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Von Reißverschluss bis Vorzugstimme

Wen schicken die Parteien ins Rennen um den Nationalrat? Über ihre Wahllisten legen die Parteien fest, wer eine realistische Chance auf den Einzug in den Nationalrat bekommt und wer nicht. Wie diese erstellt werden, haben SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grüne und NEOS in ihren Statuten festgeschrieben - mit teils deutlichen Unterschieden.

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Seit dem Parteitag Anfang Juli in Linz hat die ÖVP nicht nur einen neu gewählten Parteiobmann, sondern auch neue Statuten. Die haben es zwar erst mit fast einer Woche Verspätung auf die Website der Partei geschafft - mittlerweile kann aber jeder nachlesen, was sich in der ÖVP offiziell geändert hat. Vor allem ein Punkt wird in den kommenden Wochen bedeutend werden: Wenn es darum geht, die Wahllisten für die ÖVP aufzustellen, hat Parteiobmann Sebastian Kurz künftig mehr als nur ein Wort mitzureden.

Vetorecht in ÖVP und FPÖ

Wer welche Chancen hat, mit einem ÖVP-Ticket in den Nationalrat einzuziehen – das liegt nun zu einem großen Teil in der Hand des Parteichefs. Er allein bestimmt zum Beispiel, welche Namen auf der Bundesliste der Partei stehen. Auf einer Pressekonferenz vergangene Woche sagte Kurz, er werde für die Bundesliste insgesamt 100 Personen nominieren, die bisher nie für die ÖVP auf Bundesebene angetreten seien; und stellte den ersten davon auch gleich vor: Der ehemalige grüne Bundesrat Efgani Dönmez wird auf Platz fünf der Bundesliste kandidieren.

ÖVP-Obmann Sebastian Kurz und seine Freundin Susanne Thier

APA/Hans Punz

Kurz ließ sich von seinen Parteikollegen mit einem ganzen Bündel an Vollmachten ausstatten

Darüber hinaus geben die neuen Statuten dem Obmann ein Mitsprache- und Vetorecht, wenn es um die Landeslisten geht. Zumindest auf dem Papier hat Kurz damit deutlich mehr Einfluss als die Obleute der anderen Parteien. Ein Vetorecht bei den Landeslisten kennt sonst nur die FPÖ. Und dort ist es laut der Parteisatzung nicht der Obmann, der eine solche Streichung vornehmen kann, sondern der Bundesparteivorstand.

Erklärung zu freiwilligem Verzicht

Bei SPÖ, Grünen und NEOS hat die Leitung der Bundespartei zumindest auf dem Papier bei der Erstellung der Landeslisten nichts mitzureden; vorausgesetzt die Listen sind statutenkonform. SPÖ und Grüne verlangen zum Beispiel, dass auf allen Listen das Reißverschlussprinzip eingehalten wird - also Frauen und Männer einander abwechseln. Auch die ÖVP kannte bereits vor der jüngsten Statutenänderung ein solches System für die Bundes- und Landeslisten. Jetzt wurde es auch für die Regionallisten verpflichtend.

Zugleich hat Kurz aber einen Punkt durchgesetzt, der das Reißverschlusssystem zumindest theoretisch aushebeln könnte. So reicht zukünftig bereits die Hälfte der gesetzlich notwendigen Vorzugsstimmen für eine Vorreihung auf den Wahllisten. Auf der Bundesliste genügen 3,5 Prozent der auf die ÖVP entfallenden gültigen Stimmen, für die Landeslisten sind es fünf und für die Regionalparteilisten sieben Prozent.

Am Ende beruht diese Regelung allerdings auf Freiwilligkeit. Die ÖVP verlangt zwar von allen ihren Kandidatinnen und Kandidaten die Erklärung, das parteiinterne Abkommen zu den Vorzugsstimmen anzuerkennen und gegebenenfalls auf das eigene Mandat zu verzichten. Würden sich Kandidatinnen oder Kandidaten aber dennoch weigern, auf ihren Listenplatz zu verzichten, bekämen sie zwar Ärger mit der eigenen Partei. Sie könnten aber zumindest die Verfassung hinter sich wissen.

Scheitern an parteiinterner Demokratie

Es ist nicht der einzige Punkt in den neuen ÖVP-Statuten, der von außerhalb der Partei Kritik erfuhr. Vor allem die Bündelung der Befugnisse bei Kurz sorgte für Skepsis. Zugleich gestanden aber auch kritische Stimmen ein: Eine solche Machtkonzentration kann - zumindest kurzfristig - das innerparteiliche Konfliktpotenzial reduzieren.

Grünen-Fraktionsführer Peter Pilz

APA/Sebastian Cermak

Die grünen Delegierten verwehrten Pilz den gewünschten Listenplatz. Jetzt liebäugelt er mit einer eigenen Liste.

Ende Juni verlor Peter Pilz seinen vierten Platz auf der Bundesliste der Grünen gegen Jungpolitiker Julian Schmid. Jetzt stehen der Parteiaustritt des grünen Aufdeckers und eine Kandidatur mit einer eigenen Liste im Raum. Ob das auch passiert wäre, wenn nicht die rund 260 Delegierten des Bundeskongresses abgestimmt hätten, sondern die Listenerstellung nur bei der Parteivorsitzenden gelegen wäre?

Basisdemokratie als Selbstverständnis

Wer solche Fragen stellt, rüttelt allerdings an den Grundfesten der Grünen. Die Basisdemokratie innerhalb der eigenen Partei ist ein entscheidender Bestandteil des grünen Selbstverständnisses. Noch deutlicher als bei den Bundeslisten wird das bei den Wahllisten auf Landesebene. Hier können theoretisch alle Parteimitglieder mitbestimmen. Beschlossen werden die Listen auf den Landesversammlungen, und dort ist jedes Mitglied der Landespartei stimmberechtigt.

Der Regelfall ist diese Art von Basisdemokratie in Österreichs Parteienlandschaft aber nicht. Bei der ÖVP werden die Landeslisten von den Landesparteivorständen und nun – Stichwort Vetorecht - bis zu einem gewissen Grad auch vom Parteiobmann erstellt. Bei der FPÖ obliegt die Landeslistenerstellung ebenfalls den Leitungsgremien der Landesparteien, wobei im Streitfall eben der Bundesparteivorstand das letzte Wort hat. Und bei der SPÖ bestätigt der jeweilige Landesparteirat - und damit Delegierte - die Vorschläge der Landesvorstände.

Onlineabstimmung und „Wildcard“

Nur NEOS bietet ebenfalls allen seinen Mitgliedern die Möglichkeit, über die Listenplätze mitzubestimmen. Und die Partei geht sogar noch einen Schritt weiter: In einer Onlinebefragung können laut Parteisatzung „alle Personen, die das 16. Lebensjahr vollendet haben sowie entweder in Österreich ihren Hauptwohnsitz haben oder die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen“, Punkte an die möglichen Kandidaten und Kandidatinnen vergeben.

Dazu kommen noch Abstimmungen in den Parteigremien und in der Mitgliederversammlungen. Am Ende werden alle drei Ergebnisse zusammengezählt, und so wird die Reihenfolge der Kandidatinnen und Kandidaten sowohl für die Bundes- als auch für die Landesliste bestimmt. Allerdings: Das Parteistatut sieht dann doch eine Ausnahme vor. Eine Person kann der Bundesvorstand auch ohne Onlinevoting auf die Bundesliste nominieren.

NEOS-Vorsitzender Matthias Strolz und Irmgard Griss

APA/Helmut Fohringer

Griss hat es ganz ohne Onlineabstimmung auf die NEOS-Liste geschafft

Bei der Nationalratswahl 2013 hatte die Parteileitung auf diese Möglichkeit noch verzichtet. Dieses Jahr zog Matthias Strolz aber die „Wildcard“: Die frühere Höchstrichterin und unabhängige Präsidentschaftskandidatin Irmgard Griss wird für NEOS kandidieren. Die Juristin wird gleich hinter Strolz auf Platz zwei der Bundesliste gereiht - und sich zugleich im etwas ausufernden Listennamen finden: „NEOS - Das Neue Österreich gemeinsam mit Irmgard Griss, Bürgerinnen und Bürger für Freiheit und Verantwortung“.

Drei Stufen Richtung Mandat

Weit weniger ausgefeilt geht es bei NEOS hingegen bezüglich der Regionallisten zu. „Die Erstellung der Regionalwahlkreislisten obliegt dem jeweiligen Landesteam unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Vorwahlverfahrens“, heißt es in den Parteistatuten knapp. Dass NEOS so wenig Fokus auf diese Listen legt, hat einen guten Grund: Sie spielen für die Partei - anders als für SPÖ, ÖVP oder auch FPÖ - quasi keine Rolle.

Das liegt am System, nach dem in Österreich Stimmen auf Mandate verteilt werden. Die Nationalratswahlordnung schreibt ein dreistufiges Verfahren vor. Es beginnt auf der Ebene der insgesamt 39 Wahlkreise, in denen es - je nach Bevölkerungszahl - ein bis neun Mandate zu gewinnen gibt. Die Hürde, um auf dieser Ebene ein Mandat zu erlangen, ist aber relativ hoch. Weshalb hier zumeist nur die größeren Parteien punkten.

Eben deshalb werden in den Regionalkreisen auch meistens weniger als die Hälfte aller Parlamentssitze vergeben. Die restlichen Mandate werden dann auf Landes- und Bundesebene verteilt - freilich nur an die Parteien, die zumindest ein Mandat in einem Regionalkreis oder insgesamt vier Prozent aller gültigen Stimmen erhalten haben. Bleibt eine Partei unter dieser Schwelle, dann hilft den Kandidatinnen und Kandidaten auch der beste Listenplatz nichts.

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