Rouhanis reformpolitisches Meisterstück
International steht der Iran wegen Spannungen mit dem Westen und Saudi-Arabien im Fokus. Im Land selbst sehnen die Menschen vor allem wirtschaftliche Verbesserungen herbei. Besonders beliebt in der breiten Bevölkerung ist „Rouhanicare“. Mit seiner staatlichen Krankenversicherung wandelt der iranische Präsident ausgerechnet auf Barack Obamas Spuren.
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Die Situation des Iran könnte nicht nur politisch einfacher sein. Lange litt das Land wirtschaftlich unter den Sanktionen des Westens wegen des Atomstreits mit den USA. Deren Aufhebung hat noch nicht den erhofften Aufschwung gebracht. Außerdem bremsen eine verkrustete Bürokratie, Arbeitslosigkeit und Korruption die iranische Wirtschaft.
Der von Präsident Hassan Rouhani forcierte allgemeine Zugang zum Gesundheitssystem ist daher gerade für die ärmere Bevölkerung ein Hoffnungsschimmer. Die staatliche Krankenversicherung unter dem Namen „Rouhanicare“ – nicht zufällig eine Anspielung auf das US-amerikanische „Obamacare“ – gilt als eine der erfolgreichsten Reformen des gemäßigten Präsidenten und stößt im Land auf breite Zustimmung.
„Rouhanicare“ verhalf zu Wahlsieg
In vielen Einzelfällen bringt „Rouhanicare“ den Iranern Entlastungen von mehreren tausend Euro. Die britische Tageszeitung „The Guardian“ berichtet etwa von einem 67-jährigen Geschäftsbesitzer, der nach einem Schlaganfall für seine Behandlung statt 100 Millionen Rial (rund 2.500 Euro) dank Krankenversicherung nur mehr 5,8 Millionen Rial (146 Euro) bezahlen musste. Der 20-tägige Krankenhausaufenthalt inklusive sechs Tagen Intensivstation sei durch „Rouhanicare“ für die Familie des Geschäftsbesitzers finanzierbar geworden, ohne sich Geld leihen zu müssen.

APA/AFP/Iranian Presidency
Hassan Rouhani verdankt seine Wiederwahl auch sozialpolitischen Wohltaten
In einem ähnlichen Fall war eine Aerobic-Trainerin aus der Hauptstadt Teheran wegen eines Rückenleidens jahrelang ans Haus gefesselt, weil sie sich mehrere Operationen nicht leisten konnte. Das Gesundheitsministerium deckte auch hier die Kosten. In der Bevölkerung, insbesondere bei den Ärmeren, war „Rouhanicare“ schon kurz nach der Einführung ein populäres Vorhaben. Es gilt neben dem Atomabkommen und der wirtschaftlichen Öffnung des Landes als einer der Gründe, warum Rouhani im Mai die Präsidentenwahl mit rund 58 Prozent deutlich gewonnen hat.
Als der moderate Kleriker im August 2013 seinen Vorgänger Mahmud Ahmadinedschad ablöste, litt das Land unter einer extrem hohen Arbeitslosigkeit und Inflation. Laut einem Bericht der „Financial Times“ waren bei Rouhanis Machtübernahme rund zehn Millionen Iraner ohne Krankenversicherung und mit enormen Kosten für Arztbesuche und Medikamente konfrontiert.
Elf Millionen neue Versicherte
Im Februar 2014 kündigte Rouhani daher im staatlichen Fernsehen an, gerade den Schwächsten zuerst helfen zu wollen. „Der erste Schritt wird es sein, fünf Millionen Iranern ohne Versicherung ein soziales Netz zu geben“, hieß es kurz darauf im offiziellen englischsprachigen Twitter-Account des Präsidenten. Der symbolträchtige Hashtag lautete dazu „#Rouhanicare“, in offensichtlicher Anlehnung an die Gesundheitsreform des damaligen US-Präsidenten Obama.
Dass sich seitdem fast elf Millionen Iraner bei der staatlichen Versicherung gemeldet haben, spricht für den Erfolg des Projekts. Die unabhängige Website Rouhani Meter attestiert dem Präsidenten, dass er in diesem Punkt sein Versprechen gehalten habe. Doch trotz der Popularität von „Rouhanicare“ wird auch Kritik laut. Bei jährlichen Kosten von mehr als 840 Millionen Euro mehren sich die Zweifel, ob die Regierung ihre Segnungen langfristig finanzieren kann.
Zweifel an Finanzierbarkeit
Die iranische Nachrichtenagentur Fars, die Rouhanis Gegnern nahesteht, schrieb im Vorjahr, das neue System der Krankenversicherung stehe „am Rande des Kollapses“. Für die meisten Mitglieder bedeutet „bimeh salamat“, wie die öffentliche Krankenversicherung im Iran heißt, nur mehr sechs Prozent der Behandlungskosten selbst tragen zu müssen. Bei Medikamenten beträgt der Selbstbehalt zwischen zehn und 30 Prozent. Bedürftige müssen in beiden Fällen nichts zahlen.
Aufgrund der Belastung für den öffentlichen Haushalt nahm die Regierung bereits Änderungen vor. Patienten, die über „Rouhanicare“ versichert sind, dürfen etwa nur noch staatliche Spitäler besuchen. Bereits im Februar, noch vor Rouhanis deutlicher Wiederwahl, haben vor dem iranischen Parlament in Teheran Hunderte Krankenschwestern über gestiegene Belastungen bei gleichgebliebener Bezahlung protestiert. Ob „Rouhanicare“ auch langfristig eine Erfolgsgeschichte sein kann, wird wohl auch davon abhängen, ob die iranische Wirtschaft den lange ersehnten Aufschwung erlebt.
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