ÖVP-Chef pocht auf Veränderungen
Die ÖVP hat nun auch ganz offiziell einen neuen Parteichef: Sebastian Kurz wurde am Samstag im Linzer Designcenter zum neuen ÖVP-Obmann gewählt. Zudem wurden die von ihm geforderten Reformen der Statuten abgesegnet. Unter dem Motto „Zeit für Neues“ präsentierte Kurz seine Vorstellungen von der Ausrichtung der Partei. Ganz neu waren diese aber nicht.
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Kurz erhielt bei der Kür 98,7 Prozent (464 von 472 abgegebenen Stimmen). „Vielen, vielen Dank. Ich nehm die Wahl sehr, sehr gerne an“, sagte Kurz und bedankte sich für den Vertrauensvorschuss. Kurz erzielte bei seiner Wahl das bisher zweitbeste Ergebnis in der jüngeren Parteigeschichte: Vorgänger Reinhold Mitterlehner erhielt bei seiner Wahl zum ÖVP-Chef 2014 sogar 99,1 Prozent der Delegiertenstimmen, ein einmaliger Höchstwert in den vergangenen 30 Jahren Parteigeschichte.
Hohe Zustimmung auch für Stellvertreter
Kurz’ Stellvertreter landeten allesamt bei ähnlich hohen Werten wie der neue Parteichef: Casinos-Vorständin Bettina Glatz-Kremsner erhielt 98,1 Prozent, die Bregenzer Stadträtin Veronika Marte 98,3 Prozent, die steirische Landesrätin Barbara Eibinger-Miedl 99,2 Prozent und der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer 98,9 Prozent. Der Nationalratsabgeordnete Andreas Ottenschläger wurde ebenfalls mit 98,9 Prozent zum neuen Bundesfinanzreferenten gewählt.

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Kurz bei seiner Rede
Politeinstieg als persönliche Krise
Kurz begann seine Rede im Vorfeld der Abstimmung persönlich: Die ÖVP habe eine lange und bewegte Geschichte. Ihn selbst habe seine Zeit am Beginn im Staatssekretariat für Integration am meisten bewegt. Auf den Rat von Josef Pröll habe er das Angebot des damaligen ÖVP-Chefs Michael Spindelegger angenommen - obwohl ihn Pröll vom Thema Integration abgeraten habe. Ihm sei dann in der Öffentlichkeit eine Welle der Kritik begegnet - in dieser schwierigen Zeit sei er aber von Parteifreunden unterstützt worden.
Kritik am Sozialsystem
Österreich sei „Weltmeister im Weiterwursteln“ und schlecht darin, Fehler zuzugeben. Es gebe zu wenig Veränderungsbereitschaft. Mit dem Erreichten sollte man nicht zufrieden sein, sondern man solle daran arbeiten, besser zu werden. Man müsse aufhören, Dinge schönzureden, man müsse ehrlich sagen, was Sache ist im Land. In den Rankings Europa sei Österreich in den vergangenen Jahren „ins Mittelmaß“ zurückgefallen. „Wir wollen Österreich wieder an die Spitze führen, nicht für ein Ranking, sondern für uns alle.“
Kurz in Linz über Steuern, Pflege, Mittelmeer-Route
In seiner Rede vor über 1.000 Delegierten bekräftigte Kurz seine Forderungen nach einer Steuersenkung, einer raschen Schließung der Mittelmeer-Route und einem effizienteren Sozialsystem.
Nur ein wirtschaftlich erfolgsreiches Land könne auch soziale Absicherung garantieren. Mehrmals sprach Kurz Probleme im Sozialsystem an. Die Debatte sei zu input- und zu wenig outputorientiert. Auch zu bürokratische Systeme kritisierte Kurz. Die Systeme hätten den Menschen zu dienen und nicht umgekehrt. Mehr Unterstützung forderte er für pflegende Angehörige.
Mahner in der Migrationsfrage
Beim Thema Migration werde man schnell in ein rechtes Eck gedrängt, wenn man „Wahrheiten ausspreche“, beklagte Kurz und verwies darauf, dass er gemeinsam mit der damaligen Innenministerin Johanna Mikl-Leitl vor den Auswirkungen der Flüchtlingskrise gewarnt hatte. Einmal mehr forderte er die Schließung der Mittelmeer-Route, „und zwar besser heute als morgen“.
Kurz appellierte dafür, die Menschen wieder ernst zu nehmen. Er plädierte für eine neue Kultur der Eigenverantwortung und ein neues Verständnis für „Erfolg“. Erfolgreiche Menschen sollten als Vorbilder dienen, Gescheiterte bräuchten eine zweite Chance.
Vorbild Familie
Die Gesellschaft sieht Kurz nach dem Vorbild der Familie: In der Familie müsse sich jeder einbringen - und in einem Land müsse jeder seinen Beitrag leisten. Verwirklicht sieht er diese Ideen vor allem in den Gemeinden auf dem Land. Die neuen Chancen des 21. Jahrhunderts müsse man nutzen, sie würden den Zusammenhalt der Gesellschaft nicht gefährden. Eine Gesellschaft könne nur über gemeinsame Grundwerte zusammengehalten werden, auch wenn sie durch Migration immer vielfältiger werde. Diese Grundwerte müsse man definieren.
Es brauche „wieder mehr Mut“, um zu sagen, dass man sich in Österreich für Erfolg anstrengen müsse, „dass bei uns die Gleichstellung von Mann und Frau gilt“ und dass es „null Toleranz für Islamismus und Extremismus“ gebe - das werde „auch so bleiben“, bekräftigte Kurz seine Botschaften.
Erneut niedrigere Abgabenquote gefordert
Kurz beklagte steigende Staatsquote und Steuern, während die Freiheit für den Einzelnen abnehme. Die Differenz zwischen Brutto- und Nettogehalt sei größer als in den meisten anderen Ländern, deshalb werde es schwieriger, sich in Österreich etwas aufzubauen. Kurz gab als Ziel erneut eine Abgabequote von 40 Prozent aus, er will einen schlanken Staat, der sparsam mit dem Steuergeld umgeht. Es sollte möglichst wenige, aber dafür verbindliche Regeln geben.

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Als Bühnenbild dienten in kühles Licht getauchte weiße und türkisfarbene Container
Kurz befürchtet einen schmutzigen Wahlkampf - an dem er sich nicht beteiligen will. Er habe viel Mut aufbringen müssen, um sich für die Führung der ÖVP zu entscheiden. Er bedankte sich bei der Partei für die Änderung der Statuten. Es brauche Veränderung, „auch in unserer Volkspartei“. Mit der Veränderung könne die ÖVP stärker werden und die Kraft haben, Österreich zu verändern, so der neue Parteichef.
Neues Parteistatut abgesegnet
Beschlossen wurde auch das neue Parteistatut. Der neue Parteichef Kurz bekommt laut der Statutenreform weitgehend freie Hand bei wesentlichen Personal- und Strategieentscheidungen. Die Statutenänderungen wurden von den Delegierten in offener Abstimmung einstimmig angenommen und genehmigt.
98,7 Prozent und mehr Macht
Neben Kurz’ Kür wurde eine Änderung der Statuten beschlossen, die dem neuen Obmann viel Macht innerhalb der Partei gibt.
Der Bundesparteiobmann kann künftig mit eigener Liste kandidieren, die von der Volkspartei unterstützt wird und für andere Personen, die nicht Parteimitglied sind, offen ist. Zugleich erhält der ÖVP-Chef ein Durchgriffsrecht auf die Listen. Kurz bekommt die Kompetenz zur Erstellung der Bundesliste für die Nationalratswahl und die EU-Wahl. Die Erstellung der Landes- und Regionallisten muss im Einvernehmen mit dem Bundesparteiobmann erfolgen, dem im Zweifelsfall ein Vetorecht zukommt.
Reißverschlusssystem bei Wahllisten
Die Entscheidungskompetenz für die Bestellung des ÖVP-Regierungsteams sowie der Generalsekretäre bzw. Geschäftsführer liegt nach der Statutenreform ebenso beim Bundesparteiobmann wie inhaltliche Vorgaben zur Positionierung der Volkspartei. Auf allen Wahllisten soll künftig ein Reißverschlusssystem gelten, das abwechselnd Mann, Frau, Mann bzw. Frau, Mann, Frau vorsieht. Über das tatsächliche Abschneiden entscheiden dann aber die Wähler mittels Vorzugsstimmensystem. Wer mehr Stimmen erreicht, wird vorgereiht. Das Vorzugsstimmenmodell wird allerdings nicht statutarisch festgelegt.
Standing Ovations zu Beginn
Begonnen hatte das Spektakel mit dem Einzug von Kurz unter Standing Ovations, der Bundeshymne und einem Video über die Ereignisse seit dem Abgang von Mitterlehner als Parteichef. Es seien „intensive und harte sechs Wochen“ gewesen, die bevorstehenden Wochen würden noch härter werden, so Kurz.
„Der Parteitag ist nicht dazu da, dass wir uns abfeiern, sondern die Weichen dafür stellen, was vor uns liegt“, meinte Kurz zum Auftakt des Parteitags mit Blick auf den bevorstehenden Wahlkampf. „Wir haben ab heute wegen Umbau geöffnet. Die Container sind gepackt, alles steht für Aufbruch“, sagte ÖVP-Generalsekretärin Elisabeth Köstinger in Anspielung auf das Parteitagssetting.
Mahnende Worte Mitterlehners
Mitterlehner, der im Mai nach monatelangen Machtkämpfen den Hut genommen hatte, war beim Parteitag - wie viele andere seiner Vorgänger - anwesend und wurde bei der Begrüßung mit reichlich Applaus bedacht. Er fand in seiner Abschiedsrede auch einige mahnende Worte. Er meinte, er sei nach dem Ausscheiden aus der Politik dabei, „sich zu resozialisieren“. In der Runde sehe er viele vertraute Gesichter, es seien fast dieselben Personen, die ihn vor zweieinhalb Jahren gewählt hätten - und auch damals sei von einem Neustart die Rede gewesen.

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Nach dem offiziellen Parteitag ließ sich Kurz bei einem Sommerfest vor dem Designcenter feiern
Er verwies darauf, dass er der vierte ÖVP-Obmann in Folge sei, der seine erste Funktionsperiode nicht vollende. Mittlerlehner beschwerte sich noch einmal über die öffentlichen Querschüsse, Kritik gehöre intern ausdiskutiert. Seiner Partei empfahl er mehr Gelassenheit im Umgang mit ihren Obleuten. Man dürfe nicht bei jedem Umfrageausschlag nach unten in Depression verfallen. Der ÖVP und Kurz wünschte er für die Zukunft viel Glück. Kurz bedankte sich im Gegenzug bei seinem Vorgänger für sein Engagement in der ÖVP. Mit dem Goldenen Ehrenzeichen der Volkspartei wurde Edith Mock ausgezeichnet, die Witwe des unlängst verstorbenen Ex-ÖVP-Chefs Alois Mock.
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