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Beweisaufnahme dauerte vier Jahre

Der Prozess um die Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) am Münchner Oberlandesgericht biegt nach über vier Jahren in die Zielgerade ein - auch wenn es bei den Plädoyers Verzögerungen gibt. Dem Ende nähert sich ein Mammutverfahren gegen Rechtsterroristen und deren Helfer: 373 Verhandlungstage dauerte es bis zum Ende der Beweisaufnahme, 815 Zeugen wurden gehört, 42 Sachverständige befragt.

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Es geht um die Frage, welche Rolle die mutmaßliche Terroristin Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte in den Jahren 2000 bis 2006 gespielt haben. Die mittlerweile 42-Jährige soll NSU-Mitglied gewesen sein. Zehn Menschen soll die Gruppe ermordet haben - neun von ihnen waren Geschäftsleute türkischer und griechischer Abstammung. Zschäpes Mitstreiter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sollen die Todesschützen sein. Sie sind inzwischen tot, nach einem gescheiterten Bankraub Ende 2011 nahmen sie sich das Leben.

Zschäpe droht lebenslang

Im Fokus des Prozesses stand Zschäpe als die einzige Überlebende der Gruppe. Fast 14 Jahre lebte sie mit den beiden Terroristen im Untergrund - im Verfahren geht es maßgeblich um die Frage, ob ihr eine Mittäterschaft für die NSU-Verbrechen angelastet werden kann. Die Staatsanwaltschaft sieht das eindeutig, womit ihr lebenslange Haft droht. Zschäpe selbst stellte die Umstände im Prozess anders dar: Sie habe versucht, Mundlos und Böhnhardt vom Morden abzuhalten.

Angeklagte Beate Zschäpe und ihr Anwalt Mathias Grasel

APA/AFP/Michaela Rehle

Zschäpe mit ihrem Verteidiger Mathias Grasel am Mittwoch

„Ich erinnere mich, dass ich stundenlang auf sie einredete, mit dem Töten aufzuhören“, gab Zschäpe zu Protokoll. Sie habe immer wieder mit dem Gedanken gespielt, zur Polizei zu gehen und das Leben im Untergrund zu beenden. Doch wegen der Selbstmorddrohung ihrer Freunde sei die Lage für sie unlösbar gewesen. Darüber hinaus ist Zschäpe wegen schwerer Brandstiftung und Mittäterschaft bei zwei Sprengstoffanschlägen mit vielen Verletzten sowie 15 Raubüberfällen angeklagt.

Vier weitere Angeklagte

Doch neben Zschäpe sitzen noch weitere mutmaßliche Helfer des Terrortrios auf der Anklagebank: etwa Ralf Wohlleben. Der frühere NPD-Funktionär ist wegen Beihilfe zu neun Morden angeklagt. Er wird verdächtigt, jene Pistole mit Schalldämpfer besorgt zu haben, mit der Böhnhardt und Mundlos die Morde verübt haben sollen. Wohlleben sitzt seit mehr als fünfeinhalb Jahren in U-Haft und bestreitet den schweren Vorwurf.

Angeklagter Ralf Wohlleben

APA/AFP/Christof Stache

Wohlleben soll der Terrorzelle die Tatwaffe besorgt haben - er sitzt seit vielen Jahren in U-Haft

Wohlleben wird aber schwer belastet - nämlich von Carsten S., der mit den Behörden kooperiert. Kurz nach dem Auffliegen des NSU wurde er festgenommen und gestand umfassend. Im Prozess gab er an, in Wohllebens Auftrag die Pistole als Bote an Böhnhardt und Mundlos übergeben zu haben. S. ist daher ebenfalls wegen Beihilfe zu neun Morden angeklagt.

Tarnidentitäten verschafft, bei der Flucht geholfen

Neben S. ist Andre E. als mutmaßlicher NSU-Helfer angeklagt - der überzeugte Neonazi hatte den ganzen Prozess hindurch konsequent geschwiegen. Laut Zschäpe hielt E. bis zum Schluss Kontakt zu dem Trio. E. half Zschäpe bei ihrer kurzen Flucht nach dem Tod von Mundlos und Böhnhardt. Den beiden fühlt er sich offenbar bis heute verbunden. Bei einer Durchsuchung seiner Wohnung fanden Polizisten ein vom ihm selbst gemaltes Bild, auf dem die Porträts der beiden zu sehen sind mit dem Schriftzug „unvergessen“.

Auch auf der Anklagebank sitzt Holger G.: Er gab zu, dem NSU-Trio eine Waffe übergeben zu haben. Außerdem habe er Ausweispapiere mit falschen Namen zur Tarnung beschafft. Er habe sich immer wieder mit den dreien getroffen, um mit „Systemchecks“ die Tarnidentitäten zu aktualisieren. Nach dem Auffliegen hatte G. die Ermittler in einer Vernehmung auf die Spur der Pistole gebracht. Angeklagt ist auch er wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.

Ermittlungspannen und offene Fragen

Allein anhand der Vorgeschichte des Prozesses wird die Wichtigkeit einer umfassenden Aufarbeitung klar - schließlich waren die Morde lange Zeit nicht mit Rechtsterrorismus in Verbindung gebracht worden. Ganz im Gegenteil hatte es geheißen, die erschossenen Wirte, Gemüsehändler und Schneider seien Opfer von Milieukriminalität geworden. Verdächtige wurden oft in den Reihen der Familien selbst gesucht, die trauernden Angehörigen somit zu Verdächtigen gemacht.

Auch der Mord an der Heilbronner Polizistin Michele Kiesewetter 2007 wurde für die Ermittler zum Debakel: Nach einem DNA-Fund spekulierte man über eine Superverbrecherin mit Dutzenden Verbrechen. Als dieselbe DNA auch bei einem Tatort in Österreich festgestellt wurde, war klar, dass die Spur auf verunreinigte DNA-Testsets zurückzuführen war. Inzwischen gelten Mundlos und Böhnhardt als Mörder der Polizistin - bis heute gibt es zahlreiche Spekulationen über ein mögliches Motiv.

Zahlreiche U-Ausschüsse versuchten Aufarbeitung

Generell wurde der NSU-Prozess als eine Chance gesehen, Vorwürfe, die deutschen Sicherheitsbehörden seien am rechten Auge blind, zu zerstreuen. Seit der NSU Ende 2011 aufflog, hat der Fall hohe Wellen geschlagen. U-Ausschüsse des deutschen Bundestages und mehrerer Landtage wurden eingesetzt, um herauszufinden, warum die Sicherheitsbehörden versagt hatten. Mehrere führende Geheimdienstler mussten ihren Hut nehmen. Über Jahre hatten die Ermittler falsche Spuren verfolgt und den wahren Hintergrund verkannt.

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