Die Vermessung der Migration
Eine weiterhin „sehr beachtliche“ Zuwanderung sieht der Vorsitzende des Expertenrats für Integration, Heinz Faßmann - und diese werde sich auf absehbare Sicht nicht abschwächen. Auch wenn, wie aus dem am Mittwoch präsentierten Integrationsbericht 2017 hervorgeht, die Zahl der nach Österreich kommenden Menschen im Vorjahr deutlich zurückgegangen ist.
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Im Jahr 2016 lebten Daten der Statistik Austria zufolge rund 1,9 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Österreich, das entspricht rund 22 Prozent - im Vergleich zu 2011 ist das ein Plus von rund 23 Prozent. Etwa 1,4 Millionen Menschen gehören der „ersten Generation“ an, sie sind selbst im Ausland geboren und nach Österreich zugezogen. Die verbleibenden rund 483.000 Personen mit Migrationshintergrund sind in Österreich geborene Nachkommen von Eltern mit ausländischem Geburtsort („zweite Generation“).

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/Statistik Austria
Asylanträge weiterhin „überdurchschnittlich hoch“
„Im Jahr 2016 wurden 42.285 Asylerstanträge in Österreich gestellt, womit sich ihre Zahl im Vergleich zum Jahr 2015 mehr als halbiert hat. An diesen Zahlen wird insbesondere die Wirkung der Wiedereinführung von Grenzkontrollen im März 2016 bzw. die Kontrolle von gültigen Reisepässen und Visa entlang der Balkan-Route sichtbar. Trotz des deutlichen Rückgangs erreichten die Asylantragszahlen im Jahr 2016 aber den zweithöchsten Stand seit 1999 und bleiben damit überdurchschnittlich hoch“, heißt es in dem Bericht.

APA/Hans Klaus Techt
Heinz Fassmann sieht „einen weiten Weg“ für Österreich
Insgesamt wanderten 2016 rund 174.300 Personen nach Österreich zu, während gleichzeitig rund 109.700 Personen das Land verließen. Die Nettozuwanderung ergab somit ein Plus von 64.676 Zuzügen (2015: 113.067 Personen). Die Zuwanderung wird sich von alleine nicht abschwächen, sagte Faßmann. Österreich als Hochlohnland mit sozialer Sicherheit und einem erschwinglichen Bildungssystem werde ein attraktives Ziel bleiben. Das gelte sowohl für Flüchtlinge als auch für gut qualifizierte Arbeitskräfte aus anderen EU-Staaten und für Studenten.
Entfremdung bei Menschen mit türkischen Wurzeln
Festzuhalten ist laut Faßmann, dass der Optimismus zuletzt nachgelassen hat. Im Vorwort des Berichts schreibt Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP): „Das Integrationsklima in Österreich hat sich eingetrübt und die Zustimmung zur Frage ‚Die Integration in Österreich funktioniert eher oder sehr gut‘ im letzten Jahr wesentlich verschlechtert.“ Gleichzeitig war speziell bei der türkischstämmigen Bevölkerungsgruppe ein Entfremdungsprozess festzustellen. „Dass das Gefühl, in Österreich heimisch zu sein, bei den Befragten mit türkischem Migrationshintergrund innerhalb eines Jahres um beinahe zehn Prozentpunkte zurückging (von 51 auf 42 Prozent), ist eine signifikante und ernstzunehmende Entwicklung“, heißt es in der Studie.

Grafik: ORF.at; Quelle: Integrationsbericht/BMI
Auch die Integration der in den vergangenen zwei Jahren nach Österreich gekommenen Flüchtlinge werde noch „ein langer Weg sein“, sagte Faßmann - und entscheidend von der Aufnahme in den Arbeitsmarkt abhängen. „Gelingt diese nicht, ist die Wahrscheinlichkeit umfassender Abgrenzungsprozesse von der umgebenden Gesellschaft und schwach ausgeprägte Zugehörigkeit zur Aufnahmegesellschaft als Folge hoch“, heißt es in der Studie.
Starke Unterschiede im Bildungsniveau
Im Hinblick auf das Bildungsniveau der Zuwanderer wird auf die starken herkunftsspezifischen Unterschiede verwiesen: So hatten 27,7 Prozent der befragten Afghanen keinen Volksschulabschluss, während es bei Befragten aus Syrien und dem Irak nur 6,1 beziehungsweise 5,1 Prozent waren. Umgekehrt war der Akademikeranteil bei Irakern (22,3 Prozent) und Syrern (21,2 Prozent) rund viermal so hoch wie bei Afghanen (5,4 Prozent).

Grafik: ORF.at; Quelle: Integrationsbericht/Berger et al. (2016)
Auswirkungen wird die stark gestiegene Fluchtmigration unweigerlich auf die österreichische Volkswirtschaft haben: Für die Jahre 2015 bis 2019 wird mit Mehrausgaben von rund 8,1 Milliarden Euro gerechnet, wobei die Grundversorgung der Flüchtlinge und die Mindestsicherung für Asylberechtigte fast 80 Prozent der Kosten ausmachen.
Außenminister Kurz: Migration „massiv“ reduzieren
Außenminister Kurz hielt bei der Präsentation der Studie fest, dass die Aufrechterhaltung eines funktionierenden Wohlfahrtsstaates bei einer Zuwanderung wie in den vergangenen beiden Jahren nur schwer möglich sei. Sein Ziel sei es daher, Migration „massiv“ zu reduzieren. Österreich müsse in die Position kommen, selbst zu entscheiden, wer zuwandert und wer nicht: „Das kann nicht die Entscheidung der Schlepper sein.“

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Außenminister Kurz: „Nachhaltig hilft man vor Ort“
Im Bereich Integration sei seinem Ressort jedenfalls nichts vorzuwerfen, hält Kurz im Vorwort des Berichts fest: „Trotz aller Herausforderungen muss ganz klar unterstrichen werden, dass Österreich in den Vorjahren nicht nur sehr schnell reagiert und sehr viel geleistet hat, sondern auch die Weichen für eine nachhaltige Integration von Asyl- und subsidiär Schutzberechtigten gestellt hat."
Mehr Augenmerk auf traditionelle Zuwanderer
Im Kapitel „Österreich: Viel erreicht - viel zu tun“ legt der Bericht nahe, angesichts der Entwicklungen der vergangenen beiden Jahre nicht auf die Zuwanderer abseits der Flüchtlinge zu vergessen: „Die für Österreich traditionell wichtigsten Zuwanderungsgruppen, EU-BürgerInnen und Drittstaatsangehörige abseits der Flüchtlingsmigration, sollten wieder stärker ins Zentrum der Integrationsarbeit rücken. Das Gelingen ihrer Integration trägt maßgeblich zum allgemeinen Integrationsklima bei.“ Derzeit seien diese Gruppen emotional und strukturell nicht so gut integriert, wie sie es aufgrund ihrer langen Aufenthaltsdauer sein könnten.
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