Abschied im Europaparlament
Europa nimmt Abschied von einem großen Europäer. Bei einem Trauerakt im EU-Parlament hat sich die politische Spitze aus Vergangenheit und Gegenwart vor dem früheren deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl verneigt. Erstmals wurde für einen Politiker ein solcher europäischer Trauerakt ausgerichtet. Ein deutscher Staatsakt für Kohl scheiterte am Widerstand seiner Witwe, Maike Kohl-Richter.
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Der Sarg des früheren, christdemokratischen Regierungschefs und „Vaters der deutschen Einheit“ wurde am Samstag in der Früh zunächst in einem Protokollraum des Europaparlaments in Straßburg aufgebahrt. Vor dem Saal konnten sich die Trauernden in ein Kondolenzbuch eintragen. Anschließend wurde der Sarg vom Wachbataillon des deutschen Verteidigungsministeriums in den Plenarsaal getragen - begleitet von einer Totenwache des Eurokorps.

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Sarg mit Europaflagge
Der mit einer Europaflagge bedeckte Sarg des früheren Bundeskanzlers war in der Früh aus Kohls Haus in Ludwigshafen-Oggersheim im deutschen Bundesland Rheinland-Pfalz getragen und zu einem schwarzen Leichenwagen gebracht worden. Anschließend machte sich ein Fahrzeugkonvoi auf den Weg nach Straßburg. Kohl war 16 Jahre lang deutscher Bundeskanzler und 25 Jahre lang CDU-Vorsitzender. Der „Ehrenbürger Europas“ starb am 16. Juni im Alter von 87 Jahren.
Juncker nennt Kohl „Nachkriegsgiganten“
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker verabschiedete sich mit sehr persönlichen Worten und tief bewegt. Kohl habe ihn als „treuer Freund“ lange begleitet, sagte Juncker am Samstag in Straßburg. „Mit Helmut Kohl verlässt uns ein Nachkriegsgigant.“ Juncker erinnerte an Kohls Rolle als Kanzler der deutschen Wiedervereinigung und beim Zusammenwachsen Europas.
„Helmut Kohl war ein deutscher Patriot, aber auch ein europäischer Patriot“, so der Luxemburger. Ohne Kohl hätte es auch den Euro nicht gegeben, so Juncker. „Für ihn war der Euro stets europäische Friedenspolitik mit anderen Mitteln.“ Mit Blick auf Kohls politische Heimat bemerkte sein Parteigänger Juncker: „Lieber Helmut, du bist jetzt im Himmel. Versprich mir, dass du dort nicht als Erstes einen CDU-Ortsverband gründest.“
Tusk betont Versöhnung von Ost und West
EU-Ratspräsident Donald Tusk würdigte Kohl als Wegbereiter der europäischen Einigung im Westen und Osten des lange geteilten Kontinents. „Seine Vision ging weit über die deutschen Grenzen und die deutschen Interessen hinaus“, sagte Tusk. Kohl habe sich zudem „große Verdienste beim Versöhnungswerk mit Polen“ erworben. Der Deutsche habe „verstanden, dass die Ersten, die der Berliner Mauer Risse beigebracht haben, die Werftarbeiter von Danzig waren“, betonte der selbst aus Danzig stammende Pole Tusk mit Blick auf die Verdienste der Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc für die demokratische Entwicklung Ost- und Mitteleuropas.
Persönliche Worte Merkels
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) würdigte Kohl als großen Brückenbauer zwischen Ländern und Menschen. „Er war ein den Menschen zugewandter Weltpolitiker“, sagte Merkel. Jetzt müssten die nächsten Generationen sein Vermächtnis bewahren. Das sei der engagierte, unermüdliche Einsatz für Frieden, Freiheit und Einheit. Merkel dankte Kohl auch ganz persönlich. „Lieber Bundeskanzler Helmut Kohl, dass ich hier stehe, daran haben Sie entscheidenden Anteil. Danke für die Chancen, die Sie mir gegeben haben. (...) Ich verneige mich vor Ihnen und Ihrem Angedenken in Dankbarkeit und Demut.“

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Merkel erinnerte auch an Kohls erste Ehefrau Hannelore: „Wir gedenken auch ihrer in Dankbarkeit.“ Über Kohls Witwe Maike Kohl-Richter sagte Merkel, sie habe den Altkanzler „voller Hingebung und Liebe begleitet bis zuletzt“. Ihr Mitgefühl gelte Kohl-Richter und „allen, die in Helmut Kohls Familie um ihn trauen“.
Liebeserklärung Clintons
Der frühere US-Präsident Bill Clinton machte gar eine Liebeserklärung: „Ich habe ihn geliebt. Ich habe ihn sehr gemocht“, sagte Clinton. Kohl habe eine Welt gewollt, in der Zusammenarbeit als besser gilt als der Konflikt. „Er wollte eine Welt schaffen, in der niemand niemanden dominiert.“ Zum Schluss sagte Clinton: „Du hast das gut gemacht in deinem Leben. Und wir, die wir dabei sein durften, lieben dich dafür.“
Humorvoll-melancholisch erinnerte Clinton auch an Kohls Schwäche für Essen: „Ich liebe diesen Kerl, weil sein Appetit weit über das Essen hinausging.“ Und: „Er versuchte, mich dazu zu bringen, ein paar Dinge zu essen, die ich nicht essen wollte.“ Kohl war bekannt dafür, Staatsbesuchen seine Lieblingsspeise Saumagen näherzubringen.
Würdigung Macrons
Russlands Ministerpräsident Dimitri Medwedew erinnerte an die engen Beziehungen Kohls zu seinem Land. Für den Altkanzler sei Russland Bestandteil eines vereinten Europas gewesen, sagte Medwedew. „Für ihn war das ein Teil eines gemeinsamen Hauses, ohne Stacheldraht“, sagte Medwedew laut Übersetzung aus dem Russischen. „Es war ein Traum von Frieden und Sicherheit für alle.“ Kohl sei eine „Person der Zukunft“ gewesen. „Er ist auch der Architekt der gegenwärtigen Welt.“
Der französische Präsident Emmanuel Macron nannte Kohl einen großen Freund Frankreichs. „Helmut Kohl reichte uns die Hand“, sagte Macron und erinnerte an die Annäherung beider Länder in den 1980er Jahren. Macron, der seine Rede auf Französisch hielt, sprach am Ende auch Deutsch: „Wir haben heute überhaupt keinen Anlass zur Resignation. Wir haben vielmehr Grund zu realistischem Optimismus.“
Van der Bellen, Kern und Karas vertreten Österreich
EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani würdigte Mut und Tatkraft des „politischen Giganten“ Kohl. „Helmut Kohl war vor allem ein mutiger Mensch“, sagte Tajani beim europäischen Trauerakt. „Er war ein Kämpfer für die Freiheit und die Demokratie und einer der Protagonisten der Wiedervereinigung unseres Kontinents. Stets und überall verteidigte er die Würde des Menschen gegen Mauern, gegen eiserne Vorhänge und gegen totalitäre Regime.“
Aus Österreich reisten Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) sowie der ÖVP-Europaabgeordnete Othmar Karas in Vertretung von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) an.
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