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„Es wird keinen Gratiskonkurs geben“

So groß waren die Bedenken von Gläubigerschützern, Wirtschaftskammer und Industrie, dass der ursprünglich zwischen SPÖ und ÖVP ausverhandelte Beschluss zur Reform des Privatkonkursverfahrens im letzten Moment noch abgeändert worden ist. Heraus kam ein abgeschwächter Kompromiss, der für Privatschuldner aber immer noch merkliche Erleichterungen bringt.

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Die Entschuldungsdauer wird auf fünf Jahre verkürzt, nicht auf drei, wie von der SPÖ ursprünglich gefordert. Derzeit zieht sich diese Abschöpfung über sieben Jahre. Die Mindestquote von bisher zehn Prozent fällt, trotz Bedenken der ÖVP, zur Gänze weg. Schuldner entledigen sich ihrer Verbindlichkeiten künftig also auch dann, wenn sie gar nichts zurückzahlen. Die Neuerungen sollen nächste Woche im Nationalrat beschlossen werden und mit 1. November in Kraft treten.

Zahlungsplan nicht mehr für alle zwingend

Bisher kamen Schuldner ausschließlich erst ins Abschöpfungsverfahren, wenn ihr Zahlungsplan von den Gläubigern abgelehnt wurde. Künftig müssen Schuldner, deren Einkommen unter oder nur geringfügig über dem Existenzminimum liegt, diesen nicht mehr zwingend vorlegen - sie gelangen direkt in das Verfahren.

Kommt es zum Abschöpfungsverfahren, muss der Schuldner zwar weiterhin am Existenzminimum leben, allerdings entfällt die Pflicht, zehn Prozent der Schulden abzubezahlen. So sollen mehr Menschen als bisher von der Restschuldbefreiung profitieren und ein Scheitern der Abschöpfung nicht mehr möglich sein - bisher lebten in diesem Fall alle Schulden und Zinsen wieder auf.

Kontrolle gegen Missbrauch

Die Insolvenzeröffnung erfolgt künftig sofort, nicht erst nach Scheitern eines außergerichtlichen Ausgleichs. Wie bisher wird dabei ein sofortiger Exekutions- und Zinsenstopp verhängt, und die Vermögensverwertung beginnt. Eine weitere Änderung betrifft die Missbrauchskontrolle: Schuldner ohne pfändbares Einkommen müssen einmal pro Jahr bei Gericht versichern, dass sie sich um eine angemessene Arbeit bemühen.

Die Reform machte sich schon im Vorfeld bemerkbar: Anfang Mai präsentierte der Gläubigerschutzverband KSV 1870 Zahlen, denen zufolge die Privatkonkurse im ersten Halbjahr 2017 im Jahresvergleich um 31 Prozent zurückgegangen sind - nur 2.935 Verfahren wurden in dieser Zeit eröffnet, die Verbindlichkeiten sanken um rund 41 Prozent.

„Tsunami“ im Anrollen

Diese auf den ersten Blick erfreuliche Bilanz sei trügerisch, warnte KSV-Experte Hans-Georg Kantner: Die Schuldner hielten ihre Anträge derzeit nur zurück, weil die Novelle Erleichterungen für sie bringe. Kantner sprach wörtlich von einem zu erwartenden „Tsunami“: Zuerst würden die Zahl an Pleiten zurückgehen, ähnlich wie bei einem Tsunami das Meer zuerst zurückweiche. Im zweiten Halbjahr werde es aber zu einem „Backlash“ kommen.

Auch auf anderen Fronten warnte der Insolvenzexperte, ebenso wie etwa die Wirtschaftskammer, vor unerfreulichen Folgen: Gläubiger müssten auf einen noch größeren Teil ihrer Forderungen verzichten als bisher, der Judikative würde Mehrarbeit beschert, was eine Erhöhung der Gerichtskosten zur Folge haben werde, Banken wiederum dürften wegen des erhöhten Ausfallsrisikos die Kreditkosten erhöhen. „Dazu kommt ein unschönes Signal an all jene Schuldner, die sich bisher bemüht haben, ihre Schulden abzuzahlen“, sagte Kantner.

„An der Mindestquote scheitern Zehntausende“

Diametral ist die Ansicht der ASB Schuldnerberatungen GmbH, die Dachorganisation der staatlich anerkannten Schuldnerberatungen: Die derzeit noch gültigen Regeln verhinderten eine höhere Zahl von Entschuldungen. Sowohl die gescheiterten Unternehmer als auch die Privatschuldner, zu 40 Prozent Arbeitslose, hätten es derzeit allzu schwierig, die erforderliche Mindestquote von zehn Prozent zu erreichen.

„Ist das Einkommen sehr niedrig oder sind die Schulden sehr hoch, bleibt der Neustart oft verwehrt“, sagt Geschäftsführer Clemens Mitterlehner. „An der Mindestquote scheitern derzeit Zehntausende.“ Das Argument, dass Konsumschuldner durch die Reform allzu leicht entschuldet werden könnten, stellt Mitterlehner in Abrede. „Es wird keinen Gratiskonkurs geben. Es werden auch die Banken nicht arm werden durch die neuen Regeln.“

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