Vorwürfe dominierten Duell
Kaum Gleichklang hat es am Donnerstagabend bei der TV-Konfrontation zwischen der Grünen-Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek und ÖVP-Chef Sebastian Kurz gegeben. Bei allen Bemühungen um Sachlichkeit wurden die thematischen Unterschiede nur allzu deutlich. Nicht nur beim Thema Migration gingen die Meinungen auseinander.
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Lunacek befand gleich zu Beginn des TV-Duells, dass es schwer sei, einen Grund zu finden, wieso Frauen die ÖVP wählen sollten. „Es gibt viele Punkte, wo die ÖVP nicht bereit ist, Schritte nach vorn zu machen“, so Lunacek. Frauen könnten die ÖVP wählen, „vielleicht weil ihnen der Herr Kurz gefällt“. Ähnlich wenig Grund sah Kurz für Frauen darin, die Grünen zu wählen. Ihnen gebühre zwar Respekt für ihre frauenpolitischen Leistungen in der Vergangenheit. Aber bei heutigen Herausforderungen wie dem politischen Islam seien die Grünen „oftmals ein bisschen blind“, so Kurz. Dieser sei für viele Frauen ein großes Thema.
„Trennung von Religion und Staat ist mir ganz wichtig“
Außenminister Kurz thematisiert die Problematik rund um islamische Kindergärten. Grünen-Spitzenkandidatin Lunacek will „keine extremistische Richtung“ in Kindergarten oder Schule sehen, „egal, welche“.
Lunacek kritisierte, Kurz schlage bei allen Belangen eine Brücke zum Thema Zuwanderung. Die Augen verschließe man bei den Grünen nicht vor solchen Problemen. So habe die grüne Frauensprecherin Berivan Aslan etwa Morddrohungen erhalten, gerade weil sie gegen Islamismus aufgetreten sei.

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Lunacek kritisierte, ÖVP-Chef Kurz kehre immer wieder zum Thema Migration zurück
Man müsse an vielen Ecken und Enden ansetzen, bei der Bildung ab dem Kindergarten angefangen, um Integration zu fördern. Deshalb forderten die Grünen zwei verpflichtende Kindergartenjahre für alle Kinder. Auch in islamischen Kindergärten brauche es mehr Kontrolle, so Lunacek. Es dürfe keine Art von extremistischer Ausrichtung geben, „das Prinzip der Säkularität ist mir ganz wichtig“. Auch die Arbeit mit jungen Migranten sei bedeutsam. „Da gibt es sicherlich mehr, wo Sie als Integrationsminister mehr hätten tun können.“
„Falsch verstandene Toleranz“
Kurz konterte, man dürfe nicht „mit falsch verstandener Toleranz“ vorgehen. „Ich glaube, es ist ein Problem, wenn Kinder schon im Alter von drei Jahren abgeschottet aufwachsen und eine Wertehaltung vermittelt bekommen, die nicht der Wertehaltung der Mehrheitsgesellschaft entspricht.“ Hier gebe es nach wie vor viel zu tun. Der Erfolg der Integration hänge aber auch von der Zahl der zu Integrierenden ab, so der ÖVP-Chef. Die Frage der Moderatorin Claudia Reiterer, ob Kurz ein Feminist sei, wollte er nicht bejahen. „Das brauche ich nicht zu sagen, ich habe mich immer für Gleichstellung eingesetzt.“
Auch das saudi-arabische König-Abdullah-Zentrum in Wien sorgte für eine Auseinandersetzung zwischen den beiden Spitzenkandidaten. Kurz sperrte sich gegen eine Schließung, stelle das Zentrum doch die Möglichkeit zum interreligiösen Dialog bereit. Man sei gegen die Politik Saudi-Arabiens, sich etwa am Balkan einzumischen, aber deshalb schließe man die Botschaft nicht und auch nicht das Zentrum.
„Sie sind stockkonservativ“
Für die Grünen wäre eine Schließung hingegen eine Option, Druck auf Saudi-Arabien auszuüben. Man demonstriere seit Jahren jeden Freitag vor dem Institut, um auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen. So sitze der Sacharow-Preisträger des EU-Parlaments, Raif Badawi, seit vier Jahren im Gefängnis. „Das Zentrum ist nicht bereit, mit nur einem Wörtchen zu sagen, dass das eine Menschenrechtsverletzung ist“, sagte Lunacek.
„Das ist Diskriminierung“
Die Ehe für alle ist für ÖVP-Chef Kurz nicht erstrebenswert. Lunacek findet dafür kein Verständnis.
Beim Thema Ehe für alle verfestigten sich nur die Positionen: Kurz sieht laut eigener Aussage keine Diskriminierungen mehr zwischen Ehe und Verpartnerung. „Ich halte es für legitim und richtig, dass es in der Begrifflichkeit Unterschiede gibt.“ Eine allfällige Abstimmung würde er daher nicht, so wie in Deutschland geschehen, für seine Abgeordneten freigeben. Lunacek sagte, die Ehe sei Rechtsinstitut und Ritual. Wieso Kurz hier die Unterschiede nicht aufheben wolle, „ist mir wirklich nicht verständlich. Da sind Sie stockkonservativ.“

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Kurz sagte, er habe sich in der Politik stets für Gleichstellung eingesetzt
Fake-News-Vorwurf gegen Kurz
Vorwürfe äußerte Lunacek auch beim Thema Entwicklungszusammenarbeit. „Sie sprechen immer davon, dass Sie sehr viel mehr tun bei der Hilfe vor Ort“, die Wahrheit sei aber eine andere, so die grüne Kandidatin. So stelle die ÖVP auf ihrer Website eine Grafik zur Schau, die Österreich bei den Mitteln für Entwicklungszusammenarbeit an vierter Stelle in Europa ausweise. Die Grafik sei manipuliert so Lunacek. Die Originaldarstellung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Europa (OECD) zeige noch weitere acht Länder vor Österreich im Ranking. Diese Länder habe man auf der ÖVP-Website weggeschnitten.
„Sie manipulieren Darstellung von Daten“
Lunacek zeigt eine Grafik mit OECD-Zahlen zur Entwicklungszusammenarbeit. „Sie haben die besten Länder einfach weggeschnitten“.
„Sie manipulieren auf Ihrer Website die Darstellung offizieller Daten. Das ist eine Form, Wahlkampf zu führen, die ähnlich ist mit den Fake News von Herrn Trump“, so Lunacek. Kurz antwortete, er habe gesagt, Österreich liege im europäischen Mittelfeld. Seit er Außenminister sei, habe sich der Umfang des Auslandskatastrophenfonds vervierfacht, die bilateralen Mittel verdoppelt. Die Grafik könne er sich gern anschauen, „aber es zählt, was ich sage“, so Kurz.
„Belassen wir es dabei“
Auch beim Thema CETA, dem Freihandelsabkommen der EU mit Kanada, gab es nicht mehr Harmonie. Kurz befürwortete den Deal grundsätzlich, da viele Jobs in Österreich vom Freihandel abhingen. Lunacek verwahrte sich gegen CETA, da es nun möglich sei, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel ungekennzeichnet nach Europa kommen. Für die Grünen sei es daher eine Koalitionsbedingung, dass CETA durch den Nationalrat zurückgezogen werde. Das Parlament müsse den Vertrag noch ratifizieren, derzeit gebe es eine Mehrheit gegen den Deal.
CETA „halte ich grundsätzlich für ein gutes Abkommen“
Das Freihandelsabkommen CETA brachte auch keinen Konsens hervor. „CETA ist beschlossene Sache“, so Kurz. Wichtig sei, dass Österreichs Rechtssystem nicht ausgehöhlt werde.
Mit der ÖVP sieht Lunacek derzeit kaum Überschneidungsmengen. Ausschließen wollte sie eine Koalition dennoch nicht - ebenso wie Kurz: „Sie wissen ja, ich habe noch nie eine Koalition ausgeschlossen.“ Aber schon rechnerisch wäre etwa eine Koalition aus ÖVP, Grünen und NEOS „eine extrem hypothetische Frage“, sagte Kurz. „Sie hat ihre Vorstellungen, ich meine“, lautete das Fazit Kurz’ nach dem 50-minütigen Austausch: „Sie freuen sich, wenn viele die Grünen wählen, ich, wenn viele die neue Volkspartei wählen. Belassen wir es dabei.“
Im anschließenden Faktencheck in der ZIB2 kam noch einmal die angeführte Grafik zu den Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit zur Sprache. Die originale OECD-Darstellung weise tatsächlich mehr Länder im Ranking aus als die Grafik auf der ÖVP-Website.
„Kurz ist da schon ein bisschen beim Holzhammer“
Politologe Filzmaier analysiert das TV-Duell zwischen Lunacek und Kurz.
Den Vorwurf Lunaceks, ihr Kontrahent komme bei jedem Thema auf Migration zu sprechen, untermauerte Politologe Peter Filzmaier in der Analyse. Es sei das Metathema der ÖVP, eine Kommunikationsstrategie, bei der man ein Thema mit jedem andere verknüpfe. Auch die Grünen hätten ihre Metathemen. Kurz betreibe diese Taktik mit einem Holzhammer. Kurz sei zum Gewinnen der Wahl verdammt, so Filzmaier, auch ein knapper Sieg würde wohl als Misserfolg angesehen werden, „paradoxerweise, weil er selbst die Erwartungen so hochgeschraubt hat“, so Filzmaier.
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