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Friedliche Trennung der Teilrepubliken

Vor genau 25 Jahren haben sich Tschechien und die Slowakei auf friedlichem Weg getrennt - im damaligen Kontext war das alles andere als selbstverständlich. Im zerfallenden Jugoslawien herrschte bereits Krieg, die Unabhängigkeitsbestrebungen Sloweniens und Kroatiens hatten zu blutigen Konflikten geführt.

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Die Bevölkerung wollte die Trennung mehrheitlich nicht, sie erfolgte dennoch. Wohlweislich aber verzichteten die Regierenden in Prag und Bratislava auf ein Referendum. Die Bevölkerung allerdings wurde lange in dem Glauben gehalten, dass es ein solches noch geben werde - wohl auch deshalb blieben Massenproteste gegen die Trennung aus.

Die Beziehungen zwischen Tschechen und Slowaken waren seit Gründung der Tschechoslowakischen Republik im Jahr 1918 von einer Mischung aus Gemeinsamkeiten und Misstrauen geprägt. Stets umkämpft war der Anteil an der Staatsverwaltung: Das, was für slowakische Politiker zu wenig war, war für tschechische zu viel und umgekehrt.

Karte zeigt Tschechien und die Slowakei

Map Resources/ORF.at

Kommunismus verhinderte Föderation

Formell sollte die Föderation, die im Herbst 1968 verabschiedet wurde, das Problem lösen. Das kommunistische Regime war aber zentralistisch, so war die Föderation nach Ansicht Bratislavas nur eine Fassade, und weiterhin wurden alle wichtigen Entscheidungen in Prag und aus Prager Sicht gefasst.

Die Samtene Revolution 1989 öffnete für die Slowakei den Weg zur Korrektur des Zentralismus. Aber die Verhandlungen über eine neue Formel der gegenseitigen Beziehungen zwischen Tschechen und Slowaken verwandelten sich allmählich in Verhandlungen über die Trennung der beiden Nationen.

Stunden der Entscheidung

Dieser Trend wurde verstärkt und der Zufall beschleunigt, als sich bei den Parlamentswahlen 1992 in beiden Landesteilen völlig gegensätzliche Parteien jeweils klar durchsetzten. Auf der tschechischen Seite der Neoliberale Vaclav Klaus, dem die Wirtschaftsreformen im Land nicht schnell genug vorangingen, auf der anderen Seite der slowakische Populist Vladimir Meciar.

Beschlossen wurde die Auflösung der Föderation schließlich am 26. August 1992 in Brünn, im Garten der berühmten Villa Tugendhat. Klaus und Meciar einigten sich nach stundenlangen Debatten auf den Fahrplan, der später im Parlament abgesegnet wurde. „Der aktuelle Zustand lässt sich nicht aufrechterhalten“, teilte Meciar kurz vor Mitternacht mit - am 1. Jänner 1993 würden zwei Staaten entstehen.

Tugendhat Villa

APA/AFP/Otto Ballon Mierny

In der von Stararchitekt Mies van der Rohe geplanten Villa Tugendhat wurde das Ende der Tschechoslowakei besiegelt

Die Frage nach dem finalen Warum ist nach wie vor nicht restlos geklärt. Einerseits trug das wirtschaftliche Ungleichgewicht dazu bei: Die kleinere und ärmere Slowakei fühlte sich von den Tschechen bevormundet und benachteiligt, die Tschechen ihrerseits wollten nicht dauerhaft Entwicklungshilfe leisten. Doch auch der Machthunger von Klaus und Meciar spielte eine Rolle: Auf einen Schlag wurden sie von Lokalpolitikern zu Regierungschefs selbständiger Staaten.

Ein Bindestrich als Trennungssymbol

Der Streit hatte sich bereits kurz nach der „Samtenen Revolution“ und dem Ende der kommunistischen Herrschaft abgezeichnet. Denn bald danach begann ein mehrjähriges Tauziehen um den Namen der neuen Republik. Der Bürgerrechtler und neu gewählte Präsident Vaclav Havel sprach sich einfach dafür aus, das Wort sozialistisch zu streichen. Slowakische Politiker wollten dagegen einen Bindestrich, also Tschecho-slowakische Republik. Dieser Bindestrich wurde von tschechischen Politikern aber als Trennstrich verstanden und daher abgelehnt.

Auch andere Varianten brachten keinen durchschlagenden Anerkennungserfolg, dazu kamen Probleme mit der Großschreibung. Bis zur Trennung gab es auch im Bindestrich-Streit keine Einigung und läutete damit im wortwörtlichen Sinne symbolisch die spätere Trennung ein.

Anfängliche Skepsis legte sich

Nicht nur die einheimische Bevölkerung, sondern auch ausländische Beobachter standen der Trennung der Tschechoslowakei anfänglich skeptisch gegenüber. In den ersten Jahren nach der Teilung schien es auch so, als würden die beiden Länder unterschiedliche Wege gehen. Die Tschechen avancierten zu Musterknaben der Transformation, die Slowakei wurde unter der Regierung von Vladimir Meciar zum Außenseiter, oder wie es die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright formulierte, zum „schwarzen Loch in Europa“.

Vladimir Meciar und Vaclav Klaus

AP/Peter Brenkus

Vladimir Meciar und Vaclav Klaus gelang es zumindest, ein Blutvergießen zu verhindern

Nach der Parlamentswahl 1996 änderte sich die Situation in der Slowakei radikal. Eine Koalition aus Mitte-rechts-Parteien unter Federführung von Mikulas Dzurinda führte die Slowakei wieder auf den europäischen Pfad und schloss den Annäherungsprozess an die EU ab, die Wirtschaft zog an. „Noch 1995 kam die Slowakei nach Angaben von Eurostat nur auf 48 Prozent des EU-Durchschnitts (BIP pro Kopf in Kaufkraftparität), Tschechien erreichte schon damals 76 Prozent. Bis 2016 holte die Slowakei bereits auf 77 Prozent auf, Tschechien war mit 88 Prozent des EU-Durchschnitts nur noch um elf Prozentpunkte besser“, sagte jüngst der slowakische Ökonom Vladimir Vano.

Beide Länder sind Mitglieder der NATO – Tschechien seit 1999, das kleinere Nachbarland seit 2004. Während die Slowakei seit 2009 Mitglied der Euro-Zone ist, fühlt sich Tschechien gerade durch seine währungspolitische Unabhängigkeit stark. In beiden Ländern überwiegen in Umfragen jene Antworten, die zugleich Sympathie für den alten gemeinsamen, aber auch Stolz auf den neuen unabhängigen Staat bezeugen.

Vorbild für den „Brexit“?

Die Beziehungen zwischen Slowaken und Tschechen sind 25 Jahre nach der Trennung auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens gut, ungeachtet dessen, wer in Prag oder Bratislava die Regierung stellt. So beharrt der tschechische Hauptdarsteller der Teilung, Vaclav Klaus, auch heute noch darauf, dass diese richtig gewesen sei, weil sie beiden Nachfolgerepubliken geholfen habe. Es habe keinen Sinn, darüber nachzudenken, wie sich die Situation anders entwickelt hätte.

Die freundschaftlichen Beziehungen seien trotz der Teilung geblieben, „einige Reibflächen sind sogar verschwunden“, so Klaus. Er bewirbt das Modell aktuell auch als Vorbild für den „Brexit“. Der inzwischen 76-Jährige bietet sich sogar als Unterhändler zwischen Großbritannien und der Europäischen Union an: „Ich würde diese Rolle freiwillig übernehmen, wenn man sie mir anvertraut - ich kann das organisieren.“

„Es ist doch gut, dass es passierte“

Vaclav Havel hingegen, von 1989 bis 2003 - mit mehrmonatiger Unterbrechung, als die Teilung des Landes unaufhaltsam voranschritt - Präsident des tschechoslowakischen beziehungsweise tschechischen Staates, betrachtete den Zerfall einst als persönliche Niederlage. Später korrigierte er jedoch seine Auffassung: „Wie bizarr es auch immer passierte, ist es doch gut, dass es passierte.“

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