Themenüberblick

Kunst in der Schnapsfabrik

Miuccia Prada und ihr Mann Patrizio Bertelli betreiben in Mailand eine exklusive Kunststiftung. Die Fondazione Prada ist eine Kulturorganisation, die sich vor allem der Kunst, dem Kino und der Philosophie widmet. Ihr Sitz in Mailand ist Ort des Experiments und der Forschung, ein Raum für Zweifel und Konflikte. Eine neue Ausstellung blickt auf die Welt durch die Augen des Fernsehens.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Pradas kulturelle Sozialisierung begann mit Kino und Literatur. Chefin Miuccia selbst liebt vor allem das Kino von Rainer Werner Fassbinder, Jean-Luc Godard und Francois Truffaut, welches sie auch als Inspiration für ihre Kollektionen nutzt. 2004 brachte Prada zum ersten Mal das Tribeca Film Festival aus New York nach Mailand. Mit der Biennale di Venezia kooperierte sie in Projekten zur Restaurierung und Projektion von vergessenen italienischen, russischen und orientalischen Filmen.

Das Publikum der Fondazione Prada wird angezogen von der Faszination der Weltmarke, die in 70 Ländern und mit 12.000 Angestellten eine intellektuelle, kunstnahe und konzeptionelle Herangehensweise an das Thema Kleidung pflegt und so ein vieldeutiges Frauenbild formt.

Die Welt der „Post-Viscontianer“

Für den Sommer hat die Unternehmerin einen Freund eingeladen, eine Ausstellung zu gestalten. Der Künstler Francesco Vezzoli hat sich das staatliche italienische Fernsehen der 70er Jahre vorgenommen. Vezzoli stammt aus Brescia und hat unter anderem auch schon ein Musical mit Lady Gaga und dem Bolschoi-Ballett auf die Bühne gebracht. Vezzoli gilt als „Post-Viscontianer“. Seit den 90er Jahren betrachtet er die Medien als den besten Aussichtspunkt auf die zeitgenössische Gesellschaft. Macht, Ruhm, Religion, Sex und Politik sind seine Themen.

Ausstellungsansicht

Fondazione Prada/Delfino Sisto Legnani and Marco Cappelletti

Vezzoli unternimmt eine Reise in die kollektiven Erinnerungen Italiens

Vezzoli hat das Archiv der RAI durchforstet. Seine Ausstellung ist eine Kooperation mit dem öffentlich-rechtlichen Sender, aus dessen Regalen er Bilder hervorholt, die auch am Anfang seiner eigenen Biografie stehen. Vezzoli beginnt 1971, in seinem Geburtsjahr, und unternimmt bis 1981 eine Reise in die kollektive Erinnerung einer Generation, deren Sensibilität vor dem Fernseher geformt wurde.

Fernsehmatriarchat

Lautstark singend präsentiert sich das Fernsehmatriarchat der 70er, von Cicciolina bis zu Patty Pravo und den Kessler-Zwillingen. In den 70er Jahren funktionierte das Fernsehen wie eine Messe, ein Ereignis, bei dem man entweder anwesend war oder das man versäumte. Dicht, unterhaltsam, surreal, bedrückend und auch erschreckend flimmern die Vintage-Fernsehbilder über unzählige Schirme. Das italienische Fernsehen der 70er Jahre produzierte langlebige Mythen, lohnenswerte Themen für eine kreative Erforschung durch den Künstler.

Ausstellungsansicht

Fondazione Prada/Delfino Sisto Legnani and Marco Cappelletti

Die Ausstellung kann als „Gesamtkunstwerk“ gesehen werden

Der intuitive Zugang des Künstlers macht die tiefgreifenden Umbrüche der italienischen Gesellschaft in den 70er Jahren sichtbar. Feminismus, Transvestiten, Terrorismus und staatliche Kontrolle sind die Themen. Im umfangreichen Ausstellungskatalog ist die Rede von der Ausstellung als „Gesamtkunstwerk“. Sie zeigt ein Land am Übergang vom politischen Radikalismus des Jahres 1968 zum Hedonismus der 80er Jahre.

Unternehmen als Museumsmacher

Die Stadt Mailand investiert nicht selbst in zeitgenössische Kunst, sie lässt vielmehr investieren. So wie schon die Familien Trussardi und Pirelli sorgen auch Prada und Bertelli für die Verbreitung zeitgenössischer Kunst in der lombardischen Metropole. Im Süden der Stadt beherbergt ein weißer neunstöckiger Turm die Prada-Kunstsammlung. Um die in Zukunft weithin sichtbare Landmark erstreckt sich ein herrschaftlicher Campus. Insgesamt widmet Prada der Kultur 28.340 Quadratmeter.

Vergoldete Dachrinnen

Die Architektur der Fondazione Prada stammt aus dem Rotterdamer Büro von Pritzker-Preisträger Rem Koolhaas. Koolhaas und Prada sind Freunde, sie schätzen einander und haben beim Design von Shops schon ihre Zusammenarbeit erprobt. Die Fondazione Prada zog vor zwei Jahren in die ehemalige Schnapsfabrik ein, Baujahr 1910. Sieben Gebäude fand Koolhaas auf dem Gelände vor, drei neue ließ er hochziehen: einen weitläufigen Raum für Wechselausstellungen, ein multimediales Auditorium und den weißen Turm.

Fondazione Prada

Fondazione Prada/Bas Princen

Das mit Gold überzogene „Geisterhaus“

Das erstaunlichste Bauwerk am Prada-Campus ist jedoch die ehemalige zentrale Destillerie, „Geisterhaus“ genannt. Das vierstöckige Ausstellungsgebäude ist mit 24-Karat-Blattgold überzogen. Insgesamt drei Kilo Gold ließ Koolhaas auftragen, auch auf die Dachrinnen. Der Goldschimmer verwandelt das strenge Industrieareal in ein effektvolles Kunstwunderland mit Anklängen an Kasernen und Klöster. Die Fondazione Prada ist ein privates Projekt, das zur Touristenattraktion geworden ist.

Das umliegende ehemalige Industrieviertel mit seinen Chinarestaurants und Call-Shops in stillgelegten Fabriken und schäbigen Zweckbauten nimmt bereits Aufschwung. Profit steht für Prada dabei nach eigenen Angaben nicht im Vordergrund; als Motivation der Stiftung wird vielmehr Sinnfindung mittels Kunst angegeben.

Ausstellungshinweis

„TV 70: Francesco Vezzoli guarda la RAI“, Fondazione Prada, bis 24. September. Öffnungszeiten: montags, mittwochs, donnerstags 10.00 bis 20.00 Uhr, freitags, samstags und sonntags bis 21.00 Uhr.

Wes Anderson hat die Bar eingerichtet

Die Bar Luce in der Fondazione Prada spielt mit dem Klischee einer typischen Mailänder Bar, eingerichtet hat sie der Hollywood-Regisseur Wes Anderson. An der Decke Tapeten als Hommage an die Galleria Vittorio Emanuele, wo alles seinen Anfang nahm. In der Galleria beim Dom eröffnete der Großvater von Prada das erste Prada-Geschäft. Aus der Jukebox der Bar Luce tönen Evergreens von Mina und Rita Pavone.

Link: