„Wahrheitsserum“ für das Popcornkino
Gleich mehrere Blockbuster haben in diesem Sommer einen Bauchfleck an den Kinokassen hingelegt. Vor allem in Nordamerika hielt sich das Interesse des Publikums an vielen Großproduktionen in Grenzen. Warum das so ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Die Studios sehen die Schuld jedenfalls bei einem Onlineportal.
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„Transformers: The Last King“, der fünfte Teil von Michael Bays Robotersaga, spielte in Nordamerika in seinen ersten fünf Tagen enttäuschende 69 Mio. US-Dollar (ca. 61 Mio. Euro) ein. „Die Mumie“, die den Einstieg in Universals Monsterfranchise Dark Universe bildet, könnte dem Hollywood-Studio laut dem Onlineportal Deadline insgesamt einen Verlust von 95 Mio. Dollar (84 Mio. Euro) bescheren.
Der fünfte Teil der „Pirates of the Caribbean“-Saga startete in den USA und Kanada so schlecht wie kein anderer Teil des Freibeuter-Franchises. Und auch die mit seichtem Schmäh gespickte Neuverfilmung von „Baywatch“ blieb an den Kinokassen weit hinter den Erwartungen zurück. Insgesamt scheinen viele von Hollywoods Großproduktionen im Kinosommer 2017 beim Publikum in den Vereinigten Staaten und seinem nördlichen Nachbarn auf wenig Resonanz zu stoßen.
Ausnahme „Wonder Woman“
Eine der großen Ausnahmen ist „Wonder Woman“. Der Superheldinnenfilm von Patty Jenkins spielte in Nordamerika in einem Monat 325 Mio. Dollar ein - so viel wie noch kein anderer Film aus dem DC-Comics-Universum. „Wonder Woman“ ist ein packender Actionfilm, doch es sind weniger die Kampfsequenzen, die ihn besonders machen: Neben den überzeugenden Darstellerinnen und Darstellern, allen voran die israelische Schauspielerin Gal Gadot als Wonder Woman, hat Jenkins einen feministischen Gegenentwurf des gängigen Superheldentypus geschaffen.

Courtesy of Warner Bros. Pictures/TM & DC Comics
„Wonder Woman“ räumte an den Kinokassen ab
Hinzu kommt laut dem Magazin „Forbes“ ein weiterer Erfolgsfaktor: „Wonder Woman“ sei in dieser Form noch nie auf der Leinwand erzählt worden. Eine Besonderheit in Zeiten, in denen Hollywood besessen von Prequels, Sequels und Neuverfilmungen scheint. Selbst wenn der Amazonenfilm schlechte Reviews erhalten hätte, wäre er exklusiv genug, um Interessierte in die Kinos zu locken, so „Forbes“. Umgekehrt gebe es jeweils vier „Pirates of the Caribbean“- und „Transformer“- sowie insgesamt neun Filme mit der „Mumie“, die sich Fans gemütlich zu Hause auf der Couch streamen könnten.
Folgt man dieser Theorie, dann tanzt ein Film in diesem Sommer aus der Reihe: „Spider-Man: Homecoming“ wurde nicht nur von Kritikern gelobt, sondern reüssierte auch an den Kinokassen. Die Marvel-Produktion war der insgesamte siebente Leinwandauftritt des Superhelden seit dem Jahr 2002.
Die Gunst des „Tomatometers“
Ungeachtet des Ausreißers müssen die Anreize für Filmfreunde, die eigenen vier Wänden zu verlassen, um sich Superhelden und Piratenkapitäne nicht auf dem Flachbildschirm, sondern auf der Kinoleinwand anzusehen, besonders hoch sein. Für die Bewerbungen von Filmen werden mittlerweile Millionen ausgegeben. Die Ensemblemitglieder gehen auf Tour rund um den Globus, verschiedene Trailer sollen die Vorfreude der Fans steigern.
An dieser Stelle kommt die Website Rotten Tomatoes ins Spiel. Das 1998 ins Leben gerufene Portal sammelt die Filmreviews anerkannter Kritikerinnen und Kritiker. Positive Besprechungen bekommen eine rote Tomate („fresh“), negative eine faulige zermanschte grüne („rotten“). Die Gesamtwerte bilden sich im „Tomatometer“ ab. Für Fans sei Rotten Tomatoes so etwas wie ein „Wahrheitsserum“, sagte Jon Penn von der auf die Filmindustrie spezialisierten Marktforschungsfirma National Research Group (NRG) der „Vanity Fair“. Die Ratings auf der Website bezeichnete er als „Schmiermittel“ in beide Richtungen: Gute Werte nutzten mehr als in der Vergangenheit, schlechte können den Studios umso mehr wehtun, so Penn.

Paramount Pictures
Dwayne „The Rock“ Johnson und Zac Efron in „Baywatch“
„Wonder Woman“ erreichte auf Rotten Tomatoes eine Zustimmungsrate von 92 Prozent, wurde als „garantiert frisch“ bewertet, wäre aber womöglich auch ohne dieses Rating zum Kassenschlager geworden. Auch der neue „Spider-Man“-Reboot schwang sich zu 92 Prozent auf. Umgekehrt würden Hollywood-Insider die schlechten Rotten-Tomatoe-Bewertungen von „Pirates of the Caribbean“ und „Baywatch“ für den mangelnden Erfolg der beiden Filme verantwortlich machen, schrieb das Onlineportal Deadline. In der Industrie werde zudem hinterfragt, auf welche Art und Weise die Website ihre Ratings erstelle.
Über 40-Jährige entscheiden für 17-Jährige
Die Nutzung von Rotten Tomatoes nimmt laut NRG stark zu: Bei einer Befragung im Jahr 2014 hätten 28 Prozent aller Teilnehmer angeben, vor der Auswahl eines Films dessen Rating zu überprüfen, 2016 seien es schon 36 Prozent gewesen, so Penn. Bei Teenagern sei der Wert im gleichen Zeitraum von 23 auf 34 Prozent geschnellt. Wie valide die Zahlen sind, kann nicht überprüft werden.
In Hollywood scheint man dennoch alarmiert - nicht zuletzt aufgrund eigener Untersuchungen: Vor zwei Jahren ließ das Filmstudio 20th Century Fox laut „Vanity Fair“ selbst eine unabhängige Studie zum Thema durchführen. „Die Kraft von Rotten Tomatoes und Mundpropaganda werden zunehmen“, heißt es darin. Viele Millenials und sogar Mitglieder der Generation X (die zwischen den 60er und 80er Jahren Geborenen, Anm.) informierten sich vor dem Kauf von Waren und Dienstleistungen vorab im Internet. Je älter diese Gruppe von Kinogängern werde, desto unwahrscheinlicher sei es, dass sie dieses Verhalten wieder ablegten.
Den Studios stößt zudem sauer auf, auf welcher Basis die Website über Erfolg und Misserfolg entscheidet. „Wenn man die 140-Rotten-Tomatoe-Kritiker hernimmt, sind darunter eine Menge Männer, eine Menge weißer Männer über 40“, beklagte ein Studioinsider gegenüber „Vanity Fair“. Deren Urteil bildete die Grundlage, auf der sich ein 17-jähriges Mädchen informiert. Er glaube nicht, dass die Kritikermeinung den Geschmack des Mädchens wirklich widerspiegle.
Hollywood blickt nach China
Dass die Misserfolge an den Kinokassen die Zahl der Blockbuster-Produktionen und Franchises drosseln könnten, ist in absehbarer Zeit aber nicht zu erwarten. Während der nordamerikanische Markt schwächelt, steigt die internationale Nachfrage. Das Zugpferd ist China: Während „Transformers: The Last King“ in den USA floppte, zog das Actionmärchen in China die Massen in seinen Bann: Mit Einnahmen von umgerechnet 109 Mio. Euro startete der Film so stark wie noch kein anderer „Transformers“-Teil davor.

2017 Sony Pictures Releasing GmbH
„Spider-Man“ wusste Kritiker und Fans gleichermaßen zu überzeugen
Auch „Fast & Furious 8“, „Pirates of the Caribbean: Salazars Rache“ und „Die Mumie“ profitierten stark vom Interesse des chinesischen Publikums. In Nordamerika hätten die Ticketverkäufe für alle drei Filme insgesamt 454 Mio. Dollar (402 Mio. Euro, Stand 25. Juni) in die Kassen gespült, berichtete das „Wall Street Journal“ („WSJ“), in China seien es bisher 580 Mio. gewesen.
Trügerische Hoffnung
China gilt als einer der Hoffnungsmärkte der Filmindustrie. Der Mittelstand wächst und mit ihm die Nachfrage nach „westlicher“ Unterhaltungskultur. Im Vorjahr wurden bereits 17 Prozent der weltweiten Einspielergebnisse auf dem chinesischen Markt erwirtschaftet, berichtete das Onlinemagazin Quartz. Wie wichtig der Riesenstaat speziell für Hollywood geworden ist, ließ sich schon 2016 am Beispiel „Warcraft“ ablesen: In den USA ein Flop, brachte die filmische Materialschlacht zwischen Menschen und Orcs in China umgerechnet fast 190 Mio. Euro ein und wurde so zu einem der einnahmenstärksten Filme des Vorjahres.
Die ungebrochene Nachfrage hat noch einen weiteren Grund: Die Führung in Peking hat die Anzahl der ausländischen Filme, die in chinesischen Kinos gezeigt werden dürfen, auf 34 limitiert. So kommt es, dass in China erst drei Teile der „Fast & Furios“-Serie liefen und nicht acht.
Um einen der 34 Plätze zu erlangen, arbeite Hollywood mit einigen Kniffen, berichtete Quartz. Das beginnt beim Einsatz chinesischer Schauspielerinnen und Schauspieler, Schauplätzen in China und geht bis hin zum Einsatz chinesischer Produkte. Dem nicht genug sei einem der „Iron Man“-Filme in der chinesischen Version sogar eine eigene Szene hinzugefügt worden, die das Publikum in den USA und Europa nie zu Gesicht bekommen hat.
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