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Warten auf den Wassertanker

Das Warten auf Niederschlag im Norden Kenias nimmt kein Ende. Eigentlich hätte die Regenzeit zwischen März und Mai Erleichterung bringen sollen. Doch wo Gräser wachsen sollten, bedecken Tierkadaver den Wüstenboden. Die extreme Dürre und ihre Auswirkungen haben Wasserquellen versiegen und die Tiere verenden lassen. Auch die Menschen schweben in Gefahr - denn das Vieh ist ihr ganzes Kapital.

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Ein großer Teil der Menschen im Norden Kenias leben traditionell als nomadische Viehhirten. So auch im Bezirk Marsabit: 14 Ethnien ernähren sich einerseits selbst von den Tieren, andererseits verkaufen sie das Vieh. Ohne Ziegen, Rinder, Schafe oder Kamele fehlt ihnen die Existenzgrundlage. Dabei zeigt der stolze Preis eines Kamels von rund 700 Euro, dass die Viehhaltung den Menschen eigentlich ein angemessenes Leben ermöglichen kann - solange das Klima mitspielt.

Kenia

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Aufgerissene Böden, Sand oder Steine: Derzeit wächst kaum Vegetation in Marsabit

Doch weil weder im vergangenen Jahr noch heuer genug Regen gefallen ist, sind in Marsabit mittlerweile 70 bis 80 Prozent der Tiere verendet. Das Massensterben bedeutet keine Milch, kein Fleisch und kein Geld, auch nicht für die Ausbildung ihrer Kinder. Gleichzeitig hat die Dürre die restliche Landwirtschaft einbrechen lassen. Die Lebensmittelpreise sind explodiert, der Preis für Tiere gefallen - bei Schafen etwa um 90 Prozent.

Ohne Nothilfe von Hilfsorganisationen können 2,6 Mio. Menschen in ganz Kenia nicht mehr überleben. „Die Uhr zeigt zwei Minuten vor zwölf. Die Situation ist dramatisch, ohne Hilfe droht eine Katastrophe“, sagt Caritas-Präsident Michael Landau bei einem Besuch in Marsabit.

Nothilfemodus aktiv

Ein Extremfall ist das Dorf Yaa Sharbana mitten in einer Steinwüste, Heimat für 900 Menschen und ein wichtiger Ort für Riten. Laut Elema Wario - er gibt sein Alter mit 93 Jahren an - hat es hier seit vier Jahren keinen regelmäßigen Regen gegeben. Würde nicht ein Wassertanker einmal in der Woche 10.000 Liter Wasser in das Dorf bringen, bliebe den Menschen dort keine Hoffnung mehr, denn die nächste Wasserstelle ist 30 Kilometer entfernt. Die Lage ist allerdings mittlerweile fast überall im Norden ähnlich fatal. „Wir sind zur Zeit im Nothilfemodus. Jetzt geht es einfach ums Überleben“, sagt Caritas-Entwicklungshelfer Raphael Thurn-Valsassina.

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Elema Wario erklärt die Riten seines Dorfes Yaa Sharbana. Traditionell leben die Dorfbewohner immer für 15 Jahre an einem Ort. In die Stadt zu ziehen ist ihnen nicht erlaubt.

Die von den NGOs ausgeteilten Güter gehen an Frauen wie Chiri Dido. Der 21-Jährigen, ihrem Mann und den vier Kindern sind nur noch sechs Kamele geblieben, ihre Ziegen sind alle tot. Nun besucht sie einmal in der Woche das von der Caritas Austria unterstützte Kinderernährungszentrum in North Horr, wo sie sich acht bis zehn Kilo Maismehl und Sondernahrung für ihr unterernährtes Baby holen kann. Dafür wartet sie teils drei bis vier Stunden in der prallen Sonne.

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Chiri Dido und Arbe Matura (r.) kommen einmal in der Woche zur Nahrungsausgabe in North Horr. Im Gegensatz zu ihr selbst gehen ihre Kinder in die Schule.

Das Center stellt auch medizinische Hilfe für Mütter und Kinder bereit. Eine der drei dort arbeitenden Krankenschwestern - sie behandeln dort täglich 50 Mütter - ist Stephania Boku. „Die Unterernährung ist hier sehr verbreitet, weil es kein Vieh mehr gibt. Die Mütter sind anämisch. Wenn sie schwanger sind, geben sie den Kindern zu wenig Nährstoffe, sie haben auch zu wenig Milch“, so die in der Hauptstadt Nairobi ausgebildete Krankenschwester.

Eine „sehr schwierige“ Zukunft

Laut Boku fehlt es an allen Ecken und Enden - an Ressourcen und Geld. Von der Regierung gebe es nur wenig Hilfe, lediglich Medikamente und die Gehälter für Mitarbeiter bekomme man zur Verfügung gestellt. Boku stammt selbst aus einer Nomadengemeinschaft. „Sehr schwierig“ werde die Zukunft für die Viehhirten, sagt die von der Frage nach ebenjener sichtlich berührte Krankenschwester.

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Unterernährte Babys bekommen von den Hilfsorganisationen Nahrungsergänzungsmittel. Sie enthalten Erdnüsse, Pflanzenöl, Milch und Zucker und haben 500 Kalorien pro Beutel.

Allein bei North Horr sind in den letzten Monaten vier Kinder an Unterernährung gestorben. Dass es nicht mehr sind, ist vor allem der Effizienz lokaler Hilfsorganisationen zuzurechnen. NGOs wie PACIDA, deren Mitglieder selbst aus nomadisch lebenden Volksgruppen stammen, stellen nicht nur Nahrung und Wasser zur Verfügung. Sie wollen die Viehhüter auch widerstandsfähiger gegenüber Krisen machen und die Bildung fördern.

Arbeiten kann die NGO nur durch Spenden und Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen. Mit der Caritas Austria besteht seit 2011 eine Zusammenarbeit. Seit Februar hat sie zwei Nothilfeprojekte in Kenia zur Hungerbekämpfung mit 300.000 Euro finanziert und Projekte für Wasserversorgung, Hygiene und Bildung unterstützt. Nach der Katastrophe sollen Saatgut und Nutztiere den Menschen wieder auf die Beine helfen.

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Eine flächendeckende Bewässerungsinfrastruktur aus Menschenhand kann man sich in Marsabit nicht erwarten: Die Dimension des Landes ist enorm, es handelt sich um die größte Wüste Kenias.

Die Regierung, die sich bereits im Wahlkampfmodus für den Urnengang am 8. August befindet, hat zwar im Februar den Dürrenotstand für 23 von 47 Bezirke ausgerufen. Trotzdem wird ihr immer wieder geringe Präsenz vorgeworfen. Vielerorts hört man die Worte „Man hat uns vergessen.“ Einer der Gründe dafür ist mitunter wohl, dass es im kargen und schlecht erschlossenen Marsabit wenig zu holen gibt - darunter auch Wählerstimmen.

Angst vor „cows and guns“

Während sich Dido und Dutzende weitere Frauen in die Schlangen vor dem Ernährungszentrum reihen, kümmern sich die Männer um das letzte verbliebene Vieh. Dafür müssen sie nicht nur weite Wege zurücklegen und Frauen, Kinder und Alte zurücklassen, teils dringen sie dabei auch in Regionen ein, die von anderen Gruppen beherrscht werden. Zwar hält sich die Gewalt in Marsabit noch in Grenzen, doch ethnische Konflikte und Kämpfe um die letzten Ressourcen sind damit programmiert.

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Große Viehherden sieht man in der Region nur noch selten. Diese hat sich an einer Wasserstelle bei einem der wenigen Bohrlöcher nahe der Stadt Turbi versammelt.

Nairobi als andere Welt

Für viele Menschen ist die Lage derzeit aussichtslos. Einer anderen Arbeit als der Viehzucht können nur die wenigsten nachgehen. Marsabit ist ein wenig kleiner als Österreich, besitzt aber nur eine einzige asphaltierte Straße. Jobs werden hier nicht gerade mit dem Füllhorn ausgeschüttet. Zudem hat Bildung innerhalb der Communitys nicht immer den höchsten Stellenwert. Viele Viehhirten können nicht lesen und sprechen die Landessprachen Englisch und Kisuaheli nicht. Für die meisten Nomaden ist die rund zehn Autostunden entfernte Hauptstadt Nairobi eine andere Welt.

Hinweis

Die Reise wurde zum Teil von Sponsoren der Caritas finanziert.

Die Hirten leiden immens unter dem Mangel an Regen. Teile des Problems sind allerdings auch hausgemacht. Zum einen sind die Familien sehr kinderreich, und die Bevölkerungsexplosion und Verjüngung der Gesellschaft stellt den ganzen kenianischen Staat vor immense Herausforderungen. Zum anderen konnten die Communitys in vergangenen guten Jahren sehr große Herden aufbauen. Doch die Ressourcen sind knapp, und je mehr Tiere grasen, desto weniger Futter und Wasser gibt es.

Schulden statt Schule

Langfristig notwendig wäre laut Entwicklungshelfer Thurn-Valsassina ein besseres Ressourcenmanagement für die ganze Region und eine Beschränkung der Anzahl an Tieren, die in weiterer Konsequenz auch besser genährt wären. Dazu brauchte es allerdings auch einen Plan mit allen Akteuren und den Staat als übergeordnete Instanz, die die Verhandlungen in die Hand nimmt. Zudem gelte es, 14 Ethnien an einen Tisch zu bringen - kein leichtes Unterfangen.

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Frauen in Turbi stehen für Wasser vor einem Wasserkiosk an. Das von der Caritas finanzierte System ist ausgefeilt - der Kiosk ist direkt mit einem Brunnen verbunden.

Derzeit sind die Herden aber ohnehin so dezimiert, dass das Überleben der Viehhirten ein tagtäglicher Kampf ist. Sollte der Klimawandel sie weiter in Bedrängnis bringen, können nur neue Einkommensmöglichkeiten das Überleben sicherstellen. Dafür braucht es aber Bildung. Immer wieder hört man, dass sich Eltern für ihre Kinder eine bessere Ausbildung und Zukunft wünschen. Doch die Ängste von Schülern, die aufgrund der Dürre ein abruptes Ende ihrer Bildungskarriere vermuten, ist berechtigt.

„Wenn es Vieh gibt, kann ich die Schule für die Kinder bezahlen. Wenn nicht, dann nicht“, fasst Chiri Dido das Problem zusammen. Arbe Matula, eine 28-jährige Mutter von zwei Kindern, hat bei der Schule ihres älteren Kindes bereits Schulden. Andere Kinder bekommen in der Schule kein Essen mehr und scheiden deswegen aus. Für die Zukunft bleiben diese Kinder damit auf jene Zeiten unvorbereitet, in denen die Viehzucht nicht mehr reicht. Damit stellt die Dürre die Menschen vor ein fatales Dilemma.

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