„Runter mit Gehässigkeiten“
Ablösen an der Spitze von ÖVP und Grünen, Regierungskrise und eine vorgezogene Neuwahl - in den letzten Tagen war die Innenpolitik mehr als dicht. Bundespräsident Alexander Van der Bellen mahnt in der aktuellen politischen Situation nun jedenfalls zu Besonnenheit.
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„Es wird keine Fraktion die absolute Mehrheit haben. Ihr werdet nach der Wahl wieder miteinander reden müssen, also runter mit Gehässigkeiten und übertriebenen Emotionen“, fordert Van der Bellen in einem Interview mit dem „Kurier“ (Sonntag-Ausgabe). „Die Rücktritte von Reinhold Mitterlehner und Eva Glawischnig sollten uns schon sensibilisieren“, so Van der Bellen. Beide hätten als einen der Gründe die Verletzlichkeit als Mensch genannt.
Van der Bellen nimmt Parteien in Pflicht
Interessant ist vor allem Van der Bellens Ankündigung, bereits im Wahlkampf für die Nationalratswahl am 15. Oktober von den Parteien einzumahnen, klar zu sagen, was sie inhaltlich vorhaben. „Als Staatsbürger interessiert mich, wie ist die Haltung zur EU“, sagte Van der Bellen. Wichtig sei ihm auch, dass sich die Parteien zu den Themen Bildung, Arbeitsmarkt und Grundrechte inhaltlich äußern.
Die Regierungsbildung nach dem 15. Oktober könnte schwierig werden, eine Regierungsbeteiligung der FPÖ gilt derzeit als wahrscheinlich. Van der Bellen kommt jedenfalls eine wichtige Rolle zu - die Frage, ob er die FPÖ in einer Regierung akzeptieren würde, wurde Van der Bellen bereits im Bundespräsidentschaftswahlkampf gestellt. Damals hatte Van der Bellen wiederholt in den Raum gestellt, eine Regierung mit FPÖ-Beteiligung nicht anzugeloben, sollten die Freiheitlichen ihre europakritische Haltung nicht ändern.
Gelassen zu Kurz’ Vizekanzler-Verweigerung
Gelassen sieht Van der Bellen dagegen die Tatsache, dass der designierte ÖVP-Chef Sebastian Kurz nicht das Amt des Vizekanzlers übernommen hat: „Da kann ihn keine Macht der Welt dazu zwingen.“ Van der Bellen verwies auch auf Beispiele aus der Vergangenheit, unter anderem sei Werner Faymann im Frühjahr 2008 SPÖ-Chef geworden, Alfred Gusenbauer aber bis zur Wahl im Herbst Kanzler geblieben.
Lunacek setzt auf „Heimat“
Die neue grüne Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek will unterdessen - zumindest teilweise - auf eine Strategie setzen, derer sich Van der Bellen in seinem Hofburg-Wahlkampf bediente: Mit einem klaren Bekenntnis zu Europa wolle sie sich den Begriff „Heimat“ mit einer neuen Definition „von den Rechten wieder aneignen“, wie sie am Samstag in der Ö1-Radioreihe „Im Journal zu Gast“ sagte. Van der Bellen hatte in seinem Wahlkampf ebenfalls mit dem Begriff „Heimat“ und seiner Definition von Patriotismus um Stimmen geworben. So plakatierte er etwa „Heimat braucht Zusammenhalt“.
In eine ähnliche Kerbe schlägt nun Lunacek: „Europa, das ist nicht das Ausland, sondern das sind wir“, so die EU-Parlamentarierin in der wöchentlichen Interviewserie. „Heimat“ habe „einfach eine Assoziation, die positiv ist, die aber von den Rechten missbraucht wurde“ - Audio dazu in oe1.ORF.at. Ihr sei bewusst, dass ein europäischer Heimatbegriff in weiten Teilen der Bevölkerung nicht ankomme, jedoch seien die Grünen immer schon eine Partei gewesen, die auch unangenehme Dinge ausspreche.
„Europäische Republik“ als mögliches Ziel
Lunacek will somit offenbar weiter gehen als Van der Bellen im Vorjahr und für die Vision einer „europäischen Republik“ als neuer Heimat werben. Nationale Kompetenzen sollten dabei in eine Länderkammer eines EU-Parlaments mit dann zwei Kammern wandern. Möglich sei das vielleicht sogar schon „Mitte des nächsten Jahrzehnts“.
Überhaupt würden EU-Themen „großen Stellenwert“ in ihrem Wahlkampf haben, meinte Lunacek. In diesem Zusammenhang sprach sie sich für einen Abbruch der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei aus, sollte das Land, wie von Präsident Recep Tayyip Erdogan propagiert, die Todesstrafe einführen. Derzeit seien „die Verhandlungen auf Eis, und das sollen sie auch bleiben“, stellte Lunacek ebenfalls klar.
FPÖ und Team Stronach kontern scharf
Erwartungsgemäß auf umgehende Kritik stießen Lunaceks Aussagen bei der FPÖ. In einer Aussendung ortete Parteigeneralsekretär Herbert Kickl „Ideenverlassenheit und völlige Orientierungslosigkeit“ bei den Grünen. Lunacek habe abgesehen von der Abgrenzung zur FPÖ nichts anderes zu bieten, als „die Europäische Union als einzig erstrebenswerte Staatenform zu lobpreisen“.
Bemerkenswert sei, dass Lunacek mit ihrer Vision einer starken EU eben jenes Parlament, für das sie jetzt zu kandidieren gedenke, schwächen möchte, so Kickl. Team-Stronach-Klubobmann Robert Lugar meinte seinerseits in einer Aussendung, man könne „hoffen, dass die Grünen in Europa eine Minderheit bleiben, sonst droht uns ein europäischer Zentralstaat, der die Rechte der einzelnen Völker abschafft“.
„Österreich droht Richtung Orban abzugleiten“
Lunacek betonte - wie zuletzt noch die zurückgetretene Grünen-Chefin Glawischnig - in dem Interview, eine Stärkung ihrer Partei sei der einzige Garant gegen eine FPÖ-Regierungsbeteiligung. Aber auch beim designierten neuen ÖVP-Obmann Sebastian Kurz sieht sie Tendenzen, dass „Österreich in Richtung (des umstrittenen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor, Anm.) Orban abzugleiten droht“.
Lunacek will bei der Nationalratswahl am 15. Oktober ein Ergebnis von mehr als zehn Prozent erreichen. „Zweistellig sollte es schon auf jeden Fall sein“, meinte sie. 2013 erreichten die Grünen 12,4 Prozent, in aktuellen Umfragen liegt die Partei im einstelligen Bereich. Über Konsequenzen, sollte sie ihr Ziel nicht erreichen, wollte Lunacek nicht sprechen. Sanfte Kritik äußerte Lunacek an der grünen Führung der vergangenen Monate. Sie hätte sich gewünscht, Van der Bellens Wahlerfolg besser für die Grünen mitnehmen zu können.
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