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Folgt einem Trend

21 Jahre nach der umstrittenen Rechtschreibreform ist das amtliche Regelwerk erneut an einigen Stellen geändert worden - aber in viel geringerem Ausmaß. Am aufsehenerregendsten: Nach Beschluss des Rates für deutsche Rechtschreibung gibt es nun das „scharfe S“ auch als Großbuchstaben.

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Das große Eszett sieht aus wie ein Mittelding zwischen dem bisherigen, kleingeschriebenen ß und einem großgeschriebenen B. Vor allem für die korrekte Schreibung von Eigennamen in Pässen und Ausweisen sei das wichtig, teilte der Rat am Donnerstag in Mannheim mit. Bisher hatten zum Beispiel Menschen mit dem Nachnamen Oßner ein Problem: Wenn in einem Ausweisdokument wegen der Großschreibung der Buchstaben anstelle des ß ein Doppel-s steht, bleibt unklar, ob sie „Ossner“ oder „Oßner“ heißen.

Erst seit 2008 Existenz „nachgewiesen“

Einfach zu tippen ist es nicht, da es kaum eine Tastatur dafür gibt. Allerdings wurde das große Eszett 2008 als Schriftzeichen anerkannt und erhielt einen eigenen Unicode, mit dem es eindeutig identifizierbar ist. Noch einige Jahre davor war ein entsprechender Antrag abgewiesen worden. Die Begründung damals: Das zuständige Gremium befand, die Existenz des Buchstabens sei nicht ausreichend nachgewiesen.

Nichts für schnelle Finger

Mittlerweile hat das große scharfe S in Unicode den Zeichencode 1E9E - erzeugt werden kann er auf Windows-Rechnern etwa mit der Alt-Taste plus der Zahlenkombination 7838 - das ist also nicht unbedingt fürs schnelle Tippen geeignet. Gängige Computerschriften wie Times New Roman, Arial und Courier New stellten den Großbuchstaben zur Verfügung. Derzeit gibt es genau einen Hersteller, der eine passende Tastatur fertigt.

Bis dato war das scharfe S der einzige Buchstabe der deutschen Sprache, den es nur als Kleinbuchstaben gab. Ein Grund dafür ist vermutlich, dass es kein deutsches Wort gibt, das mit ß beginnt. Paragraf 25 E3 des amtlichen Regelwerks sah bei der Schreibung eines Wortes in Großbuchstaben vor, dass ß durch ein Doppel-S ersetzt wird, zum Beispiel in „STRASSE“.

Es ist die Werbung

Neben der Eindeutigkeit der Schreibung von Namen gab es noch einen weiteren Grund für die Entscheidung: Denn die Sprachexperten beobachten auch einen generellen Trend zur Schreibweise in Großbuchstaben. Ein wenig ist wohl die Werbebranche schuld: Dort ist die Verwendung von Versalien zunehmend verbreitet, um somit mehr Aufmerksamkeit zu erzielen. Mittlerweile ist es auch in vielen Büchern üblich, Kapitelüberschriften in Versalien zu drucken. Die Zulassung des großen Eszett ermöglicht in solchen Fällen nun ein optisch einheitliches Schriftbild.

Für alle, die sich an der Tastatur nicht die Finger brechen wollen, die beruhigende Nachricht: Die Ersatzschreibweise mit Doppel-S oder ß ist weiter zulässig. Die Behörden müssen allerdings entscheiden, wie sie künftig vorgehen wollen. Der Rat für deutsche Rechtschreibung überlässt das dem freien Spiel der Kräfte, wie seine Geschäftsführerin Kerstin Güthert sagte. Kein Thema ist die Entscheidung übrigens für die Schweiz und das Fürstentum Liechtenstein. Dort gibt es das ß gar nicht.

Joga und Ketschup verboten

Amtlich zulässig ist jetzt auch die Großschreibung des Adjektivs in Fällen wie „Goldene Hochzeit“ und „Neues Jahr“. Darüber hinaus passte der Rechtschreibrat einzelne Wortschreibungen an den überwiegenden Schreibgebrauch an. Er strich zum Beispiel die eingedeutschte Schreibweise „Ketschup“, die kaum verwendet wurde - zulässig ist jetzt nur noch Ketchup.

Auch andere ungebräuchliche Varianten fallen weg, müssen also zum Beispiel bei Schuldiktaten als Fehler angestrichen werden. Zum Beispiel „Grislibär“ (amtlich erlaubt ist nur noch Grizzlybär), „Joga“ (nur noch: Yoga), „Komplice“ (nur noch: Komplize), „Roulett“ (nur noch: Roulette), „Varietee“ (nur noch: Varieté), „Wandalismus“ (nur noch: Vandalismus).

Rat für Rechtschreibfrieden

Die Rechtschreibreform von 1996 hatte zu leidenschaftlichen Debatten geführt. Jahrelang tobte ein Streit über die richtige Schreibweise von Delph/fin, Fluss oder Fluß, Schiff(f)ahrt und mehr. Der daraufhin eingesetzte Rechtschreibrat suchte nach Kompromisslösungen und sollte dafür sorgen, dass der „Sprachfrieden“ wiederhergestellt wird.

Seit 2004 ist der Rat die maßgebliche Instanz in Fragen der Orthografie. Er hat Mitglieder aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, dem Fürstentum Liechtenstein, der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol und der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens. Die deutsche Kultusministerkonferenz und die staatlichen Stellen der anderen Länder bestätigten die neuen Änderungen, die der Rat beschlossen hat, und machten sie damit wirksam.

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