Oft über Jahrzehnte vermisst
In den letzten Monaten sind in Italien, der Schweiz und Frankreich mehrfach Leichen gefunden worden, die teils seit Jahrzehnten im Eis der Gletscher gelegen waren - eine auch in Tirol. Fast immer handelt es sich dabei um vermisste Bergsteiger - aber sogar Opfer von Flugzeugkatastrophen von vor über 50 Jahren tauchen wieder auf.
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Der letzte Fund wurde erst vor wenigen Tagen gemacht. In Tirol fand ein Bergführer in den Stubaier Alpen eine Gletscherleiche. Dabei handelt es sich um die eines seit 1974 vermissten deutschen Bergsteigers. Er ist laut Obduktionsbefund erfroren.
Nur wenige Tage zuvor war ein französischer Alpinist auf der italienischen Seite des Montblanc-Massivs auf die Überreste dreier Bergsteiger gestoßen. Es handelte sich um eine Seilschaft, die bereits vor Jahren verunglückt sein muss, hieß es dazu von der Bergrettung im Aostatal. Der Gletscher sei in Bewegung und habe die Toten nun freigegeben.
Hand und Schuhe ragten aus dem Eis
Ende Juli stießen zwei Alpinisten auf dem Lagginhorn in den Walliser Alpen auf eine Hand und zwei Schuhe, die aus dem Eis ragten. Wie sich nach der Bergung und gerichtsmedizinischen Untersuchung der Leiche in Bern herausstellte, war sie die eines 1943 geborenen Deutschen, der seit 11. August 1987 - ziemlich genau 30 Jahre - in der Gegend vermisst worden war.
Gefunden wurde der Tote zufällig. Wie Schweizer Medien berichteten, hatten zwei Bergsteiger eine Tour wegen Schlechtwetters abgebrochen und waren auf dem Rückweg zur Bergstation Hohsaas sprichwörtlich über ihn gestolpert.
Ehepaar seit dem Zweiten Weltkrieg vermisst
Der Fund, der in den letzten Monaten die meisten Schlagzeilen machte, war der eines Ehepaars, das seit rund 75 Jahren als vermisst galt. Die Leichen der Frau und des Mannes wurden Mitte Juli auf dem Schweizer Tsanfleuron-Gletscher im südwestlichen Kanton Wallis entdeckt. Die Körper waren mumifiziert. Wieder ragten Bergschuhe aus dem Schnee, neben den Toten, die dicht beieinander lagen, wurden noch eine Uhr, eine Glasflasche und ein Buch gefunden.

APA/AFP/Police Cantonale Valaisanne
Der Schuh der Frau und eine Glasflasche
Wie sich später herausstellte, handelte es sich bei ihnen um die seit dem 15. August 1942 vermissten Marcelin und Francine Dumoulin, einen Schuster und eine Lehrerin. Sie wurden mittels eines DNA-Vergleichs mit einer Tochter identifiziert. Die heute 79-Jährige hatte sich schon unmittelbar nach dem Fund gegenüber der Presse sicher gezeigt, dass die beiden Leichen die ihrer Eltern sein müssen. Sie und sechs Geschwister hätten ihr Leben lang nach dem vermissten Paar gesucht, sagte die Frau. In dem Gebiet wird seit 1926 auch eine Seilschaft vermisst.

APA/AFP/Police Cantonale Valaisanne
Der Fundort auf dem Tsanfleuron-Gletscher
Opfer von Air-India-Flugzeugunglück
Der nächste Fund ließ nicht lange auf sich warten. Auf dem Bossons-Gletscher - erneut im Montblanc-Massiv - stieß der französische Schatzsucher und Hobbyforscher Daniel Roche auf eine menschliche Hand und andere Leichenteile. Diese dürften wahrscheinlich von Opfern eines bzw. zweier Flugzeugabstürze in der Region stammen.
1950 und 1966 waren dort zwei Maschinen der Air India verunglückt, einmal starben 48 Menschen, einmal 117. Roche fand laut eigenen Angaben auch ein Triebwerk, dass zur 1966 abgestürzten Boeing 707 gehört haben dürfte.
„Schatzsucher“ in den Bergen
In Norditalien tauchten während des heißen Sommers unterschiedliche Gegenstände auf der knapp 3.350 Meter hohen Marmolada, dem höchsten Berg der Dolomiten, aus dem Eis auf. Es handelte sich um Gegenstände aus dem ersten Weltkrieg. Bergsteiger, die sich auf „Schatzsuche“ gemacht hätten, hätten verrostetes Geschirr, Bergschuhe, Waffen und Munition gefunden, berichteten italienische Medien.
In den letzten 100 Jahren sei das Eis von 420 auf 214 Hektar abgeschmolzen, hieß es. 2012 wurden auf dem Presena-Gletscher im Trentino die Leichen zweier Kaiserjäger aus dem Ersten Weltkrieg gefunden. 2004 entdeckte man im Ortler-Massiv in Südtirol die mumifizierten Überreste dreier österreichischer Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg. Sie dürften dort im September 1918 gefallen sein.
Vermisstenrätsel werden gelöst
Wissenschaftler sind sich ziemlich einig, dass sich die Gletscher in den nächsten Jahren weiter zurückbilden werden - in der Schweiz um 80 bis 90 Prozent, wie es kürzlich von der Eidgenössischen Technische Hochschule (ETH) Zürich gegenüber der Presse hieß. Im Jahr 1973 habe die Schweiz 2.150 Gletscher gezählt, heute seien es nur noch an die 1.400. Am stärksten sei das Eis in sechs unterschiedlichen Jahren seit 2008 abgeschmolzen. Seit 1850 sei das Eisvolumen in den Schweizer Bergen um etwa 58 Prozent zurückgegangen, berichtete der „Tages-Anzeiger“ Anfang des Monats in einer aufwendigen Recherche.
Weil das Eis derart stark abschmelze, würden nun immer öfter Vermisste wieder auftauchen, heißt es. Sogar der britische „Guardian“ entdeckte das Thema aus den Alpen und fragte bei Bergrettung und Kantonspolizei in der Schweiz nach. Die Gletscher seien auf dem Rückzug, folglich sei es klar, dass man immer mehr Tote aus dem Eis finden werde, hieß es von dort. Die Polizei rechnet auch damit, in den nächsten Jahren mehr Vermisstenfälle zu klären. Im französischen Montblanc-Massiv würden mindestens 160 Alpinisten vermisst, allein im Eis des Morteratsch-Gletschers in Graubünden werden 40 Tote vermutet.
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