„Sexistische Machos“ und „Klimavergifter“
In der Rede zu ihrem überraschenden Rücktritt hat Grünen-Chefin Eva Glawischnig am Donnerstag herbe Kritik an den Medien und dem Zusammenspiel der Politik mit diesen geübt. „Die politische und mediale Aggressivität hat wahnsinnig zugenommen“, so Glawischnig.
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Man befinde sich in „Zeiten der medialen Zuspitzung“, in denen es nicht möglich sei, „den Job des Parteichefs, der Parteichefin“ ewig zu machen, da das „jeden Menschen“ einfach „aufreibe“. Glawischnig bedankte sich zwar für „korrekte und respektvolle seriöse Berichterstattung“. Sie übte aber auch harte Kritik an „einzelnen Persönlichkeiten“. Diese würden „die Republik regelrecht vergiften und unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt damit gefährden“ oder „keinen Respekt vor einer anderen Meinung haben“. Andere würden „die journalistische Sorgfalt und Recherche vermissen“ oder seien „einfach zutiefst sexistische Machos“.

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Eva Glawischnig appellierte einmal mehr für mehr Frauen in Führungspositionen
Sie appellierte an Politik und Medien, sich rückzubesinnen auf das, was wirklich relevant sei, und nicht auf das, „was man dramaturgisch brutal überspitzen kann“, womit man „Klicks, Aufmerksamkeit, Quote und die Ängste von Wählerinnen und Wählern mobilisieren kann“. Hier habe auch die Politik in den letzten Jahren übers Ziel hinausgeschossen.
Appell an Social-Media-Nutzer
An alle Social-Media-Nutzer appellierte sie weiters, die Debattenkultur zu ändern, damit nicht der Hass dominiert. Die Grünen konnten erst kürzlich im Kampf gegen Hasspostings mit einer Klage erreichen, dass der Konzern Facebook diese weltweit löschen muss. Der Anlass waren Hasspostings gegen Glawischnig. Ihren Kampf gegen solche Nachrichten will sie „mit aller Kraft weiterbetreiben“. Als „überzeugte Parlamentarierin“ warnte sie auch vor dem „Wunsch und Konzept des sogenannten starken Mannes“.
Kurz nach Glawischnigs Rede sorgte eine Analyse von ORF-Innenpolitikchef Hans Bürger online für Aufregung. Bürger hatte in der ZIB gesagt: „Sie weiß es ganz genau: Das wird der brutalste und härteste Wahlkampf. Da gilt es auch gegen Männer zu bestehen.“ Nach Kritik am „Männer“-Satz entschuldigte sich Bürger auf Twitter bei Glawischnig und unterstrich seinen Respekt für sie. Er habe gemeint, „aber in der Hektik nicht gesagt“, dass es möglicherweise gelte, „gegen untergriffig agierende Männer“ zu bestehen.
„Zutiefst persönliche Entscheidung“
Nachdem es bereits am Mittwochabend Gerüchte über Glawischnigs Rücktritt gegeben hatte, verkündete sie am Donnerstag in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz ihren Rücktritt von allen politischen Ämtern und ihr Ausscheiden aus dem Nationalrat. Ihre Entscheidung sei eine „zutiefst persönliche“ gewesen, sagte sie im Parlament.
Einen bestimmten Anlass für diese Entscheidung habe es nicht gegeben, so Glawischnig. Die Entscheidung sei in letzter Zeit gereift und durch die Neuwahlsituation zugespitzt worden. In letzter Zeit habe es „in aller Offenheit“ gewisse körperliche Warnsignale gegeben, so Glawischnig, etwa einen allergischen Schock. Bei ihrer Erklärung verwies Glawischnig auch auf ihre Familie und auf ihre zwei Söhne.
„Viele kritische Stimmen“
Als Mutter könne sie ihre Gesundheit nicht aufs Spiel setzen. Das und der Umstand, als Spitzenpolitikerin 24 Stunden am Tag an sieben Tagen in der Woche verfügbar zu sein, habe sie bewogen, sich gegen dieses berufliche Engagement zu entscheiden. Sie habe vier ÖVP- und drei SPÖ-Chefs überlebt, „nur (FPÖ-Chef Heinz-Christian, Anm.) Strache teilt mein Dienstalter“, so Glawischnig: „Ich sehe noch nicht so alt aus, wie mein Dienstalter eigentlich sein sollte.“

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Glawischnig und ihr Ehemann Volker Piesczek vor dem Parlament
„Als ich die Partei übernommen habe, gab es viele kritische Stimmen. Viele haben gesagt, die Grünen werden ein Drittel ihrer Wählerinnen und Wähler verlieren“, sagte Glawischnig zu Beginn ihres Statements. Es sei aber ganz anders gekommen, die Grünen seien in die erfolgreichste Phase ihrer Parteigeschichte in Österreich eingetreten.
Rückzug aus allen Ämtern
Glawischnig zieht sich mit sofortiger Wirkung als grüne Parteichefin und Klubobfrau zurück. Auch aus dem Nationalrat werde sie ausscheiden, sagte sie am Donnerstag.
Glawischnig verwies auf die 12,5 Prozent, die die Grünen bei der letzten Nationalratswahl erringen konnten. Zuwächse habe es auch bei den Landtagswahlen in Niederösterreich, Oberösterreich, Tirol, Vorarlberg, der Steiermark und Salzburg sowie bei der Europawahl gegeben. Zudem seien die Grünen in viele Landesregierungen eingezogen. Als Erfolg für sich verbuchte sich auch die Wahl Alexander Van der Bellens zum Bundespräsidenten, dem „ersten grünen Präsidenten Europas“. Das Projekt hätten die Grünen und sie maßgeblich betrieben.
Eine Spitze gab es von Glawischnig für den ehemaligen grünen Nationalrat und Europaabgeordneten Johannes Voggenhuber. Dieser habe ihr nur ein einziges Mal in ihrer Laufbahn gratuliert, 2004, als die Grünen den Einzug in den Kärntner Landtag geschafft und das Ende der Ära Jörg Haider eingeläutet hätten, so Glawischnig.
Nachfolge bleibt offen
Zu ihren möglichen Nachfolgerinnen oder Nachfolgern äußerte sich Glawischnig nicht. Sie verwies lediglich auf den erweiterten Bundesvorstand am Freitag in Salzburg. Eine persönliche Empfehlung verweigerte sie, verwies aber auf die Bedeutung von Frauen in politischen Führungspositionen.

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Als aussichtsreichste Kandidatin gilt die Tirolerin Ingrid Felipe. Die 38-Jährige gehört laut „Presse“ zum bürgerlichen Parteiflügel. Die studierte Betriebswirtin ist seit 2005 bei den Grünen, seit 2013 bekleidet sie das Amt der Zweiten Landeshauptmann-Stellvertreterin in Tirol. Chancen werden auch der derzeitigen Vizepräsidentin des EU-Parlaments und grünen Delegationschefin Ulrike Lunacek eingeräumt.
Nach dem Rückzug übernahmen Felipe und Werner Kogler interimistisch die Leitung der Grünen. Ihr Nationalratsmandat legt Glawischnig erst mit der nächsten Plenarsitzung zurück. Stellvertretende Klubchefs sind Gabriele Moser und Albert Steinhauser.
Van der Bellen dankt „engagierter Kämpferin“
Bundespräsident Alexander Van der Bellen sprach Glawischnig seine „außerordentliche Wertschätzung“ aus. Die Zusammenarbeit mit ihr sei von Vertrauen und tiefem Respekt geprägt gewesen. Glawischnig sei eine „engagierte Kämpferin“, unter anderem für die Umwelt, für den Klimaschutz und für die Gleichstellung von Frauen gewesen.
Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) wünschte Glawischnig via Facebook alles Gute für die Zukunft. Lob für die Grüne kam auch von Politikerinnen und Politikern aus der ÖVP und den Oppositionsparteien.
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