Themenüberblick

Differenzen über Rolle Brüssels

Ausgesprochen sachlich und fair ist Mittwochabend das ORF-TV-Duell zwischen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und NEOS-Listenzweiter Irmgard Griss verlaufen. Inhaltlich wurde freilich vor allem klar, was die beiden Listen voneinander trennt, insbesondere in der Europapolitik.

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Griss kam Mittwochabend zum Zug, weil NEOS-Spitzenkandidat Matthias Strolz den „TV-Joker“ zog, während sich zuvor Strache im Duell mit Grünen-Chefin Ulrike Lunacek von Norbert Hofer vertreten ließ.

Gleich zu Beginn ging es um die Frage Europa und Neutralität. So betonte Strache, dass Österreich seine Neutralität auf jeden Fall behalten müsse und seine Vermittlerrolle wieder stärker wahrnehmen solle. Griss wiederum betonte: Dass bei NEOS im Wahlprogramm stehe, die Neutralität sei obsolet, beziehe sich nur darauf, dass das Land keinem Militärbündnis, konkret der NATO, beitreten dürfe.

„Zwei Paar Schuhe“

NATO und EU sind für Griss „zwei Paar Schuhe“. Für Strache ist ein Mitmachen bei einer EU-Verteidigungspolitik nicht mit der Neutralität vereinbar.

Das gelte weiterhin, so Griss, die aber dafür eintrat, dass Österreich sich an einer europäischen Verteidigungspolitik aktiv beteiligt. NATO-Mitgliedschaft und europäische Verteidigung seien „zwei Paar Schuhe“, so Griss. Strache widersprach und betonte, dass das de facto eine Verschränkung mit der NATO bedeute, was Griss wiederum so nicht stehen lassen wollte.

Wahl-Duell FPÖ - NEOS

ORF/Hans Leitner

Griss verteidigt die EU gegen Straches Vorwurf, diese sei zentralistisch

Keine Annäherung bei Europapolitik

Keinerlei Annäherung war im Duell zwischen den beiden Seiten beim Thema Europapolitik wahrzunehmen. Dieses trennt die beiden Seiten am meisten, und für das betont proeuropäische NEOS ist die FPÖ-Position auch der Grund, eine Koalition mit den Freiheitlichen auszuschließen. Strache betonte, Europa dürfe kein Zentralstaat sein und meinte, „da und dort“ solle Brüssel auch wieder „Rechte an die Nationalstaaten“ abgeben.

Griss hielt dagegen, die EU sei nicht zentralistisch. Es gehe darum, dass jene Aufgaben, die von der EU „besser erfüllt werden können“, auch dort passieren sollen. Und darunter falle auch der Schutz der Außengrenzen.

Staatsbürgerschaft und Wahlrecht

Der Einstellung von NEOS zur Staatsbürgerschaft kann Strache gar nichts abgewinnen.

Griss bei Wahlrecht in Defensive

In die Defensive geriet Griss zwischenzeitlich beim Thema Wahlrecht. Hier sieht das NEOS-Programm ein Wahlrecht unabhängig von der Staatsbürgerschaft vor - und zwar nicht nur auf kommunaler Ebene und nicht nur für EU-Bürger, wie es bereits jetzt nach EU-Recht der Fall ist.

„Ich weiß nicht, ob sie (gemeint: NEOS, Anm.) diese Extremposition vertreten“, so Griss sichtlich überrascht. Griss betonte dann, wenn Menschen zehn oder 20 Jahre hier lebten und Steuern zahlten und sich voll integriert fühlten, dann verstünden sie nicht, warum sie nicht wählen dürften. Und Griss verwies auf deutsche Staatsbürger. Auf die Nachfrage, dass es aber hier nicht um EU-Bürger gehe, sprach Griss selbst von einer „Extremposition“, die aber zu überlegen wäre.

Strache zeigte sich entrüstet. Die Staatsbürgerschaft dürfe nicht zum „Geschenksartikel“ verkommen. Was in den Augen von NEOS die Staatsbürgerschaft überhaupt noch ausmache, betonte Griss: das unbeschränkte Aufenthaltsrecht. In puncto Doppelstaatsbürgerschaft - NEOS dafür, FPÖ dagegen - warf sie Strache vor, dieser gehe davon aus, dass ein Mensch nicht zwei Staaten gegenüber loyal sein könne. Strache widersprach: Es gehe um Rechte und Pflichten.

Österreich als Einwanderungsland

Was Strache strikt ablehnt, ist für Griss eine Notwendigkeit, verbunden mit klaren Regeln. Doch Zuwanderung von Fachkräften, die die Wirtschaft benötigt - darauf können sich die Kontrahenten einigen.

Übereinstimmung bei Zuwanderung

Beim Thema Einwanderung gab es eine Übereinstimmung, wie Moderator Tarek Leitner resümierte. Tatsächlich betonte Griss, Österreich brauche ein klares System - und nannte Kanada und Australien als Vorbild. Wo es Bedarf an Arbeitskräften gebe, da sollten gezielt Menschen ausgewählt werden - und vom ersten Tag an gut betreut werden. Auch Strache sprach sich dafür aus, so wie im FPÖ-Programm festgehalten, dass es bei Bedarf sektoral „qualifizierte Zuwanderung“ geben solle.

Wahl-Duell FPÖ - NEOS

ORF/Hans Leitner

Strache geht das „Burkaverbot“ nicht weit genug

Gegensätzliche Positionen bei „Burkaverbot“

Beim Thema Gesichtsverschleierung, gemeinhin als „Burkaverbot“ bezeichnet, klafften die Positionen dagegen wieder auseinander. Griss sprach von einer „reinen Symbolpolitik“. Die Möglichkeiten der Integration sollten stattdessen verbessert werden. Freilich müsse auch klar festgehalten werden, an welche Regeln und Werte sich Zuwanderer zu halten hätten.

Für Strache sind die Burka und auch das - vom nun in Kraft tretenden Verbot nicht erfasste - Kopftuch dagegen Zeichen eines „politischen Islam“. Dagegen vorzugehen heißt für Strache auch, gegen die Unterdrückung von Frauen zu kämpfen. Griss verwies darauf, dass viele Frauen die Kopfbedeckung freiwillig und gerne tragen würden, worauf Strache replizierte: Privat sei das in Ordnung, aber nicht im öffentlichen Raum.

Liberalisierung der Ladenschlusszeiten

Die Sonntagsruhe, soweit es sie noch gibt, ist Strache „heilig“. Griss sieht Unternehmer dadurch unnötig eingeschränkt.

Sonntagsöffnung und Betriebsvereinbarungen

Auch bei der Sonntagsöffnung wurden die Differenzen zwischen NEOS und FPÖ sichtbar: Griss sprach sich für eine Freigabe der Sonntagsöffnung aus. Arbeitnehmer seien durch Schutzbestimmungen ohnehin geschützt. Strache verteidigte dagegen den Sonntag als „heilig“ und als Tag für die Familie, zumindest für viele Branchen.

Auf einer Linie sind beide Seiten bei der Pflichtmitgliedschaft in den Kammern. Griss betonte darüber hinaus aber, der Wildwuchs bei der Vielzahl an Kollektivverträgen müsse bereinigt werden. Betriebsvereinbarungen sollten mit KVs gleichgestellt werden, so Griss. Dass die Arbeitnehmer dadurch unter Druck geraten würden, wollte Griss nicht gelten lassen. Das Gros der Rechte sei gesetzlich verankert, die Entlohnung solle aber Verhandlungssache auf Betriebsebene sein.

Strache: „Weg mit Kammerzwängen“

Strache ging darauf nicht ein, sondern wiederholte die generelle Kritik an den Pflichtmitgliedschaften und forderte einmal mehr: „weg mit den Kammerzwängen“.

Zusammenarbeit zwischen FPÖ und NEOS

Für Griss ist die Europafrage das Um und Auf für eine mögliche Kooperation in einer Koalition. Zusammenarbeit in einzelnen Fragen ist für sie davon unberührt. Strache findet das hingegen „problematisch“.

Gemeinsam mit der FPÖ in eine Koalition zu gehen kann sich Griss wegen der FPÖ-Haltung zu Europa derzeit nicht vorstellen, hält das Szenario aber sowieso grundsätzlich für unwahrscheinlich. Strache betonte, eine solche kategorische Ablehnung sei demokratiepolitisch „problematisch“. Und Strache warnte einmal mehr vor einer Neuauflage einer Koalition von „Schwarz-Rot“. Um das zu verhindern, brauche es die FPÖ.

Analyse der Konfrontation

Politikwissenschaftler Peter Filzmaier analysiert die TV-Debatte in der ZIB2.

Dass Griss einmal für die Liste mit NEOS zum Zug kam, hat - so der Politologe Peter Filzmaier in einer Kurzanalyse nach der Debatte - damit zu tun, dass sie als Hofburg-Kandidatin viel mehr Wählerinnen und Wähler ansprach als NEOS. Das gelte vor allem für ihre Heimat Steiermark, wo NEOS besonders schwach sei. Griss sei - etwa beim Wahlrecht - „ein bisschen in einen Schwimmkurs“ geraten, so Filzmaier. Strache wiederum habe mit seinem klaren Bekenntnis zur Neutralität punkten können. Griss’ Ansage, für NEOS komme wegen der Differenzen in der Europafrage mit der FPÖ eine Koalition nicht infrage, kommentierte Filzmaier damit, dass Strache das nicht einmal ernst genommen habe.

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