Kern will „Verpflichtungen nachkommen“
Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) hat in einer Erklärung im Hohen Haus gesagt, dass die Gesetzesarbeit bis zur Neuwahl im Herbst nur noch vom Parlament erledigt werden soll. Damit akzeptiere er „selbstverständlich“ auch Justizminister Wolfgang Brandstetter als ÖVP-Vizekanzler - denn wer das Amt habe, sei in dieser Situation nachrangig.
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Damit strebt die SPÖ wohl eine Art des Spiels der freien Kräfte im Parlament an. Kern betonte, dass die Regierung auch in den kommenden Monaten ihre verfassungsmäßigen und europäischen Verpflichtungen vollumfänglich wahrnehmen wolle. Man werde in ruhiger Arbeit Stabilität gewährleisten und Unordnung bis hin zum Chaos verhindern.
Vizekanzler: Kurz-Weigerung als Auslöser
Dass er die gemeinsame inhaltliche Arbeit in der Regierung beendet, begründete Kern damit, dass sich ÖVP-Chef und Außenminister Sebastian Kurz weigere, Vizekanzler zu werden. Verantwortung habe man nicht nur zu übernehmen, wenn die Sonne scheine, sondern auch, „wenn es einem nicht zum persönlichen Vorteil gereichen mag“, sagte der SPÖ-Vorsitzende in Richtung des Außenministers.

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Kern wiederholte, dass man mit Österreich „nicht spielt“
SPÖ will Mehrheiten suchen
Wenn nicht beide Parteichefs die Verantwortung für die Umsetzung des Regierungsprogramms übernehmen wollten, bitte er um Verständnis, dass sich die SPÖ schwertue, das Angebot der ÖVP als belastbar anzusehen. Stattdessen vertraue er lieber auf die parlamentarische Arbeit. Die SPÖ werde dabei Punkt für Punkt bereits vereinbarte Regierungsvorlagen einbringen und Mehrheiten suchen. Dabei dürfe es aber keine übermäßigen Belastungen des Staatshaushalts geben.
Zusätzlich pochte Kern auf die Fortsetzung des Eurofighter-U-Ausschusses. Vom Kanzler genannt wurden jene drei Themenfelder, die der SPÖ nun besonders wichtig seien. Das sind zunächst die Beschäftigungsinitiative 20.000, der Kampf gegen die Steuervermeidung von Großkonzernen und ein einheitliches Wirtschaftsrecht. Kern sagte, er akzeptiere zudem die Ernennung von Harald Mahrer zum Wirtschaftsminister.
Kurz fühlt sich Koalitionsabkommen verbunden
Kurz seinerseits betonte, dass er „geordnete Verhältnisse“ wolle und sich dem Koalitionsabkommen verpflichtet fühle. Wegen Letzterem wolle er die SPÖ auch nicht überstimmen. Mit Brandstetter habe er bewusst jemanden als Vizekanzler vorgeschlagen, der ein Garant für Zusammenarbeit sei. Brandstetter sei noch in keinen einzigen Streit verwickelt gewesen. Sowohl Brandstetter als auch Mahrer sollen am Mittwoch angelobt werden.

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Kurz’ Rede wurde vom Plenum lautstark kommentiert
Kurz teile die Einschätzung, dass „lebendiger Parlamentarismus“ sinnvoll sei, die Verhältnisse aber trotzdem geordnet bleiben müssten. Er halte nichts davon, Porzellan zu zerschlagen - und vielleicht werde es dann auch noch teuer, so Kurz mit Blick auf die Situation vor der Wahl 2008, wo beim freien Spiel der Kräfte zahlreiche kostenintensive Maßnahmen beschlossen wurden.
Man wolle noch möglichst viele Punkte umsetzen. Es habe sich aber in den letzten Monaten gezeigt, dass eine Fortsetzung der Koalition nicht sinnvoll sei und wesentlich weniger als Minimalkonsens gebracht habe. Nun gelte es, die letzten Monate in einer „würdevollen“ Art und Weise zu verbringen und dann einen „kurzen, intensiven und fairen“ Wahlkampf auszufechten.
Frage um Vizekanzler „kein Pokerspiel“
Der Streit über die Frage, ob Kurz als Vizekanzler zur Verfügung steht, drohte am Dienstag die Regierung zum Platzen zu bringen. Kurz hatte ausgeschlossen, als Vizekanzler zu amtieren, und sich deswegen auf Brandstetter festgelegt - sehr zum Ärger von Opposition und SPÖ: Kern drohte deswegen damit, das freie Spiel der Kräfte walten zu lassen. Die Frage um den Vizekanzler sei „kein Pokerspiel“, betonte er.
Im Streit über den Posten des Vizekanzlers geht es freilich um wahltaktisches Kalkül: Politologe Peter Filzmaier sagte am Montag in der ZIB2, Kurz habe wohl gute Gründe, auf den Posten zu verzichten: Formal bedeute das für ihn keine zusätzlichen Kompetenzen, er könne auch nicht mehr durchsetzen.

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Kurz und Brandstetter saßen demonstrativ Seite an Seite
Zudem würde er im Diskurs in „wirklich alle Themen hineingezwungen“ - und nicht nur in jene, „die er sich aussucht“. Das sei bisher schon sein Vorteil als Außenminister gewesen. Genau das will aber wohl die SPÖ - zudem würde Kurz als Vizekanzler auch zeitlich gebunden und hätte wohl weniger Zeit für die Umbauarbeiten in der ÖVP und für den Wahlkampf.
Misstrauensantrag der Grünen abgelehnt
FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache sagte, für ihn sei Kerns Angebot zur Zusammenarbeit derzeit kein Thema. Stattdessen geißelte er das „dramatische Scheitern“ der bisherigen Koalitionsarbeit. Kurz sei „seit seiner Jugend ein Apparatschik“ der ÖVP, so Strache, und sei in der realen Politik „ein Phantom“.
Grünen-Chefin Eva Glawischnig stellte das „formale Ende dieser rot-schwarzen Koalition“ fest. Jetzt sei das Parlament am Zug. Die „Zündelei“ der vergangenen Wochen und Tage habe einen Namen, so Glawischnig - und nannte ihn auch: ÖVP-Klubchef Reinhold Lopotka. Auch Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) habe sich „lustvoll“ daran beteiligt, sagte Glawischnig. Der eingebrachte Misstrauensantrag gegen Sobotka wurde aber abgelehnt - auch die SPÖ stimmte nicht mit.
Kurz für Lugar „österreichischer Frank Underwood“
NEOS-Chef Matthias Strolz forderte Klarheit für Österreich und lobte Kern für die Einberufung des Allparteientreffens. Er schlug vor, dass bei Ausbleiben von konstruktiven Resultaten Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Parteien „in die Konstruktivität zwingen“ solle.
Team-Stronach-Obmann Robert Lugar sagte, er habe „großes Verständnis“ für das Vorgehen von Kern. Für Lugar ist Kurz ein „österreichischer Frank Underwood“ aus der TV-Serie „House of Cards“. Aber auch ein Versagen des Parlaments ortete Lugar. Die Gewaltentrennung sei nicht eingehalten worden, die Abgeordneten hätten die Regierung nur ungenügend kontrolliert.
Brandstetter will „vernünftiges Ende“ finden
Brandstetter erklärte sich im Nationalrat dazu bereit, das Amt des Vizekanzlers zu übernehmen. Er sei Montagabend von Kurz angesprochen worden, ob er mithelfen wolle, die Regierungsvorhaben als Vizekanzler auf den Weg zu bringen. Wenige Stunden zuvor hatte Brandstetter Ambitionen auf das Amt noch eine Absage erteilt. Den Gesinnungswandel trotz anfänglicher Ablehnung erklärte er folgendermaßen: „Da habe ich gesagt: Ja, wenn es wirklich darum geht, Projekte auf den Weg zu bringen.“
Er habe keine „persönlichen Ambitionen“ auf andere Ämter. Brandstetter betonte seine Parteiunabhängigkeit, die er im Justizressort auch bewiesen habe. Später erklärte Brandstetter im Nationalrat, man müsse nun „das Beste aus der Situation machen“. Er beklagte den Verlust des Vertrauens in der Regierung - darum gelte es jetzt, ein „vernünftiges Ende“ zu finden: Das, was inhaltlich noch möglich sei, sollte getan werden - bis zum letzten Tag vor der Wahl.
Warnung vor „hemmungslosem Geldausgeben“
Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) warnte angesichts des bevorstehenden „freien Spiels der Kräfte“ im Parlament vor einem „hemmungslosen Geldausgeben“ und „Milliardengeschenken“. Er erinnerte am Dienstag an die Parlamentsnacht vom 24. September 2008 eine Woche vor der damaligen Nationalratswahl, die den Steuerzahler heute noch rund 4,3 Mrd. Euro pro Jahr koste.
Im freien Spiel der Kräfte wurden damals in einer mehr als 19-stündigen Marathonsitzung bis zum Morgengrauen unter anderem eine Pensionserhöhung mit Einmalzahlung, eine Mehrwertsteuerhalbierung auf Medikamente, die Verlängerung der Hacklerregelung, die 13. Familienbeihilfe, die Abschaffung der Studiengebühren, eine Pflegegelderhöhung, eine Steuerbefreiung für Monteure und Nächtigungsgelder sowie ein Heizkostenzuschuss für Senioren beschlossen.
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