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Viel Geld und viele Interessen im Land

Acht Jahre nach der letzten Erweiterungsrunde hat die NATO Anfang Juni ein neues, das 29. Mitglied, bekommen: Montenegro. Das westliche Militärbündnis besetzt damit eine weitere strategische Position in Südosteuropa - sehr zum Missfallen Russlands. Aber auch innenpolitisch ist der NATO-Beitritt keineswegs unumstritten.

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Das Parlament in Podgorica hatte den Schritt Ende April einstimmig beschlossen, allerdings blieb damals die prorussische Opposition der Abstimmung fern. Eine Volksabstimmung über das Thema habe die Regierung nicht riskieren wollen, hieß es mehrfach.

„NATO hat Jugoslawien überfallen“

Ein Grund dafür dürfte sein, dass die Erinnerung an die Luftangriffe der NATO auf die damalige Bundesrepublik Jugoslawien während des Kosovokriegs 1999 noch recht lebendig sind. „Die NATO hat 1999 Jugoslawien überfallen. Bomben fielen auch auf Montenegro“, sagte Momir Bulatovic, von 1998 bis 2000 Ministerpräsident, im Jahr 2015. Er mutmaßte auch, dass sich die Einladung der NATO von Anfang Dezember 2015 gegen Russland richtete.

Moskau fürchtet um seine Einflusssphäre auf dem Balkan bzw. ein weiteres Näherrücken des westlichen Militärbündnisses und hatte lange versucht, den Beitritt Montenegros zu verhindern. Militärisch ist das Land, nicht viel größer als Tirol, eine vernachlässigbare Größe. „Das militärische Potenzial Podgoricas ist gleich null“, sagte im April der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu.

NATO breitet sich auf Balkan aus

Allerdings liegt das Land strategisch günstig an der Adria. In Südosteuropa gehören mittlerweile mehrere Länder, darunter etwa Slowenien, Kroatien, Albanien und Bulgarien der NATO an, Bosnien und Herzegowina sowie Mazedonien sind Beitrittskandidaten, das Kosovo will beitreten.

Schließlich folgerte auch Schoigu: Das westliche Militärbündnis nehme Montenegro nur auf, um seinen Einfluss auf dem Balkan zu stärken. Das Versprechen von Regierungschef Milo Dukanovic gegenüber der NATO („Ihr könnt immer auf uns zählen“) dürfte dagegen in Moskau eher für Schmunzeln gesorgt haben. Montenegro verfügt nur über wenige tausend Soldaten und veraltete Waffen.

Russland warnt vor Spaltung Europas

Dennoch ist Russland verärgert. Als die USA im April grünes Licht für den Beitritt Montenegros zur NATO gaben, bezeichnete das Außenministerium in Moskau das als groben Fehler. Der Schritt werde zu einer weiteren Spaltung Europas führen. Er schade der Stabilität auf dem Balkan und in ganz Europa.

Montenegro wird nach Worten seines Außenministers Srdjan Darmanovic als NATO-Mitglied keine Probleme mit der Höhe seiner Verteidigungsausgaben haben. Schon jetzt würden dafür 1,66 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aufgebracht, wurde Darmanovic vom Internetportal Analitika kürzlich zitiert. Laut „Road Map“ wolle das Land seine Verteidigungsausgaben bis 2024 auf die in der NATO geforderten zwei Prozent des BIP anheben, wobei 20 Prozent davon in die Modernisierung der Ausrüstung gehen sollen, präzisierte der Minister.

Geplänkel zwischen Moskau und Podgorica

In den letzten Monaten hatten sich Russland und Montenegro einen Schlagabtausch via Medien und Diplomatie geliefert. Einmal wurde ein montenegrinischer Politiker in Russland zur unerwünschten Person erklärt, dann der Import von montenegrinischem Wein wegen angeblicher Pestizidrückstände untersagt. Das Außenministerium in Podgorica wies Vorwürfe Moskaus wegen „antirussischer Hysterie“ im Land zurück.

Es handle sich um einen „Medienkrieg“ mit dem Ziel, den NATO-Beitritt zu verhindern. Die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa war zuvor mit den Worten zitiert worden, in Montenegro gebe es eine „breite Ausweitung einer antirussischen Hysterie“ und eine „unangenehme Situation für Russen“. Es gebe keine feindliche Stimmung russischen Gästen gegenüber, betonte das Ministerium in Podgorica. Russland musste sich während der Wahl in Montenegro im letzten Oktober den Vorwurf gefallen lassen, einen versuchten Putschversuch unterstützt zu haben.

Viel russisches Geld im Land

Bis zu 30 Prozent der Touristinnen und Touristen in Montenegro kommen mittlerweile aus Russland, weit mehr als etwa aus dem Nachbarland Serbien. Russische Geschäftsleute und Oligarchen wie Oleg Deripaska haben sehr viel Geld in den kleinen Staat an der südöstlichen Adria gesteckt. Laut „Financial Times“ haben zumindest 80.000 Russen Besitz in Montenegro, bis zu 30.000 sollen nach Schätzungen dauerhaft dort leben.

Investoren kauften vor allem Grundstücke und Immobilien in den Strandregionen auf, aber auch große Industriebetriebe wie das Kombinat Aluminijuma Podgorica (KAP), ein Aluminiumwerk, und das Stahlwerk in der zweitgrößten Stadt des Landes, in Niksic. Einige russische Investoren, darunter auch Deripaska, liegen sich mit den Behörden in den Haaren und fordern sehr viel Geld wegen der Rückabwicklung von Privatisierungen zurück.

Große Versprechen, große Probleme

Regierungschef Markovic versprach den Montenegrinern neue Wirtschaftsimpulse durch den NATO-Beitritt, das Land ist außerdem Beitrittswerber der EU, allerdings längst noch nicht beitrittsreif. Korruption ist ein allgegenwärtiges Problem. Auch dem früheren Staats- und Regierungschef Milo Dukanovic und seiner Familie wird die Verwicklung in diverse Kriminal- und Korruptionsfälle, vom Zigarettenschmuggel bis zu undurchsichtigen Privatisierungen, vorgeworfen. Rechtssicherheit für Investoren ist ein Problem.

Viel Geld fließt in die rund 300 Kilometer lange Adriaküste. Montenegros Tourismus wirbt mit dem Slogan „Wild Beauty“ („Wilde Schönheit“), aber über weite Strecken hat ein rücksichtsloser Bauboom die Küste verschandelt. Laut einem Bericht des staatlichen TV wurden über 100.000 Gebäude ohne Baugenehmigung oder größer als erlaubt errichtet. Teils stehen Hotelneubauten als Ruinen da, bevor sie fertiggebaut wurden.

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