Alle für mehr Kinderbetreuung
Auch die ÖVP will das Kinderbetreuungsangebot ausbauen und auch einheitliche Qualitätskriterien - sie streicht dabei die „Wahlfreiheit des eigenen Lebensentwurfs“ hervor. Und sie fordert ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr „für jene, die es brauchen“ - gemeint sind damit die Kinder von Einwanderern.
Die FPÖ will die Familien „als Kernzellen der Gesellschaft“ fördern. Neben steuerlichen Anreizen, die in der einen oder anderen Form praktisch alle Parteien haben, wollen auch die Freiheitlichen mehr Kinderbetreuungsplätze schaffen. Sie setzen dabei auch auf Tagesmütter, für die ein eigenes Berufsbild definiert werden soll. Außerdem soll der Kündigungsschutz ausgedehnt werden, und zwar auf die maximale Dauer des Kindergeldbezugs.
NEOS spricht von „Familienzeit“ anstelle von Karenz. Diese soll maximal 20 Monate möglich sein, Mutter und Vater sollen diese auch gleichzeitig nehmen können. NEOS ist zudem für einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab dem zweiten Lebensjahr.

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/AK-Wiedereinstiegsmonitoring
Fünf Parteien für Homoehe
So wie auch SPÖ, Grüne, Liste Pilz und KPÖ Plus fordert NEOS die Homoehe - also die rechtliche Gleichstellung von lesbischen und schwulen Paaren.
Die Grünen wollen familienpolitisch zudem, dass Kindergärten und Horte längere Öffnungszeiten haben. Wie die SPÖ wollen sie einen Rechtsanspruch auf den Papamonat, darüber hinaus Männer aber stärker in die Kinderbetreuung einbinden, indem mehr Karenzmonate für Väter reserviert bleiben. Die Liste Pilz macht sich vor allem für eine Reform des Unterhaltsgesetzes stark und will ähnlich wie die Grünen den Väteranteil bei der Kinderbetreuung erhöhen. Die Freie Liste Österreich (FLÖ) bleibt im Programm allgemein und fordert vor allem „Wahlfreiheit in der Kindererziehung“.
Pläne zum Sozialsystem
Unter dem Überbegriff Sozialsystem lässt sich vieles subsummieren - im Zentrum stehen aber Krankenversicherung, Pensionen und Pflege. In diesen großteils solidarisch organisierten und finanzierten Systemen sind Eingriffe besonders schwierig und heikel. Trotzdem gibt es für eine weitgehende Maßnahme einen breiteren Konsens als bisher - nämlich dafür, die Zahl der einzelnen Sozialversicherungen zu verringern: So wie die FPÖ seit vielen Jahren will nämlich nun auch die ÖVP die derzeit mehr als 20 Kassen auf eine fusionieren. Auch NEOS und Grüne sind für eine Zusammenlegung.
Grundsätzlich wollen ÖVP und FPÖ den Zugang zum Sozialsystem für Nicht-Österreicher erst nach fünf Jahren ermöglichen - bei der Volkspartei sind es fünf Jahre Aufenthalt, bei der FPÖ müssen fünf Jahre Beiträge gezahlt worden sein. NEOS will möglichst viele Sozialleistungen zu einem „Bürgerinnengeld“ zusammenlegen und die Bezieher und Bezieherinnen selbst über die Verwendung entscheiden lassen. Die Liste Pilz ist wie die KPÖ Plus für ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Recht auf Psychotherapie
Die SPÖ will das bestehende System - sie spricht wörtlich von einem „tollen Gesundheitswesen“ - dagegen optimieren und hält falsches Sparen für „ungesund“. Die Leistungen der Kassen will die SPÖ angleichen und Selbstbehalte abschaffen, Wartezeiten für nötige Untersuchungen sollen verringert werden. Die ÖVP will regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen finanziell belohnen und ebenfalls Wartezeiten verkürzen. Die E-Card soll mit Foto ausgestattet werden.
Die Grünen plädieren, ähnlich wie die SPÖ, für das Recht auf Psychotherapie auf Krankenschein. So wie praktisch alle anderen Parteien auch fordert die FLÖ eine Stärkung von Hausarztpraxen (ohne eine konkrete Maßnahme zu nennen) und spricht sich gegen die Schließung von Bezirksspitälern aus.
Keine inhaltlichen Positionen
Roland Düringers Liste Gilt hat sich die „offene Demokratie“ und damit mehr Bürgerbeteiligung auf die Fahnen geschrieben.
Zu inhaltlichen Themen will sich die Liste deshalb im Wahlkampf nicht positionieren.
Ähnliches gilt für die Weißen, die für mehr direkte Demokratie eintreten.
Möglichst lange zu Hause
Auch im Pflegebereich gibt es - vergleicht man die Wahlprogramme - im Grundsätzlichen einen breiten Konsens, der da lautet: Pflegebedürftige sollen so lange wie möglich zu Hause betreut werden können. Allen ist zudem klar, dass die Kosten für Pflege in den kommenden Jahren und Jahrzehnten nach oben schnellen werden. Die SPÖ will daher einen „Pflegegarantiefonds“, der neben öffentlichen Mitteln aus der von ihr geplanten Erbschaftssteuer gespeist werden soll. 50 Prozent der Kosten für mobile Dienste sollen übernommen werden.
Das Pflegegeld soll zudem jährlich an die Inflation angepasst werden - eine Forderung, die auch FPÖ, Grüne und KPÖ Plus im Programm haben.
Bundesweit einheitliche Standards
Die ÖVP fokussiert ganz auf die Pflege zu Hause, will bürokratische Hürden beseitigen und einen One-Stop-Shop für Angehörige zur Beantragung von Förderungen etc. So wie die SPÖ und die Grünen will auch die ÖVP bundesweit einheitliche Regeln - etwa bei der Höhe des Pflegegelds und den -standards. Und es soll mehr psychologische Betreuung für Angehörige geben.
Die FPÖ will neben der Inflationsanpassung das Pflegepersonal aufwerten und besser bezahlen. Auch sollen mehr Pflegeheime gebaut werden. Auch die Liste Pilz ist für eine Aufwertung der Pflegetätigkeit, die FLÖ - ohne Konkretes zu nennen - will die Pflege „langfristig absichern“. Die KPÖ Plus will den Bezieherkreis von Pflegegeld erweitern.
Große Differenzen bei Pensionen
Ähnlich wie das Gesundheitssystem will die SPÖ auch das Pensionssystem „mit Fingerspitzengefühl“ reformieren. Die bereits eingezahlten Gutschriften sollen per Verfassungsgesetz - gegen eventuelle künftige Kürzungen - gesichert werden und Mindestpensionistinnen die SV-Rückerstattung in Höhe von derzeit 110 Euro jährlich erhalten.
So wie alle anderen Parteien ist auch die ÖVP für das Aus von Luxuspensionen. Der Schwerpunkt liegt für die ÖVP auf der Angleichung des tatsächlichen an das gesetzliche Pensionsantrittsalter und der langfristigen Finanzierbarkeit des Pensionssystems. Für jene, die bis 68 arbeiten, sollen die Aufschläge auf die Pension auf 5,5, Prozent angehoben werden. Außerdem sollen sie zwischen 65 und 68 von den Pensionsversicherungsbeiträgen befreit sein. Im Zusammenhang mit den Pensionen ist die ÖVP auch für die Anhebung der Einstiegsgehälter und parallel dazu für die Abschaffung der Biennalsprünge.
FPÖ und KPÖ für Mindestpension
Die FPÖ fordert die Anhebung der Mindestpension auf 1.200 Euro - und ist damit einer Meinung mit der KPÖ Plus. Ähnlich wie bei der Krankenversicherung will die FPÖ auch die Pensionssysteme harmonisieren. Die FLÖ fordert, Pensionen jährlich zumindest um die Inflation anzuheben. NEOS will das Pensionssystem flexibler machen und will jährlich über die zu erwartende Auszahlung informieren.
Die Grünen wollen eine Grundpension für alle in Höhe der Ausgleichszulage. Dazu soll dann bei allen, die einzahlen, die Erwerbspension kommen. Beides zusammen soll einen maximalen Betrag nicht übersteigen dürfen. Die dadurch bedingte Umverteilung soll das neue System laut Grünen kostenneutral machen.
Viele Ideen zu „leistbarem Wohnen“
Ein zentrales Thema - gerade für viele Junge, ob Singles, Paare oder Familien - ist das, was die Politik so gern „leistbares Wohnen“ nennt. ÖVP, FPÖ und NEOS haben ähnliche Positionen beim Erwerb einer Eigentumswohnung oder dem Bau eines Hauses. Die ÖVP will konkret beim Kauf einer Erstwohnung die Grunderwerbssteuer und die Gebühr für die Grundbuchseintragung erlassen (gedeckelt mit 20.000 Euro). Im sozialen Wohnbau soll es leichter möglich sein, eine Wohnung in Eigentum umzuwandeln.
Die FPÖ will allerdings auch eine Gebührenbremse bei Betriebskosten wie Wasser- und Kanalgebühren. Und die Freiheitlichen wollen Deutschkenntnisse zur Bedingung machen, um eine geförderte Wohnung bekommen zu können. Zudem sollen österreichische Staatsbürger bevorzugt werden. NEOS will Wohnungseigentum durch mehr Konkurrenz auf dem Immobilienmarkt billiger machen. Und auch weniger Vorschriften und eine Entbürokratisierung sollen dabei helfen.
Weniger Befristung und Mietobergrenze
Der Fokus von SPÖ, Grünen, KPÖ Plus und Liste Pilz liegt dagegen vor allem beim Mieten. Eigentümer sollen bei der Befristung von Mietverträgen eingeschränkt werden. Das Richtwertsystem soll zu einer „vereinheitlichten Preisbildung“ werden, das Stichwort dazu lautet Mietobergrenze. Diese soll bundesweit einheitlich und für alle Wohnungen gelten - mit Ausnahme der frei finanzierten. Auch die Betriebskosten sollen sinken.
Die FLÖ will leistbare Wohnungen für die Jugend und generell den Wohnbau ankurbeln. Für die Grünen ist „leistbares Wohnen“ „ein Grundbedürfnis und kein Spekulationsgut“. Neben der Mietobergrenze, sie soll Wohnungseigentürmern „die Erhaltbarkeit bei einer konservativen Verzinsung“ sichern, wollen die Grünen, so wie alle anderen Parteien, den Wohnbau ankurbeln. Außerdem wollen sie die Zweckwidmung wiedereinführen.
Von Kinderbetreuung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Maßnahmen gegen die steigenden Kosten fürs Wohnen über Gesundheitsversorgung und Pflege bis hin zu Pensionen - die Programme der Parteien spiegeln in der Zusammenschau auch eine Vielzahl unterschiedlicher gesellschaftspolitischer Lebensentwürfe wider.
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Guido Tiefenthaler, ORF.at