Bekannt wie die Beatles
Am 16. August feiert er seinen 83. Geburtstag: Pierre Richard, einer der populärsten französischen Schauspieler, verdankt seinen Durchbruch einer Kultkomödie von 1972. In „Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh“ kultivierte Richard seine Figur als liebenswerter Tollpatsch, der unwissentlich ins Visier der Geheimdienste gerät, so sehr, dass er bis heute mit der Rolle identifiziert wird. In seinem neuen Film „Monsieur Pierre geht online“ schlägt er leisere Töne an.
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Wenn der Name Pierre Richard fällt, ist „Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh“ nicht weit. Die Figur des harmlosen Musikers, der unwissentlich in Todesgefahr gerät, weil verschiedene französische Geheimdienste in ihm einen ausgebufften Agenten sehen und attraktive Lockvögel auf ihn ansetzen, ist fast zum Synonym des Schauspielers aus dem nordfranzösischen Valenciennes geworden.
In über 60 Filmen hat er mitgewirkt, die im deutschen Sprachraum oft undankbare Titel bekamen: „Alfred, die Knallerbse“, „Ein Tollpatsch auf Abwegen“, „Der Hornochse und sein Zugpferd“. Es galt, um jeden Preis an den Erfolg des „Großen Blonden“ anzuknüpfen. Im Interview mit ORF.at erzählt Richard von seinen Anfängen im Pariser Kabarett, seinen Auftritten in Sibirien und seinen Komplexen gegenüber großen Schauspielerkollegen.
ORF.at: Pierre Richard, treffe ich Sie für dieses Telefoninterview auf Ihrem Weingut, dem Chateau Bel Eveque im südfranzösischen Gruissan, an, beim Dreh oder beim Kaffee?
Pierre Richard: Im Moment bin ich gerade in Nordfrankreich, bei Dunkerque, wo ich mit Dany Boon die Fortsetzung von „Willkommen bei den Sch’tis“ drehe.
ORF.at: Da sind Sie ja ganz nahe bei Valenciennes, Ihrer Heimatstadt.
Richard: So ist es. Hier oben reden wir alle mit dem Akzent des Nordens, manchmal muss der sogar in Frankreich untertitelt werden.
ORF.at: Bei Ihnen hört man den aber nicht ...
Richard: Weil ich zu lange woanders gelebt habe. Und weil ich nicht aus einer Familie stamme, wo mit Akzent gesprochen wurde. Aber meine Freunde sprachen so.
ORF.at: Für den Film müssen Sie ihn wieder lernen?
Richard: Nicht nötig, ich kann ihn ja noch und spreche meinen Text mit dem Akzent des Nordens.
ORF.at: „La ch’tite famille“ kommt 2018 in die französischen Kinos. 1972 hatten Sie Ihren internationalen Durchbruch mit der Komödie „Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh“. Schauen Sie sich Ihre alten Filme gelegentlich noch an?
Richard: Eher nicht - außer wenn mein Enkel sie sieht. Nein, stimmt ja gar nicht! Den „Großen Blonden“ hab ich vor zwei Jahren in Cannes wiedergesehen. Da gab es eine Galavorstellung am Strand. Der Film strahlt immer noch Magie aus, die Leute lachen noch so wie damals.
ORF.at: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie diesen Erfolgsfilm, der ja unter anderem den Silbernen Bären in Berlin bekam, heute sehen? Was den Humor angeht oder die Dramaturgie - würden Sie den Film noch genau so machen?
Richard: Die Regie von Yves Robert war perfekt, sie war von einer geradezu frostigen Unerbittlichkeit. Die Eifersüchteleien zwischen den verschiedenen Geheimdiensten hat er gut eingefangen, es gab super Schauspieler, Bernard Blier, Jean Rochefort - die gehen mir durch den Kopf.
ORF.at: Wie kommt es, dass der Film damals erst in Deutschland und Österreich gut anlief und dann erst in Frankreich eine zweite Chance bekam?
Richard: In Frankreich ist er doch auch sehr gut gelaufen! Yves Robert hat ja noch eine Fortsetzung gedreht. Man dreht keine Fortsetzung eines Films, der nicht gut gelaufen ist (lacht).
Ich weiß, dass der Film sehr gut in Deutschland gelaufen ist, denn ich habe damals jede Woche Post von deutschen Zuschauern bekommen, die mich um Fotos baten. Ich bekam so viel Briefe, dass ich eine Dame bezahlen musste, um alle zu beantworten. Denn auf 30 Briefe pro Woche konnte ich nicht antworten (lacht)!
ORF.at: Trudeln noch immer so viel Briefe ein?
Richard: Das nun nicht. Die Zeiten sind vorbei. Die mir damals schrieben, sind vielleicht gar nicht mehr am Leben. Und die Jungen schreiben auch nicht. Obwohl, als ich für „Monsieur Pierre geht online“ in Deutschland gedreht habe, habe ich gemerkt, dass viele mich noch kennen.
ORF.at: Vor dem „Großen Blonden“ stand „Der Zerstreute“ von 1970 - eine Art Fingerübung für Sie.
Richard: Den Film habe ich auch selber geschrieben und inszeniert. Yves Robert hat mir nämlich gesagt: Du hast noch nie einen Film gemacht, also musst du jetzt alles selber machen. Der Film war in mancher Hinsicht ungeschickt, hat aber doch seinen Humor und seine burleske Seite bewahrt. Ein Achtungserfolg. Immerhin hat Yves Robert mir danach gesagt, lass uns noch einen machen. Und danach kam der „Große Blonde“. Der dann weltweit verkauft wurde. Und dann ging’s los mit meiner Karriere.
ORF.at: Zerstreut sind Sie tatsächlich, wie Sie sagen. Haben Sie die Rolle also gar nicht groß entwickeln müssen?
Richard: Das kommt alles aus mir selbst. Das mit dem Zerstreutsein wird übrigens immer schlimmer mit dem Alter (lacht). Das war im Film amüsant, aber auf der Straße haben mich alle immer angesprochen: Da ist ja der Zerstreute! Yves sagte mir, du hast Glück: Die Leute identifizieren sich mit dir und sagen sich: Der ist ja wie ich! Und die es nicht sind, sagen sich, ich würde gerne so sein wie er. Denn es ist ein netter menschlicher Fehler.
ORF.at: Nachdem „La ch’tite famille“ abgedreht sein wird, drehen Sie mit und unter der Regie von Sophie Marceau. Das wird Ihr vierter Film für dieses Jahr. Nicht schlecht für einen 82-Jährigen.
Richard: Vorher bin ich dann aber im Süden auf meinem Weingut und mach tatsächlich mal Urlaub. Mit meiner Familie und Freunden. Ruh mich aus bis September.
ORF.at: Ich nehme an, dass da so mancher anklopft, um ein paar Flaschen von Ihnen persönlich zu erwerben?
Richard: Es kommen viele Leute, und ich merke besonders, dass die Deutschen mich nicht vergessen, denn viele deutsche Touristen kommen vorbei. Es ist angenehm zu spüren, dass ich für das deutsche Publikum noch da bin.
ORF.at: Ein Sprung zurück zum Beginn Ihrer Karriere. Vor den Filmen standen die Pariser Kabaretts.
Richard: Ja, ich bin zusammen mit Victor Lanoux aufgetreten, der leider 2017 verstorben ist. Während der fünf oder sechs Jahre, die ich mit ihm gespielt habe, habe ich das Metier gelernt. Denn im Kabarett, der One-Man-Show, da kann man was lernen! Das waren ja keine Kabaretts mit Tänzerinnen, sondern „cabarets rive gauche“, wie man sagte. Alle großen Komiker des französischen Kinos sind da durchgegangen. Nachdem ich mit dem Film angefangen hatte, bin ich da nicht mehr aufgetreten und hab lange Jahre nur noch Filme gemacht. Erst in den vergangenen Jahren habe ich wieder viele One-Man-Shows gemacht.
ORF.at: Mit diesem Programm sind Sie ja auch in Russland aufgetreten ...
Richard: Ich kenne Russland besser als die Russen, ich habe in zehn Städten allein in Sibirien gespielt.
ORF.at: Auf Französisch?
Richard: Ja, mit russischen Übertiteln und einer Dolmetscherin, die simultan übersetzte.
ORF.at: Die Leute kennen den „Großen Blonden“ auch in Russland?
Richard: Sie kennen alle meine Filme. Auch wenn das US-Kino heute dominiert, läuft doch jede Woche in Russland ein Film mit mir. Wenn ich nach Russland komme, spüre ich etwas Seltsames: als sei ich die Beatles - aber in einer Person.
ORF.at: Sie wollen doch nicht etwa ein Russe werden wie Ihr Kollege Gerard Depardieu?
Richard: Nein, nein (lacht). Das ist sein Problem, ich hänge zu sehr an meinen Freunden, an meinen Lieblingsplätzen, ich würde mich überall außerhalb Frankreichs wie im Exil fühlen. Höchstens nach Belgien könnte ich gehen - nein, nicht mal das (lacht). Ich bin zu sehr Franzose. Der Pastis, wissen Sie.
ORF.at: Den gibt’s überall ...
Richard: Ja, aber es ist doch nicht dasselbe.
ORF.at: Wenn junge Leute Sie fragen, was sie tun sollen, um erfolgreiche Schauspieler zu werden, was sagen Sie denen?
Richard: Kann ich nicht sagen. Jedes Schicksal ist vollkommen individuell. Im Kino und im Theater hat jeder seine Art und Weise, um zu bestehen. Ich selbst habe mich nie wie ein Schauspieler gefühlt. Yves Robert sagte zu mir: Du bist kein Schauspieler, du bist eine Persönlichkeit. Nicht jeder ist eine Persönlichkeit.
Ich hatte Komplexe gegenüber großen Schauspielern, die ich bewunderte. Ich sagte mir, so ein großer Schauspieler wie sie wirst du nie sein. Später sagte ich mir: Ein so großer Schauspieler vielleicht nicht, dafür bin ich aber eine Persönlichkeit und sie nicht. Das ist der Grund für mein großes Publikum: Wie Louis de Funes und Jacques Tati bin ich eine Persönlichkeit. Und erst dann Schauspieler.
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Das Gespräch führte Alexander Musik, für ORF.at