Aufbäumen gegen völlige Wahlschlappe
Wenn am nächsten Sonntag der zweite Durchgang der französischen Parlamentswahl geschlagen ist, wird die Parteienlandschaft wohl nicht wiederzuerkennen sein: La Republique en Marche, die Partei von Präsident Emmanuel Macron, legte am Sonntag gemeinsam mit ihren Verbündeten den Grundstein für einen Erdrutschsieg. Die traditionellen Parteien versuchen nun verzweifelt, Schadensminimierung zu betreiben - und warnen vor der Machtfülle Macrons.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Nach Angaben des Innenministeriums kamen La Republique en Marche und die verbündete MoDem-Partei auf 32,3 Prozent der Stimmen. Das Institut Ipsos/Sopra Steri rechnete am späten Sonntagabend für das Macron-Lager nach dem zweiten Wahlgang nächsten Sonntag bereits mit 415 bis 455 Sitzen von insgesamt 577. Die absolute Mehrheit würde noch gewaltiger ausfallen als zuvor gedacht.
Warum Runde zwei?
In Frankreich wird nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt. Da ein Kandidat im Wahlkreis in Runde eins fast nie die absolute Mehrheit holt, treten die zwei Kandidaten mit den meisten Stimmen bei der Stichwahl an. Nach Runde eins gibt es demgemäß nur Prognosen über den endgültigen Ausgang der Wahl.
Republikaner hoffen auf zweiten Wahlgang
Die konservativen Republikaner kamen mit 21,6 Prozent auf Platz zwei. Zwischen 70 und 110 Sitze könnten sie den Prognosen zufolge erobern. Parteichef Francois Baroin verlangte einen „Neustart“ für den zweiten Wahlgang und rief explizit Nichtwähler und die extreme Rechte auf, konservativ zu stimmen. Das Land brauche Ausgewogenheit und keine Machtkonzentration.
„Beispiellose Verluste“ der Sozialisten
Der Chef der Sozialistischen Partei (PS), Jean-Christophe Cambadelis, warnte vor einem Parlament ohne echte Opposition. Falls diese Mehrheit im zweiten Wahlgang am kommenden Sonntag noch gestärkt werde, „werden wir eine Nationalversammlung ohne echte Kontrollmacht und ohne demokratische Debatte haben, die dieses Namens würdig ist“. Cambadelis selbst fiel bereits in seinem Wahlkreis durch. Er sprach von „beispiellosen Verlusten der gesamten Linken und insbesondere der Sozialistischen Partei“.

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA
Die Partei von Macrons Amtsvorgänger Francois Hollande erlebte einen beispiellosen Absturz. Als bisher stärkste Fraktion kam sie nun auf nur 9,5 Prozent und könnte mit gerade einmal 20 bis 30 Sitzen rechnen.
Mit Opposition „respektvoll“ umgehen
Macrons Partei reagierte auf die Bedenken zu ihrer großen Mehrheit. „Wir müssen sehr respektvoll mit der Opposition umgehen“, sagte Jean-Paul Delevoye, der für die Auswahl der Kandidaten zuständig war. „Das wird keine dominierende Mehrheit sein, sondern eine verantwortungsvolle Mehrheit.“ Weniger zurückhaltend äußerte sich Ministerpräsident Edouard Philippe, eigentlich ein Konservativer, den Macron ins Boot geholte hatte: „Frankreich ist zurück“, sagte er im französischen Fernsehen. „Nächsten Sonntag wird das Parlament das neue Gesicht unserer Republik sein.“

APA/AP/Thibault Camus
Jubel bei Macrons Unterstützern
Linke und Rechte unter Erwartungen
In den meisten der 577 Wahlkreise wird die Entscheidung erst in Stichwahlen am kommenden Sonntag fallen. Das Mehrheitswahlsystem bereitet vor allem der extremen Linken und Rechten Sorgen. Das Bündnis La France insoumise (Das unbeugsame Frankreich ) des Linkspolitikers Jean-Luc Melenchon kam auf elf Prozent.
Obwohl es damit vor den Sozialisten liegt, dürften nach der Stichwahl nur acht bis 18 Sitze herausspringen. Melenchon war mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Anspielend auf die von Macron geplante Lockerung des Arbeitsrechts sagte er: „Die Stimmenthaltung zeigt, dass es in diesem Land keine Mehrheit gibt, um das Programm der Zerstörung des Arbeitsrechts anzuwenden.“
Der rechtsextreme Front National (FN) von Parteichefin Marine Le Pen dürfte trotz eines Ergebnisses von 13,2 Prozent nur eines bis fünf Mandate bekommen. Damit wäre dem FN auch die Bildung einer Fraktion verwehrt, dafür braucht es 15 Abgeordnete. In ersten Hochrechnungen war wenigstens von zehn Mandaten die Rede. Der FN äußerte sich „enttäuscht“.
Historisch niedrige Wahlbeteiligung
Ernüchternd ist die historisch schwache Wahlbeteiligung: Sie lag bei 48,7 Prozent. Das ist der niedrigste Wert für eine erste Runde der Parlamentswahl in der Geschichte der 1958 gegründeten Fünften Republik. Die Wahlbeteiligung bei der Parlamentswahl ist in Frankreich traditionell deutlich niedriger als bei der Wahl des mächtigen Staatschefs. Die Menschen seien nach einem monatelangen Marathon mit Vorwahlen und Präsidentenkür ermüdet, meinten Beobachter. Viele hätten im Mai Macron gewählt, um Le Pen zu verhindern. Nun sei der Schwung heraußen.
Zweite Runde nächsten Sonntag
Insgesamt traten in den 577 Wahlkreisen 7.882 Kandidatinnen und Kandidaten an - damit pro Wahlkreis durchschnittlich knapp 14. Um im ersten Durchgang gewählt zu werden, ist die absolute Mehrheit nötig. Gelingt das niemandem, nehmen alle Kandidaten, die mindestens 12,5 Prozent der Stimmen auf sich vereint haben, an der Stichwahl teil.
In Frankreich herrscht wegen der hohen Anschlagsgefahr der Ausnahmezustand, der eigens für die Wahlen verlängert wurde. Wie auch bei der Präsidentschaftswahl gelten bei der Parlamentswahl enorme Sicherheitsvorkehrungen: 50.000 Polizisten und Tausende Soldaten waren am Wahlsonntag im Einsatz. Bei den rund 67.000 Wahllokalen gab es unter anderem Taschenkontrollen.
Links: