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„Das ist nicht der Weg“

Kritik an Österreichs Vorbereitungen für Grenzkontrollen auf dem Brenner in Tirol kommt nun auch von EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani. „Das ist nicht der Weg, um die Flüchtlingsproblematik in Angriff zu nehmen. Die Entsendung von Soldaten an die Brenner-Grenze ist inakzeptabel“, sagte der konservative italienische Politker im Interview mit der Tageszeitung „Quotidiano Nazionale“ am Mittwoch.

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Laut Tajani muss die EU die afrikanischen Herkunftsländer der Migranten stark unterstützen. „Wir haben vorgeschlagen, dass 6,4 Milliarden Euro, die in diesem Jahr nicht ausgegeben wurden, zu diesem Zweck verwendet werden“, so Tajani. Am Vortag hatte sich die EU-Kommission über die österreichischen Pläne überrascht gezeigt.

EU-Kommission muss informiert werden

Nach Schengen-Regeln müssten derartige Pläne nach Brüssel gemeldet werden, sagte der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, am Dienstag. „Wenn Österreich etwas tun will, muss es die Kommission verständigen. Dann werden wir reagieren.“ Kritisch gegenüber Österreich zeigte sich am Mittwoch auch der Staatssekretär im italienischen Verteidigungsministerium, Domenico Rossi. „Das Heer am Brenner ist keine konkrete Lösung für das Migrationsphänomen, das nicht nur Italien, sondern ganz Europa betrifft. Österreichs Verhalten widerspricht der zunehmenden Integration zwischen Italien und Österreich im europäischen Rahmen“, so Rossi.

Kern versucht zu beruhigen

Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) stellte am Mittwoch klar, dass Österreich derzeit keine Grenzkontrollen auf dem Brenner durchführen werde und auch kein Einsatz des Bundesheeres unmittelbar bevorstehe. Derzeit gebe es keine Truppen und kein militärisches Gerät dort. Österreich habe aber für einen möglichen Bedarfsfall einen Notfallplan beschlossen.

Kern versicherte, dass sich trotz der hohen Zahl an Flüchtlingen in Italien in den letzten Wochen die Zahl der Aufgriffe in Österreich kaum verändert habe. Das zeige die exzellente Arbeit der italienischen Behörden und die gute Kooperation mit Italien. Es gebe derzeit keine Anzeichen, dass die italienischen Behörden die Situation nicht im Griff hätten. Italien brauche aber jetzt die europäische Solidarität. Daran werde sich Österreich auch beteiligen und sich an der Konferenz der Innenminister am Donnerstag konstruktiv einbringen.

„2015 darf sich nicht wiederholen“

Kern sagte aber, dass sich eine Situation wie 2015, als Tausende Flüchtlinge unkontrolliert die Grenzen passierten, nicht wiederholen dürfe. Deshalb müsse sich Österreich vorbereiten und habe nun diesen Notfallplan beschlossen. Für den Fall, dass tatsächlich Grenzkontrollen notwendig werden sollten, würde sich Österreich sowohl mit Europa als auch mit Italien abstimmen, so der Kanzler. Derzeit gebe es dafür aber keine Anzeichen.

Kern versicherte weiters, dass er in einem Gespräch mit seinem italienischen Amtskollegen Paolo Gentiloni Missverständnisse ausgeräumt habe. Er habe ausführlich erklärt, was ein Assistenzeinsatz des Bundesheeres bedeute und dass dieser nur zur Unterstützung der Polizei diene. Kern geht davon aus, dass das sowohl in Italien als auch in Brüssel nun so verstanden werde und die Aufregung keine Fortsetzung finde.

Wann dieser Notfallplan tatsächlich umgesetzt werden könnte, darüber wollte Kern nicht spekulieren. Er erwartet aber vom Innenminister und vom Verteidigungsminister, dass für den Ernstfall Vorbereitungen getroffen werden. Derzeit funktioniere die Zusammenarbeit mit Italien sehr gut, so der Bundeskanzler auch an dieser Stelle und unterstrich: Es würden keine Panzer auf dem Brenner auffahren.

Doskozil: Zahl der Flüchtlinge zugenommen

Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) begründete die Notwendigkeit für den Notfallplan damit, dass die Zahl der Flüchtlinge über das Mittelmeer in Italien gegenüber dem Vorjahr um 20 bis 25 Prozent zugenommen habe. Derzeit würden 700.000 Menschen in Libyen auf eine Überfahrt nach Europa warten. Die Kapazitäten in Italien seien begrenzt. Auch Doskozil drängte in diesem Zusammenhang neuerlich auf europäische Lösungen im Sinne eines Gesamtkonzepts.

Der Verteidigungsminister verwies darauf, dass es bereits ein Grenzmanagement gebe und der Notfallplan jetzt nur der nächste Schritt sei. Es gehe jetzt nur um die Vorbereitung für den Bedarfsfall, man habe derzeit noch kein Personal an die Grenze verlegt. Wenn der Innenminister Grenzkontrollen verordnen sollte, könne das Bundesheer aber rasch mit seinem Assistenzeinsatz beginnen.

Lunacek: Kern soll Doskozil in Schranken weisen

Die grüne EU-Abgeordnete und Spitzenkandidatin für die Wahl im Herbst, Ulrike Lunacek, forderte Kern auf, Doskozil zurückzuhalten."Die offene Brenner-Grenze ist die Erfolgsgeschichte des europäischen Friedensprozesses. Nordtirol und Südtirol nach vielen Jahrzehnten der Teilung unter der EU-Fahne wiedervereint ist das Symbol des europäischen Miteinanders schlechthin. Wer das, was zusammengehört, wieder infrage stellt, wer Tirol mit Zäunen und Panzern wieder trennt, hat aus den vor allem für die Tirolerinnen und Tiroler bitteren Erfahrungen des vorigen Jahrhunderts nichts gelernt", so Lunacek am Mittwoch.

Deswegen fordere sie Kern auf, Doskozil unmissverständlich in die Schranken zu weisen. Es könne nicht sein, dass ein von ÖVP-Außenminister Sebastian Kurz wegen dessen Flüchtlings-Eskalationsspirale getriebener „Panzerminister“ Italien brüskiere.

Botschafter: Für den Ernstfall

Der österreichische Botschafter in Rom vertrat indes im italienischen Außenministerium die Position, dass es sich bei den Plänen „um Planungs- und Vorbereitungsmaßnahmen für einen Ernstfall handelt“. Das sagte ein Sprecher von Kurz am Mittwoch.

Nach den vom Verteidigungsministerium eingeleiteten Vorbereitungen war der österreichische Vertreter in Rom, Rene Pollitzer, zu einem Gespräch gebeten worden. Italien habe sich dabei „enttäuscht über die Maßnahmen Österreichs gezeigt“, so der Kurz-Sprecher. Zuletzt war laut Außenministerium ein österreichischer Vertreter in einem EU-Land - in diesem Fall eine Botschafterin - im Frühjahr 2016 in Griechenland rund um den Wiener Gipfel zur Balkan-Route vorgeladen worden.

Für Kurz kein Wahlkampfmanöver

Den Vorwurf, das mit der Brenner-Grenze Wahlkampf betrieben wird, wies Kurz am Dienstag bei einem Termin in Innsbruck zurück. Er lobte ausdrücklich die gute Zusammenarbeit von Innen- und Verteidigungsminister in der Angelegenheit. „Ich halte es für höchst verantwortungsvoll, wenn man sich vorbereitet“, meinte der ÖVP-Obmann.

Das Thema sei zu ernst, um es als Wahlkampfthema zu sehen, stieß auch Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) ins selbe Horn wie der Außenminister. In Tirol sei man sehr verunsichert, was die Anlandungen in Italien betreffe. Obwohl die Situation derzeit noch „überschaubar“ sei, dürfe es auf keinen Fall ein Durchwinken geben. „Wenn die EU-Außengrenzen nicht gesichert werden, wird das Fass überlaufen“, meinte Platter.

Zahlen bleiben stabil

Die Zahlen der Flüchtlinge an den Übergängen bezeichnete auch Gerald Tatzgern, Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung der Schlepperei und des Menschenhandels, im Ö1-Morgenjournal am Dienstag als stabil. Vermehrte Aufgriffe in Kärnten und Tirol gebe es nicht. Auch nannte Tatzgern Österreich nicht als eines der Zielländer der großteils aus Afrika stammenden Flüchtlinge.

Hauptzielländer seien Deutschland, Schweden und Norwegen. Jene, die aus französischsprachigen Staaten kommen, peilten Frankreich, aber auch Teile der Schweiz an. In Österreich waren in den ersten fünf Monaten 10.520 Asylansuchen gestellt worden. Das ist nicht einmal die Hälfte des Vorjahrswerts, als bis Ende Mai 22.419 Anträge eingereicht worden waren.

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