„Abgehoben sind wir nicht“
SPÖ-Chef Christian Kern und die grüne Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek haben beim ORF-TV-Duell bei vielen Themen gemeinsame Ziele gefunden - nicht immer waren sie sich aber über den Weg dorthin einig. Bei Themen wie CETA, aber auch dem Zugang zur FPÖ zeigten sich dann schließlich doch teils erhebliche Differenzen.
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Von Moderatorin Claudia Reiterer an seine Zeit bei der Alternativen Liste Simmering und damit einem Vorläufer der Grünen erinnert, verwies Kern gleich zu Beginn der TV-Konfrontation auf eine seitdem deutlich veränderte politische Landschaft.
Damals noch Grund für den Wechsel zur SPÖ, will Kern den Grünen jedenfalls schon lange nicht mehr vorwerfen, zu abgehoben von den Problemen der Menschen zu sein. „Abgehoben sind wir nicht“, konnte Lunacek dem nur zustimmen. Die Grünen würden ganz im Gegenteil die zentralen Zukunftsthemen ansprechen, wie die grüne Spitzenkandidatin in diesem Zusammenhang betonte.
Von der Alternativen Liste Simmering zur SPÖ
Gleich zu Beginn wird Kern an seine politische Vergangenheit bei der Alternativen Liste Simmering erinnert. Wie abgehoben seien die Grünen, will Reiterer mit Verweis auf Kerns Austrittsgrund von Lunacek wissen.
Beschäftigungsbonus und CETA
Bei einigen Themen zeigte sich dann, dass SPÖ und Grüne das gemeinsame Ziel eint. Die Wege dorthin seien jedoch unterschiedlich, stellte Kern mehrmals fest. Beim Thema Arbeitslosigkeit etwa verteidigte der SPÖ-Chef den Beschäftigungsbonus für Unternehmen. Lunacek fehlt hier jedoch ein Ansatz in Richtung Energiewende, denn damit könnten mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, zeigte sich die Europaabgeordnete überzeugt.

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Lunacek wirft Kern vor: „Sie haben CETA zugestimmt“
Lunacek nutzte auch gleich die Gelegenheit, ihre Kritik am EU-Kanada-Handelsabkommen (CETA) anzubringen. Der handelspolitische Teil sei nun in Kraft und gefährde Jobs in Österreichs kleinen Landwirtschaftsbetrieben, mahnte die Grünen-Spitzenkandidatin. Der Kanzler verwies darauf, dass ihm eine ausgewogene Meinung wichtig sei und er das Beste aus dem Abkommen machen wolle. Was die internationalen Schiedsgerichte anbelangt, versicherte er, dass es hierfür unter seiner Kanzlerschaft keinen Beschluss geben werde.
Grüne näher an der Gewerkschaft als SPÖ?
Beim Thema Arbeitszeitmodelle geht es unter anderem um die Frage, ob die Grünen mit ihrer Forderung nach einer 35-Stunden-Woche näher an der Gewerkschaft sind, als die SPÖ.
„Brauchen nicht ungerecht werden“
Kern sprach sich zwar grundsätzlich dafür aus, dass die Familienbeihilfe für Kinder im Ausland an das dortige Niveau angepasst werden sollte, räumte aber ein, dass das derzeit auf EU-Ebene nicht umsetzbar sei. Lunacek gab zu bedenken, dass die Familienbeihilfe für viele Pflegerinnen aus dem Ausland ein Teil des Einkommens ist. Sie fürchte daher entweder höhere Pflegekosten oder ein Nachholen der Kinder, was volkswirtschaftlich erst recht teurer käme. Kern erklärte daher, es brauchte eine anständige Bezahlung und Ausbildung der Pflegerinnen, und dem stimmte auch Lunacek zu.
Kampf gegen Arbeitslosigkeit
Beim Beschäftigungsbonus, den die SPÖ als Mittel gegen die Arbeitslosigkeit in den Wahlkampf bringt, sind Kern und Lunacek nicht einer Meinung.
Nicht teilen wollte Kern schließlich Lunaceks Vorwurf, dass er das als Bundeskanzler schon machen hätte können. „Sie brauchen nicht ungerecht werden“, so Kern, der gleichzeitig Lunacek daran erinnerte, dass Kollektivverträge nicht vom Kanzler ausverhandelt werden.
Paarlauf bei Bildung
Eine generelle Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden, wie sie von den Grünen gefordert wird, lehnte der SPÖ-Chef mit Verweis auf die gerade boomende Wirtschaft ab. Dass durch die Digitalisierung Tausende Jobs verloren gehen könnten, erkannten beide. Kern ortete hier aber auch eine Chance, weswegen es nun auch darum gehe, so viele IT-Jobs wie möglich in Österreich zu schaffen. Gleichzeitig gelte es aber auch Lösungen für all jene zu finden, die hier nicht mehr mitmachen können. Während Kern etwa „lebenslanges Lernen“ ansprach, war es bei Lunacek „Bildung, Bildung, Bildung“ und damit Einigkeit mit diversen Worten - oder „ein Paarlauf“, den Reiterer dann auch bei weiteren Punkten beim Themenschwerpunkt Bildung ortete.
Abschied vom Verbrennungsmotor
Gänzlich uneinig war man sich bei der Interpretation des Dieselgipfels. Lunacek kritisierte hier Kern als Regierungsspitze und vermisste Ergebnisse. Sie forderte in diesem Zusammenhang einmal mehr, dass es ab 2030 keine Neuzulassung fossiler Fahrzeuge geben dürfe. Kern will den Ausstieg von den Verbrennungsmotoren indes auf freiwilliger Basis erreichen und nannte mit dem Ausbau eines E-Tankstellennetzes, aber auch mit erschwinglichen Elektroautos zwei hier noch auf Umsetzung wartende Punkte.

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„Ich bin nicht der VW-Konzern“, kontert Kern Lunaceks Vorwürfe in Sachen Dieselskandal
Nicht nachvollziehen konnte Kern schließlich Lunaceks Vorwurf, dass bei der Bewältigung des Dieselskandals keine Nägel mit Köpfen gemacht worden seien und die Autoindustrie etwa zu keinen Entschädigungen „vergattert wurde“. Kern warf Lunacek hier eine „polemische Zuspitzung“ vor. „Mit Verlaub, ich bin dem Rechtsstaat verpflichtet“, erinnerte der Kanzler zudem an die Zuständigkeit der Gerichte. Bei den von Lunacek ebenfalls kritisierten Prämien für den Neukauf von Fahrzeugen solle sich Lunacek zudem an die zuständigen Autokonzerne wenden. „Ich bin nicht der VW-Konzern“, sagte Kern.
„Wunderbar“
Ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge in Wien kann sich Lunacek vorstellen, wenn es Sinn hat - das müsse aber die Stadt selbst entscheiden. Generell plädierte Lunacek aber für einen Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel und nannte hier die neue Jahreskarte von Wien als positives Beispiel, die bereits eine „massive“ Reduzierung des Individualverkehrs mit sich gebracht habe. Kern lehnt ein Fahrverbot zwar ab - sehr wohl seien aber Lösungsansätze gefragt, wobei Kern hier etwa auf die Förderung eines österreichischen E-Lkw-Projekts verwies.
„Wunderbar“, erntete Kern hier auch Lunaceks Zustimmung. „Sehr erfreut“ zeigte sich diese dann auch darüber, dass Kern ausgerechnet am Dienstag zu einer Pressekonferenz zum Thema Glyphosat geladen hatte. Scherzhaft sah sie in einem wöchentlichen TV-Duell hier auch eine Möglichkeit, Umweltthemen weiter voranzutreiben.
„Mir sind alle recht“
Kern sagt auf Lunaceks Warnung vor taktischen SPÖ-Wählern: „Mir sind alle Stimmen recht.“
„Taktisches Wählen halte ich für falsch“
Lunacek will sich für die Wahl nun die deutschen Grünen zum Vorbild nehmen, diese hätten in den vergangenen Wochen ebenfalls dazugewonnen. Sollte es die entsprechenden Mehrheiten geben, würde sie auch gerne in die Regierung gehen, wobei Lunacek hier eine Koalition mit der FPÖ strikt ausschloss. Die Freiheitlichen seien schon allein wegen der proeuropäischen Haltung der Grünen „kein Partner“. Gleichzeitig warnte Lunacek davor, nur aus taktischen Gründen die SPÖ zu wählen - dann könne es sein, dass man mit Rot-Blau aufwacht.
„Schätze jede Stimme“
„Das sagen Sie jetzt aus taktischen Gründen“, konterte Kern, der zudem sagte: „Aus welchen Motiven jemand SPÖ wählt - ich kann Ihnen sagen, mir sind alle recht, ich schätze jede Stimme.“ Was die FPÖ anbelangt, solle man sich den Rechtspopulisten stellen. Einen Grund für die Wahlschlappe der SPD in Deutschland ortete Kern in diesem Zusammenhang auch, diese habe sich einer Konfrontation mit der AfD weitgehend verweigert.
„Diese Wahl ist eine Richtungsentscheidung. Wenn man Schwarz-Blau verhindern will, dann gibt es eine Adresse, das ist die SPÖ.“ Der Kanzler stellte weiters fest: „Ich habe einen Job sausen lassen, der mir ein Millioneneinkommen beschert hätte. Ich hab das nicht gemacht, weil ich beim ersten Gegenwind dann sage, das interessiert mich nicht mehr. Mein Ziel ist es, zehn Jahre unser Land zu gestalten.“
Von gegenseitigem Respekt geprägte Konfrontation
Die Debatte war im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen TV-Duellen von gegenseitigem Respekt geprägt. Laut dem Politologen Peter Filzmaier waren Kern und Lunacek dennoch um Abgrenzung bemüht.
Filzmaier im „Team kultiviert“
Angesichts der in Sozialen Netzwerken vielfach als angenehm kultiviert, auf der anderen Seite aber auch als fad und somit durchaus widersprüchlich eingestuften Debatte sah sich der Politologe Peter Filzmaier eindeutig dem „Team kultiviert“ zugehörig. Nur weil eine Debatte nicht auf der Blutwiese stattfinde, sei sie nicht langweilig, wie Filzmaier in seiner ZIB2-Analyse dazu sagte.
Während man bei den bisherigen TV-Duellen (Lunacek vs. FPÖ-Vize Norbert Hofer und Kern vs. NEOS-Chef Matthias Strolz, Anm.) noch „nahezu körperlich“ eine Abneigung gespürt habe, sei das Duell Kern vs. Lunacek zudem selbst bei abweichenden Meinungen von Respekt getragen gewesen. Aus Filzmaiers Sicht waren Kern und Lunacek trotzdem um Abgrenzung bemüht. Die beiden wollten demnach nicht den Eindruck eines Paarlaufes erwecken.
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