Der Meister zwischen Uhr und Bett
Das San Francisco Museum of Modern Art (SFMOMA) widmet dem norwegischen Maler Edvard Munch seit dem Wochenende eine große Werkschau. Im Fokus steht das Spätwerk des norwegischen Künstlers. Zu sehen sind unter anderem sieben Gemälde, die noch nie in den USA gezeigt wurden.
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Unter dem Titel „Edvard Munch: Between the Clock and the Bed“ zeigt das Museum in Kooperation mit dem Metropolitan Museum of Art in New York und dem Munch-Museum in Oslo rund 45 Gemälde aus der Schaffenszeit von 1880 bis in die 1940er Jahre. Der Fokus der Ausstellung liegt auf Munchs Spätwerken, Kernstück ist sein letztes großes Selbstporträt „Zwischen Uhr und Bett“, das der Künstler erst kurz vor seinem Tod fertigstellte.
Der Bruch mit dem Realismus
Im Zuge der groß aufbereiteten Werkschau sind sieben Werke aus dem Zeitraum zwischen 1891 und 1925 zum ersten Mal in den Vereinigten Staaten zu sehen, ebenso wie die bekannten Werke „Verzweiflung“ und die erste Darstellung von „Der Schrei“, die erst zum zweiten Mal außerhalb Europas zu sehen sein wird. Die 45 Werke rund um das der Ausstellung ihren Namen gebende Selbstporträt bieten einen neuen Blick auf Munch als revolutionären Künstler des 20. Jahrhunderts.

Edvard Munch, Munch Museum / Thielska Galerie
Das titelgebende Selbstporträt „Zwischen Uhr und Bett“ (l.) und Munchs bekanntes Werk „Verzweiflung“ sind im SFMOMA zu sehen
Neben Munchs letzten Jahren als Mittelpunkt der Werkschau werden auch seine überwiegenden Themen Krankheit, Tod und Trauer thematisiert. Bei Munch selbst wurde eine Borderline-Persönlichkeitsstörung mit einer manisch-depressiven Erkrankung vermutet (später auch Alkohol- und Nervenprobleme, die Munch zu einem achtmonatigen Aufenthalt in einer Kopenhagener Nervenklinik zwangen), die sich auch immer wieder in seiner Kunst erkennen lässt. Zum ersten Mal wurde das an seinem entscheidenden Werk „Das kranke Kind“(1885/86) deutlich sichtbar. Hier brach Munch radikal mit dem Realismus, um ein schmerzliches persönliches Erlebnis – den Tod seiner Schwester – zu verarbeiten.
Im Wandel der Zeit
Die gezeigten Bilder, hauptsächlich sehr persönliche Arbeiten aus Munchs eigener Sammlung, die heute im Besitz des Munch-Museums sind, demonstrieren den befreiten, selbstsicheren Stil und das technische Können, bravouröse Pinselführung, innovative Kompositionen und die Verwendung intensivster Farben. Die Ausstellung führt die Besucherinnen und Besucher zuerst in eine Galerie, die sich ganz mit Selbstporträts des Künstlers befasst und die Entwicklung Munchs vom unsicheren jungen Mann zum gereiften Künstler zeigt.

Edvard Munch, Nationales Museum für Kunst, Architektur und Design / Munch Museum
„Selbstporträt mit Zigarette“ (l.), „Auge in Auge“
Die Reihe von Selbstbildnissen ist aber nicht nur eine chronologische Dokumentation, Munch nutzte diese Kunstform auch gekonnt, um seine persönliche Geschichte zu fiktionalisieren, sich in Situationen und Lebensumständen darzustellen, die er so nie erlebt hatte. Auch auf den technischen Fortschritt im Laufe seiner Karriere wird näher eingegangen. Deutlich zu sehen ist dieser im Vergleich der Porträts aus unterschiedlichen Jahrzehnten, von dickem Impasto bis hin zu glänzenden Terpentin-Gemälden, die – untypisch für die 1890er – die Leinwandfarbe selbst als Element der Bildkomposition verwendeten. Die weiteren Räume widmen sich Themen wie innerer Unruhe, Eifersucht, Krankheit, Tod und Liebe und zeigen den Künstler selbst in seinem Studio.
Einfluss auf die amerikanische Kunst
„Wenn man berücksichtigt, dass Munch selbst das Gefühl hatte, erst in seinen 50ern sein künstlerisches Talent völlig entfaltet zu haben, bedarf vor allem der letzte Abschnitt seiner Karriere genauerer Betrachtung“, so Kurator Gary Garrels. „Munchs Einfluss lässt sich in den Werken vieler Künstler erkennen. Zu ihnen zählen Georg Baselitz, Marlene Dumas, Katharina Grosse, Asger Jorn, Bridget Riley und besonders Jasper Johns, der von der Kreuzschraffur in Munchs Selbstporträt ,Zwischen Uhr und Bett‘ fasziniert war.“

Edvard Munch, Kunst Museen Bergen
„Am Totenbett“, eine Leihgabe des Museums im norwegischen Bergen
Der 1930 geborene US-Künstler Johns erlebte seinen Durchbruch in der amerikanischen Kunstwelt mit Gemälden, die oft grafische Symbole wie die amerikanische Flagge, Zahlen und Buchstaben darstellen, ein klarer Gegenpol zum abstrakten Expressionismus, der in der amerikanischen Kunst der 40er und 50er Jahre vorherrschend war. Johns nahm damit eine Gegenposition zur expressionistischen Tradition ein, die von Munch mitbegründet worden war, bevor er einige Zeit später doch Interesse für die Werke des Norwegers entwickelte.

Edvard Munch, Munch Museum Oslo
Das 1895 entstandene Gemälde „Asche“
Die Ähnlichkeit von Johns’ Kreuzschraffuren mit dem Muster des Bettüberwurfs auf Munchs Selbstporträt „Zwischen Uhr und Bett“ war zunächst nicht beabsichtigt. In den frühen 1980ern jedoch machte sich Johns diese Ähnlichkeit zunutze und fertigte eine Serie von Bildern, die den gleichen Titel tragen wie Munchs Gemälde.
Umfangreicher Nachlass
Durch den Einfluss seiner Werke auf die Arbeit Johns’ ist Munch, der der breiten Masse in Amerika weitgehend unbekannt ist, der Kunstszene vielleicht etwas vertrauter geworden. In Europa hingegen stellte Munch bereits zu Lebzeiten auch außerhalb seiner Heimat aus und beeinflusste somit die Bewegung des Modernismus über Norwegen hinaus etwa in Frankreich und Deutschland maßgeblich, auch dank seines umfangreichen Nachlasses, bestehend aus geschätzt 1.750 Gemälden, 18.000 Drucken und 4.500 Aquarellen sowie Skulpturen, Grafiken, Designs und filmischen Arbeiten. Ab November 2017 wandert die Schau weiter nach New York, ab Mai 2018 kommt sie nach Europa, wo sie in Oslo zu sehen sein wird.
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Anna Hausmann, für ORF.at