Lauter Kaiser auf dem SUV-Thron
Die beiden Politikwissenschaftler Ulrich Brand und Markus Wissen, die in Wien bzw. Berlin forschen, haben mit dem Buch „Imperiale Lebensweise – zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus“ eine äußerst lesenswerte Analyse der aktuellen Umweltproblematik vorgelegt.
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Sie definieren darin den von ihnen geprägten, titelgebenden Begriff und kommen zu dem Schluss, dass es weder mit technologischen Neuerungen noch mit grünem Kapitalismus gelingen wird, die aktuellen Umweltprobleme zu lösen. Es ist nicht schwer, zahllose Beispiele aus der Alltagswelt zu finden, die den Begriff der imperialen Lebensweise illustrieren: SUVs, Smartphones, Billigflüge sowie der häufige Konsum von Fleisch und Wintergemüse aus Südspanien. Die Inanspruchnahme dieser Güter und Dienstleistungen hat eines gemeinsam: Sie richtet an anderen Orten des Globus ökologischen und sozialen Schaden an; die Folgen des Konsums werden externalisiert.
China holt auf - im negativen Sinn
Diese Lebensweise setzt die Verfügbarkeit von billiger Arbeitskraft, fossiler Energie und Schadstoffsenken voraus. Wenn die globale Mittelschicht Billigjeans kauft, sind damit sowohl die Ausbeutung von Näherinnen verbunden als auch Umweltzerstörung durch Produktion und Transport. Nicht nur ein großer Teil der Menschen in den Ländern des „globalen Nordens“ konsumiert auf diese Weise nicht nachhaltig, sondern auch ein stetig wachsender Bevölkerungsanteil in Schwellenländern wie Brasilien, Indien und China.
Gesellschaftsanalyse auf hohem Niveau
In Bezug auf Gesellschaftstheorien kann man den beiden Autoren kein X für ein U vormachen. Sie stecken in den ersten drei Kapiteln den theoretischen Rahmen ihres Ansatzes klar ab. Dabei beziehen sie sich vor allem auf den italienischen Theoretiker Antonio Gramsci, der in den 1920er Jahren den Begriff der Hegemonie prägte. Er erklärt, warum bestimmte Formen der Herrschaft weniger mittels direkter Gewalt ausgeübt werden als vielmehr durch materielle und ideologische Zugeständnisse und Kompromisse, die zu Konsens oder passiver Zustimmung führen.
Buchhinweis
Ulrich Brand und Markus Wissen: Imperiale Lebensweise. Oekom Verlag, 224 Seiten, 15,40 Euro.
Im Fordismus, also der Produktionsphase, die vom frühen 20. Jahrhundert bis in die 1970er Jahre reichte, wurde den Arbeitern und Arbeiterinnen diese Zustimmung unter anderem durch die Ausweitung ihrer Konsummöglichkeiten abgerungen: Im Laufe der Nachkriegsjahrzehnte wurde es üblich, dass Familien sich den Bau von Einfamilienhäusern sowie den Kauf von Autos, Kühlschränken, Staubsaugern und vielem mehr leisten konnten. Der Fleischkonsum stieg an, und der allgemeine Lebensstil beruhte immer mehr auf fossiler Energie.
Umweltbewusstsein wirkt sich nicht aus
Seither ist der Ressourcenverbrauch in den reichen Ländern wie auch global weiter angestiegen und steigt nach wie vor. Dieses Dilemma besteht – und hier kommen wir zum zentralen Argument des Buches – trotz zahlreicher Klimakonferenzen, der Weiterentwicklung von Wind- und Sonnenenergie sowie einem tendenziell steigenden Umweltbewusstsein.
Doch wie kann es sein, dass der Klimaschutz trotz all dieser scheinbar positiven Entwicklungen im Grunde nicht vorankommt? Brand und Wissen gehen dieser Frage mit Akribie nach – und sie kommen zu einem klaren Schluss. Um den Klimawandel zu stoppen und die Ausbeutung von Mensch und Natur zu beenden, wäre eine Abkehr vom Paradigma des Wirtschaftswachstums notwendig.
Individualverkehr, „Rebound-Effekte“ und SUVs
Am klarsten verdeutlichen die beiden Autoren ihren Ansatz wohl in ihrem Kapitel „Imperiale Automobilität“. Sie argumentieren, dass Ökoeffizienzsteigerungen bei der Herstellung von Autos oftmals durch den „Rebound-Effekt“ zunichte gemacht werden. Denn obwohl Autos pro Kilogramm Eigengewicht tendenziell weniger Sprit verbrauchen als früher, werden sie erstens überproportional schwerer und zweitens im Vergleich zur Vergangenheit häufiger benutzt; und sie werden tendenziell immer schneller durch neue Modelle ersetzt.
Auf eine Entwicklung haben es Brand und Wissen ganz besonders abgesehen: Sie weisen nach, dass sich der Anteil der SUVs und Geländewägen am Pkw-Bestand in den Industrie- und Schwellenländern in erschreckender Weise erhöht hat. Für Brand und Wissen ist der SUV der Ausdruck der imperialen Lebensweise schlechthin.
Er verbraucht mindestens 25 Prozent Treibstoff mehr als ein konventionelles Fahrzeug, außerdem wirkt er „aufgrund seiner materiellen Eigenschaften verstärkend auf jene von zunehmender Konkurrenz und Rücksichtslosigkeit geprägten sozialen Verhältnisse zurück, deren Produkt er ist“.
Raus aus dem Konkurrenz- und Wachstumsdenken
Eine der Stärken der Analyse von Brand und Wissen liegt darin, dass sie nicht mit einfachen Antworten um die Ecke kommen. Weder gibt es bei ihnen aus dem Hut gezauberte neue heilbringende Technologien noch die moralinsaure Aufforderung, in kein Auto mehr einzusteigen oder keinen Supermarkt mehr zu betreten. Brand und Wissen fühlen sich den sozialen Bewegungen verpflichtet, die an unzähligen Orten des Globus aktiv sind.
So heben sie im Schlusskapitel die Bewegungen für Umwelt- und Klimagerechtigkeit hervor, sie loben die sozialen Kräfte, die den Ausstieg aus der Kohlekraft herbeiführen wollen, und fordern den Ausbau günstiger öffentlicher Verkehrsmittel. Es muss den Autoren hoch angerechnet werden, dass sie nicht „rot“ gegen „grün“, also soziale gegen ökologische Argumente ausspielen und auf eine solidarische und umweltgerechte Zukunft für alle Menschen auf diesem Planeten pochen.
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Alexander Behr, für ORF.at