Beispiele aus dem „echten Leben“
SPÖ-Vorsitzender Christian Kern und NEOS-Chef Matthias Strolz haben am Donnerstag bei der zweiten ORF-Konfrontation zur Nationalratswahl die unterschiedliche Grundkonzeption ihrer Politik deutlich illustriert. In der recht sachlichen Debatte gab es aber auch einige Annäherungen.
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Sowohl Kern als auch Strolz versuchten im TV-Duell, ihre Argumentation mit Beispielen aus dem „echten Leben“ zu untermauern. Zur Illustration der „Lebensrealitäten“ schilderten beide den Alltag von Bekannten und Zufallsbekanntschaften. Und offenbar buhlten beide vor allem um Wählerinnen, zumeist handelte es sich bei den Beispielen um Frauen.
Große Differenzen bei Steuern
Deutliche Differenzen zeigten sich in der Debatte über Steuern. Strolz forderte, die Ausnahmen beim Mehrwertsteuersatz abzuschaffen - mit der Ausnahme Tourismus, dieser Sektor stehe im harten internationalen Wettbewerb. Kern wiederum wiederholte den Plan der SPÖ, Wenigverdiener und Klein- und Mittelbetriebe zu entlasten. Bei den Steuerkonzepten der anderen Parteien - auch von NEOS - sei er sehr skeptisch, was die Gegenfinanzierung betreffe, so Kern.

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Kern versuchte, soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt zu stellen
Streitpunkt Erbschaftssteuer
Auf keinen grünen Zweig kamen die beiden insbesondere bei der von der SPÖ vorgeschlagenen Erbschaftssteuer: Alle, „die mehr als eine Million erben, sollen eine Beitrag an die Gesellschaft leisten“, so Kern. Das würde auch nur zwei Prozent der Menschen betreffen.
Erbschaftssteuer, Vermögenssteuer und Transparenzdatenbank
Bei den Konzepten von NEOS und SPÖ in Sachen Steuern gibt es wenig Gemeinsames.
Strolz entgegnete, mit der Grunderwerbssteuer und der Immobilienertragssteuer gebe es ohnehin bereits eine „Erbschaftssteuer light“. Und solange die Belastung in Österreich so „exorbitant“ sei, wolle er keine neuen Steuer. Er kritisierte auch die Erhöhung der Kapitalertragssteuer 2016. Diese wiederum verteidigte Kern: 2016 seien die Dividenden um 30 Prozent gestiegen, Realeinkommen nur um 0,5 Prozent. Das sei Ungleichheit zugunsten von Vermögensbesitzern.
Wohnen: Strolz sieht „kommunistische“ SPÖ-Pläne
Auch beim Thema Wohnen wurden die Differenzen zwischen SPÖ und NEOS klar. Dass seine Partei den SPÖ-Vorstoß am Mittwoch im Nationalrat abgelehnt hatte, erklärte Strolz damit, dass eine gesetzliche Preisfestlegung ein „Modell wie in kommunistischen Staaten“ sei - und diese seien ja gescheitert. Mit solch einer Politik würde nur das Angebot auf dem Markt reduziert.
Wohnbau und gesetzliche Höchstpreise für Grundnahrungsmittel
Die beiden lieferten sich einen harten Schlagabtausch zum Thema Wohnen.
Kern wiederum führte die gestiegenen Renditen für Zinshausbesitzer und die Gewinne von Immobilienspekulanten ins Treffen. Die Praxis habe gezeigt, dass der Markt nicht funktioniere, und dort müsse man eingreifen. Das betreffe aber auch den sozialen Wohnbau, konterte Strolz und attackierte den „Mietadel“, wozu er auch die SPÖ ob ihrer geringen Quadratmetermiete der Parteizentrale in Wien zählte. Auch die Privilegien der Wohnbaugenossenschaften müssten durchleuchtet werden.
Einigkeit bei transparenten Förderungen
Umgekehrt warf Strolz dem Kanzler vor, beim NEOS-Vorschlag zur Abschaffung der Kalten Progression nicht mitgestimmt zu haben, und vermutete eine Justament-Ablehnung von Ideen der politischen Konkurrenz: „Das ist ein Reflex, wenn eine Idee von der Opposition kommt: ‚Da machen wir nicht mit‘“. Kern verteidigte das am deutschen Vorbild orientierte SPÖ-Modell zur kalten Progression. Der NEOS-Antrag hätte die kleinen Einkommen nicht entlastet, so der Kanzler. Dem widersprach Strolz.

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Strolz betonte die Wahlfreiheit der Einzelnen
Einig waren sich die beiden, dass die Transparenzdatenbank für Förderungen „gefüllt“ werden muss. Strolz attackierte die Landeshauptmänner: Die „Fürsten der Finsternis“ würden die Regierung „verhöhnen“, keine Daten öffentlich machen, und es gebe Doppel- und Dreifachförderungen. Kern stimmte zu und bot sich als „Verbündeter“ an, für Strolz war das zu wenig: „Hauen Sie auf den Tisch, Sie sind Kanzler.“
Flexibler arbeiten?
Auf der Suche nach den „Lebensrealitäten“ der Menschen machten sich beide bei den Themen Arbeit und Pensionen. Beim Thema Arbeitszeitflexibilisierung warnte Kern vor einem Wegfall der Überstundenentlohnung. Man brauche intelligente Modelle - und „kein Diktat von Industrie und Wirtschaft“. Als gelungene Beispiele verwies er auf das Flexibilisierungsmodell der Metaller, das die Sozialpartner im „österreichischeren Weg“ ausgehandelt hätten.
Flexibilisierung von Arbeitszeiten
Zumindest einen Hauch einer Annäherung brachte die Frage einer flexibleren Arbeitszeitregelung.
Strolz meinte, die derzeitigen Regeln gingen am „echten Leben“ vorbei. An einem Tag länger arbeiten zu können würde am nächsten Tag Freizeit möglich machen. Das werde verhindert oder umgangen. In vielen Klein- und Mittelbetrieben würden Stundenlisten „frisiert“, um den gesetzlichen Regeln zu entsprechen. Für die Industrie brauche es andere Regeln, merkte Strolz aber an. Das Thema endete einigermaßen versöhnlich: „Ich glaube, wir einigen uns auf das Prinzip, wir brauchen hier Änderung, aber nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer“, so Kern - eine Aussage, die Strolz „absolut“ unterstreichen konnte.
Strolz sieht Junge in der Pensionsfalle
Eine Lanze für die unter 40-Jährigen brach Strolz bei den Pensionen. Diese würden von der Politik „völlig außen vor gelassen“. Das sei eine „atemberaubende Verantwortungslosigkeit“. Ab 2050 drohe massenhaft Altersarmut. Der NEOS-Chef verwies auf sein Konzept einer Pensionsautomatik, wie es in Schweden eingeführt wurde. Je länger man arbeite, desto höher sei die Pension - bei freier Entscheidung der Betroffenen. 15 Prozent der über 65-jährigen Schweden arbeiteten noch, so Strolz. Und die meisten davon, „weil sie es wollen“. Als Begleitmaßnahme brauche es aber auch Konzepte wie die Teilpension.
Pensionen und Pensionssystem
Strolz warnte vor einem Zusammenbruch des Pensionssystems, Kern ist zuversichtlich.
Kern gegen „permanente Verunsicherung“
Kern versicherte, das heimische Pensionssystem funktioniere. Er arbeite gegen die „permanente Verunsicherung“, es gehe darum, „Respekt vor der Lebensleistung“ der Menschen zu haben. Bestes Rezept sei wirtschaftlicher Erfolg, dann gebe es mehr Beitragszahler. Und er verwies erneut darauf, dass im Vorjahr 600 Millionen Euro weniger für Pensionen ausgeben worden seien als veranschlagt. Kern will auch die derzeitige Regelung zur Erhöhung des Frauenpensionsalters nicht antasten - angesichts der derzeitigen „Lebensrealität“, die noch einen weiten Weg zur Gleichberechtigung darstelle. Strolz will das Pensionsalter rascher anheben, weil er damit auch einen Weg für höhere Pensionen für Frauen sieht.
Zu wenig Gemeinsames für Koalition?
Ganz grundsätzlich warf Kern Strolz vor, dessen Partei sei doch „sehr neoliberal“, die SPÖ hingegen mache Politik für 95 Prozent der Menschen. Zu einer allfälligen Regierungszusammenarbeit mit NEOS befragt, meinte Kern: „Am Ende fürchte ich, wird es nicht nur um Vertrauen gehen, sondern: Was sind die politischen Gemeinsamkeiten“ - und da unterscheide man sich doch sehr. Aber immerhin sah er bei der Suche nach Bündnispartnern „Anknüpfungspunkte“ bei NEOS.
Auch Strolz gab sich wenig optimistisch: „Wir haben ganz viele Gegensätze. Und so wie es ausschaut, geht es sich rechnerisch nicht aus.“ Und er hatte noch eine Spitze gegen Kern parat: „Der Plan A ist vor allem ein ‚Plan Ablöse durch (SPÖ-Verteidigungsminister Hans Peter, Anm.) Doskozil‘“, meinte der NEOS-Chef in Anspielung auf Spekulationen um SPÖ-interne Grabenkämpfe im Falle einer Wahlniederlage.
Sachliche Debatte aus guten Gründen
In einer ersten Analyse meinte Peter Filzmaier in der ZIB2, der sachliche Diskurs sei dem Faktum geschuldet, dass es auch kaum Wechselwähler zwischen den beiden Parteien gebe. Ein bisschen mehr „geboxt“ hätte Strolz schon gerne, vermutete Filzmaier. Kern habe aber richtig reagiert und die Angriffe ignoriert. Kern habe aber den Fehler gemacht, zu sehr in Richtung Moderatorin Claudia Reiterer gesprochen zu haben, das könne arrogant wirken.
Analyse der TV-Konfrontation: Kern (SPÖ) - Strolz (NEOS)
Politikwissenschaftler Peter Filzmaier und Ulla Kramar-Schmid (ORF) analysieren das Duell zwischen den Spitzenkandidaten und gehen auf den ideologischen Graben zwischen den Parteien ein.
Die Argumente seien neben Ideologie vor allem der Wahlkampftaktik geschuldet: Kern müsse besonders angesichts ihrer Wählerzusammensetzung auf die Pensionisten Rücksicht nehmen. Strolz wiederum konnte angesichts einer kleinen Wählergruppe von Seniorinnen da angriffiger sein. Und Filzmaier ist skeptisch, ob Kern seine Kommunikationsziele bei den TV-Duellen erreichen kann. Jetzt mehr soziale Gerechtigkeit zu verlangen sei schwierig angesichts der Tatsache, dass die SPÖ schon lange in der Regierung sitzt. Und Kern selbst werde als Managertyp wahrgenommen, auch das sei eine schwierige Aufgabenstellung für eine erfolgreiche Kommunikation dieses Themas.
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