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Initiativen zum Einbremsen der Touristen

Venedig ist wohl das bekannteste Beispiel für das Problem: europäische Städte, die wegen ihrer pittoresken und schönen Innenstadt von immer größeren Touristenmassen „heimgesucht“ werden. So empfinden es nicht nur viele Touristen, die sich durch die oft engen Gassen der Altstädte von Venedig, Dubrovnik, Prag oder Barcelona wälzen, sondern vor allem die Bewohner selbst - und wehren sich zunehmend.

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In mehreren der beliebtesten europäischen Reiseziele ortet der britische „Guardian“ bereits eine „Tourismusphobie“. Viele kennen es aus eigener Erfahrung - ob als Bewohner etwa Wiens oder Salzburgs oder als Touristen: Die Fortbewegung in Innenstädten wird schnell zu einer mühsamen Sache.

Hauptbetroffen sind Städte am Mittelmeer. Dorthin zieht es traditionell die meisten Urlauber im Sommer. In den letzten Jahren hat der Städtetourismus sprunghaft zugenommen. Dazu kommen lokale Probleme durch das neue Vermietmodell von Wohnungen via Airbnb und ähnliche Plattformen. Ein weiterer Faktor ist, dass viele aus Terrorangst die Türkei und nahöstliche Destinationen meiden und stattdessen in Europa urlauben.

Anti-Tourismus-Graffiti in Barcelona

Reuters/Albert Gea

Touristen sind in Barcelona längst nicht mehr bei allen willkommen

Aufgeschlitzte Reifen in Barcelona

Ein Schwerpunkt dieses wachsenden Unmuts ist laut „Guardian“ Spanien. Die Freude von Wirtschaftstreibenden dort über das zusätzliche Geschäft hat auch ihre Schattenseiten. Fast 76 Millionen Touristen verzeichnete das sich langsam von der schweren Wirtschaftskrise erholende Land im Vorjahr. Heuer dürften es ähnlich viele werden. In Barcelona ist der Ärger über den ungebremsten Anstieg der Besucherzahlen und die Folgen von Airbnb besonders hoch.

Dort hat Arran, die Jugendbewegung der linksgerichteten katalanischen Partei CUP (Kandidatur der Volkseinheit), Reifen von Leihrädern und Sightseeing-Bussen aufgeschlitzt. Ein Arran-Vertreter sagte gegenüber der BBC, das derzeitige Tourismusmodell „verjagt Bewohner aus ihren Vierteln und schadet der Umwelt“. Der konservative spanische Regierungschef Mariano Rajoy bezeichnete die Gruppe seinerseits als „Extremisten“.

Protestmarsch in San Sebastian

Es gab laut „Guardian“ auch Proteste auf Mallorca und in der baskischen Stadt San Sebastian. Dort fand Mitte August ein Anti-Tourismus-Marsch mit einigen hundert Teilnehmern statt, ausgerechnet während eines großen Festivals der baskischen Kultur.

Demo in Venedig gegen Tourismus

Reuters/Manuel Silvestri

Anfang Juli demonstrierten Bewohner in Venedig. Ein Bewohner hielt ein Plakat mit der Aussage „Ich will nicht wegziehen, ich bleibe“ in die Höhe.

Im Juli hatte es einmal mehr Proteste in Venedig gegeben, das pro Jahr von 20 Millionen Touristen besucht - oder heimgesucht - wird. Viele von ihnen halten sich nur wenige Stunden in der Stadt auf, verlassen für eine kurze Tour die riesigen Kreuzfahrtschiffe - und bringen daher auch der lokalen Wirtschaft vergleichsweise wenig. 2.000 Bewohner Venedigs marschierten durch die Stadt und machten ihrem Ärger über steigende Mieten und die Verschmutzung, die die vielen Kreuzfahrtschiffe verursachen, Luft. Auch hierzulande sorgen die Touristenströme - etwa in Hallstatt und Salzburg - immer wieder für Verärgerung bei den Bewohnern.

UNO-Tourismusorganisation sieht „ernste Lage“

Die UNO-Weltorganisation für Tourismus (UNWTO) mit Sitz in Madrid verteidigt naturgemäß den Tourismus, fordert aber von den zuständigen staatlichen und lokalen Behörden, mehr zu tun, um den Anstieg des Tourismus nachhaltiger zu gestalten.

Kreuzfahrtschiff in Venedig

Reuters/Manuel Silvestri

Städte wie Dubrovnik und Venedig gehören zum Standardprogramm von Mittelmeer-Kreuzfahrten

UNWTO-Generalsekretär Taleb Rifai bezeichnete die steigende Ablehnung von Tourismus im „Guardian“ als „sehr ernste Situation, die ernsthaft behandelt werden muss“. Wenn Tourismus richtig gelenkt werde, könne er „der beste Verbündete“ für die Erhaltung von Städten sein. Die UNWTO hat auch mehrere Empfehlungen auf Lager, um das zu erreichen: Touristen sollten dazu angeregt werden, nicht nur die zentralen Sehenswürdigkeiten zu besuchen, die touristischen Angebote sollten verbreitert werden, man solle sich nicht nur auf die Hauptsaison konzentrieren - und vor allem sollte auf die Bedfürnisse der lokalen Bevölkerung Rücksicht genommen werden.

Videokameras zählen Touristen

In diesem Sinne hat etwa Barcelona heuer begonnen, gegen nicht amtlich genehmigte Wohnungsangebote, die auf Airbnb angeboten werden, vorzugehen. Die Zahl dieser Wohnungen geht in die Tausende. In Paris ist dies bereits der Fall: Im ersten Halbjahr 2017 wurden 31 Wohnungsbesitzer zu Strafen von insgesamt 615.000 Euro verurteilt - das ist ein sprunghafter Anstieg der verhängten Strafen. In Venedig wiederum sind weitere Vermietungen im Zentrum verboten, und „Zählpersonen“ wurden aufgestellt, um die Überlastung der historischen Plätze zu überwachen.

In Rom und Mailand wird strenger als früher gegen Touristen vorgegangen, die auf und bei Touristenattraktionen essen - so etwa auf der Spanischen Treppe im Zentrum Roms. In Dubrovnik, das ebenfalls täglich von großen Mengen von Kreuzfahrtschiffsgästen für wenige Stunden „überrannt“ wird, werden mit Videokameras die Eingänge zur Altstadt überwacht. Halten sich zu viele Menschen in der Altstadt auf, werden neu ankommende Touristen angehalten.

Experte: Politik muss sich Thema stellen

Duncan McCann von der ökologischen Denkfabrik New Economics Foundation hat aber Zweifel, ob sich der zunehmende Frust über Touristen allein mit deren gestiegener Zahl erklären lässt. Er zeigte sich im Interview mit dem „Guardian“ vielmehr davon überzeugt, dass sich hier eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Politik manifestiere und riet, dass sich Verantwortliche dem Thema stellen. „Politik kümmert sich oft nicht mehr um die ganz normalen Menschen. Wenn sich in diesem Punkt nichts ändert, glaube ich nicht, dass diese Protestbewegung abebben wird.“

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