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„Wir können nicht schweigen“

Die geplante Justizreform in Polen sorgt seit Wochen für Kritik in der EU. Kritiker monieren, mit der Reform werde die Gewaltenteilung untergraben. Die EU-Kommission drohte Polen mit Sanktionen. Tschechiens höchste Richter schalteten sich am Freitag in bisher nicht gekannter Form in die Debatte ein. Unter dem Titel „Wir können nicht schweigen“ veröffentlichten sie eine gemeinsame Erklärung.

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Nach der Lähmung des Verfassungsgerichts in Warschau und der Unterordnung der öffentlich-rechtlichen Medien komme es nun zu einem beispiellosen Angriff auf die Unabhängigkeit des polnischen Gerichtswesens, hieß es darin. Die Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats seien in Polen in Gefahr.

Unterzeichner der Erklärung sind die Vorsitzenden des Verfassungsgerichts, des Obersten Gerichtshofs und des höchsten Verwaltungsgerichts in Tschechien sowie die Ombudsfrau für Bürgerrechte. Tschechien und Polen sind eigentlich enge Partner, die gemeinsam mit Ungarn und der Slowakei seit 1991 in der mitteleuropäischen Visegrad-Gruppe zusammenarbeiten.

Deutscher Richterbund: „Gelenkte Justiz“

Auch der Deutsche Richterbund warnte vor einem Ende des Rechtsstaats in Polen. Geplant sei offenkundig „eine politisch gelenkte Justiz, in der willfährige Richter und Staatsanwälte an ihren Fäden tanzen“, sagte der Richterbund-Vorsitzende Jens Gnisa dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der deutsche SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz warf den EU-Staaten Polen und Ungarn bei einem Vortrag an der Pariser Hochschule Sciences Po eine „Unterwanderung der Demokratie“ vor.

Vertragsverletzungsverfahren droht

Die Justizreform stößt auch in Brüssel auf heftige Kritik. EU-Justizkommissarin Vera Jourova drohte vergange Woche klar mit dem Entzug von EU-Fördergeldern. Es könne nicht sein, dass durch Steuergelder aus anderen EU-Staaten „die Errichtung einer Art von Diktatur“ finanziert werde, sagte die Tschechin der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Mittwoch-Ausgabe).

Die EU-Kommission drohte ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags an. Dieser sieht bei „schwerwiegender und anhaltender Verletzung“ der im EU-Vertrag verankerten Werte als schwerste Sanktion eine Aussetzung der Stimmrechte des Mitgliedsstaates vor. Am Mittwoch will die EU-Kommission erneut über Polen beraten. Entscheiden müssten über den Stimmrechtsentzug die anderen Mitgliedsstaaten - einstimmig.

Orban will Polen gegen EU-„Inquisition“ helfen

Der Polen-Verbündete Ungarn - selbst schon mehrfach Ziel der Kritik aus Brüssel - machte allerdings bereits klar, dass er diesen Schritt nicht mittragen würde. Das bekräftigte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban am Samstag bei einer Konferenz im rumänischen Kurort Baile Tusnad. Man werde Polen gegen die „Inquisition“ verteidigen, die dem Land seitens der EU drohe.

Regierung findet Vorwürfe ungerechtfertigt

Polens Regierung kündigte vergangene Woche eine „konkrete Antwort“ auf die Äußerungen der Kommission an. Vizeeuropaminister Konrad Szymanski beteuerte, es sei „nicht die Absicht des Justizministers oder der Parlamentsmehrheit, die Unabhängigkeit der Richter zu untergraben“. Andere Warschauer Regierende wiesen die Vorwürfe Brüssels als „ungerechtfertigt“ zurück.

Die Reformen seien den Bürgern versprochen worden, denn Polens Justiz sei seit dem Ende des Kommunismus 1989 nicht reformiert worden und korrupt, wird argumentiert. „Die Justiz funktioniert schlecht“, sagte Regierungschefin Beata Szydlo. Richter würden keiner demokratischen Kontrolle unterliegen, diese wolle man einführen. Ähnliche Regeln hätten etwa Deutschland und Dänemark, so die PiS-Politikerin. Die protestierende Opposition beschuldigte sie der „Anarchie“.

Duda will Tusk nicht sprechen

EU-Ratspräsident Donald Tusk äußerte sich vergangene Woche ebenfalls besorgt über die Entwicklung in seinem Heimatland. Er habe Präsident Andrzej Duda kontaktiert und ein dringendes Treffen vorgeschlagen. Duda lehnte das Treffen mit Tusk allerdings ab. Aus Sicht des konservativen Staatschefs gebe es „keine Grundlage dafür, dass der Chef des europäischen Rates interveniert“, sagte Dudas außenpolitischer Berater Krzysztof Szczerski in der Nacht auf Donnerstag laut der Nachrichtenagentur PAP.

Tusk war von 2007 bis 2014 polnischer Ministerpräsident. Bei der Parlamentswahl 2015 wurde seine liberal-konservative Bürgerplattform von der rechtskonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kaczynski besiegt.

Auch USA beunruhigt

Auch die US-Regierung zeigte sich beunruhigt. Das US-Außenministerium forderte die polnische Regierung auf, die Unabhängigkeit des Justizsystems zu bewahren. „Die polnische Regierung fährt damit fort, Gesetze zu erlassen, die die gerichtliche Unabhängigkeit und Rechtsstaatlichkeit in Polen zu untergraben scheinen“, erklärte Sprecherin Heather Nauert. Alle Seiten müssten dafür sorgen, dass die Reform nicht gegen die Verfassung verstoße und die Grundsätze der Gewaltenteilung gewahrt würden, forderte sie.

Der Streit fand auch in Österreich Reaktionen: ÖVP-Vizekanzler und Justizminister Wolfgang Brandstetter zeigte sich besorgt: „Eine unabhängige Justiz ist das zentrale Element freier rechtsstaatlicher Demokratien“, meinte Brandstetter in einer Aussendung am Sonntag. Auch EU-Parlamentsvizepräsidentin Ulrike Lunacek forderte den polnischen Präsidenten auf, das Gesetz durch sein Veto zu stoppen.

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