Regierung kurz vor Auflösung
Im Streit über den Vizekanzler droht die Regierung nun endgültig zu platzen. Sollte der designierte ÖVP-Chef Sebastian Kurz nicht als Vizekanzler zur Verfügung stehen - was dieser derzeit offensichtlich nicht tut -, sei die Konsequenz, dass sich der politische Entscheidungsprozess ins Parlament verlagere, sagte Kanzler Christian Kern (SPÖ) am Dienstag.
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Damit würde die politische Gestaltung bis zur Neuwahl wohl in einem freien Spiel der Kräfte im Parlament passieren. Kurz hatte darauf bestanden, dass Justizminister Wolfgang Brandstetter das Amt übernimmt. Die SPÖ pocht aber auf Kurz als Vizekanzler.
Die ÖVP beharrt wiederum allem Anschein nach darauf, dass alle jetzt amtierenden Minister die Arbeit bis zum Herbst fortführen. Angesichts der Eskalation wurde die Pressekonferenz nach dem Ministerrat abgesagt. Kern kündigte an, eine Erklärung zur aktuellen Situation abgeben zu wollen. Das Statement startete kurz nach 12.00 Uhr.
„Mit Österreich spielt man nicht“
Die SPÖ fordert laut Kern, dass Kurz „Verantwortung übernimmt“. Das habe nichts mit einem „Poker“ auf seiner Seite zu tun, sondern umgekehrt mit Taktik nach dem „Vom-Zaun-Brechen einer Wahl“. Er, Kern, stehe jedoch dafür, „das Land in geordnete Bahnen zu lenken“: „Mit Österreich spielt man nicht.“

APA/Robert Jäger
Kurz und Brandstetter saßen demonstrativ Seite an Seite
Es sei „völlig irrelevant, wer Vizekanzler ist“, wenn das nicht der Chef des Koalitionspartners sei, so Kern. Das habe man „in der Vergangenheit schon gehabt“, dass die politisch in Wahrheit Maßgeblichen „nicht mit am Tisch gesessen sind. (...) Und dann sind die Heckenschützen gekommen.“ Wolle die ÖVP auf ihrem Plan beharren, „dann wird sich der politische Entscheidungsprozess ins Parlament verlagern“. Man hoffe, dass sich für die offenen Gesetzesvorhaben „dafür dann Mehrheiten finden“.
Kern plant Allparteientreffen
Kern will zudem laut eigenen Angaben um 16.00 Uhr mit Vertretern der Opposition darüber diskutieren, „wie es weitergehen wird“. Auch die ÖVP soll an dem Treffen teilnehmen. Offenbar sollen bis dahin die Möglichkeiten ausgelotet werden, die noch offenen Gesetzesvorhaben ohne Beteiligung der ÖVP durchzubringen.
Kurz wil Brandstetter als Vizekanzler
Wolfgang Brandstetter, bisher Justizminister im ÖVP-Regierungsteam, wurde von Sebastian Kurz als neuer Vizekanzler vorgeschlagen. Die SPÖ pocht allerdings weiter darauf, dass Kurz selbst das Amt übernimmt.
Derzeit sieht es nicht so aus, als ob Kurz davon abrücken wolle, Brandstetter als Vizekanzler einzusetzen. „Ich hoffe, dass der Vorschlag angenommen wird“, sagte Kurz nach der Sitzung. Eine formale Abstimmung darüber gab es laut Kanzleramt im Ministerrat nicht. Kern sagte aber im Anschluss vor Journalisten, er habe „klargemacht“, wie die SPÖ die Situation sieht.
Wahltaktisches Kalkül
Im Streit über den Posten des Vizekanzlers geht es freilich um wahltaktisches Kalkül: Politologe Peter Filzmaier sagte am Montag in der ZIB2, Kurz habe wohl gute Gründe, auf den Posten zu verzichten: Formal bedeute das für ihn keine zusätzlichen Kompetenzen, er könne auch nicht mehr durchsetzen.
Zudem würde er im Diskurs in „wirklich alle Themen hineingezwungen“ - und nicht nur in jene, „die er sich aussucht“. Das sei bisher schon sein Vorteil als Außenminister gewesen. Genau das will aber wohl die SPÖ - zudem würde Kurz als Vizekanzler auch zeitlich gebunden und hätte wohl weniger Zeit für die Umbauarbeiten in der ÖVP und für den Wahlkampf.
Kurz für „geordnete Verhältnisse“
Kurz selbst versuchte im Hohen Haus, seine Vorgehensweise zu erklären. Als Grund für seinen Wunsch nach Neuwahlen meinte Kurz, die Letzten, die gewählt worden seien, seien Michael Spindelegger (ÖVP) und Werner Faymann (SPÖ) gewesen. Seither habe es viele Parteientscheidungen, aber keine Wahlentscheidungen gegeben. Das solle sich ändern.
Er sei für „geordnete Verhältnisse“. Er wolle das Koalitionsabkommen befolgen und die SPÖ nicht im Nationalrat überstimmen. Aus seiner Sicht sollte es möglich sein, viele der von der SPÖ vorgeschlagenen Punkte plus einige weitere noch abzuarbeiten. Brandstetter als Vizekanzler vorzuschlagen, nannte Kurz einen „konstruktiven“ Vorschlag. Dieser habe auch zugesagt, wenn in den kommenden Wochen Sachthemen abgearbeitet werden.
Brandstetter will „Projekte auf den Weg bringen“
Brandstetter erklärte sich im Nationalrat dazu bereit, das Amt zu übernehmen. Er sei Montagabend von Kurz angesprochen worden, ob er mithelfen wolle, die Regierungsvorhaben als Vizekanzler auf den Weg zu bringen. Am Nachmittag hatte Brandstetter Ambitionen auf das Amt noch eine Absage erteilt. Den Gesinnungswandel trotz anfänglicher Ablehnung erklärte er folgendermaßen: „Da habe ich gesagt: Ja, wenn es wirklich darum geht, Projekte auf den Weg zu bringen.“
Er habe keine „persönlichen Ambitionen“ auf andere Ämter. Brandstetter betonte seine Parteiunabhängigkeit, die er im Justizressort auch bewiesen habe. Zum Abschluss kam Brandstetter noch auf das Thema „Hass im Internet“ und darüber hinaus zu sprechen. Der Hass im Internet sei ein beunruhigendes Thema, so der Justizminister. Aber auch in der politischen Debatte der vergangenen Tage orte er solche Emotionen. Dem wolle er eine Absage erteilen. Brandstetter schloss mit den Worten „an die Arbeit“.
Mahrer soll Wirtschaftsminister werden
Staatssekretär Harald Mahrer (ÖVP) soll nach dem Willen von Kurz die Funktion des Wirtschafts- und Wissenschaftsministers übernehmen. Dieser gab sich am Dienstag konstruktiv und sagte, man wolle „im Sinne der Bürger und Bürgerinnen“ im Ministerrat weiterarbeiten. Man könne sofort drei Punkte als Ministerratsvorlage beschließen, ließ der Staatssekretär in seiner Funktion als Regierungskoordinator wissen.
Ein freies Spiel der Kräfte im Parlament würde bedeuten, dass die Regierung selbst keine relevanten Beschlüsse mehr fasst, sondern lediglich Resolutionen und Formalsachen abnickt. Es würde keine Regierungsvorlagen mehr geben, für jene Punkte aus dem Regierungsprogramm, die noch umgesetzt werden sollen, würden Mehrheiten im Parlament gesucht. Dabei könnten einander die Koalitionsparteien entgegen ihrer Vereinbarung auch überstimmen, hieß es aus roten Regierungskreisen, wobei man Misstrauensanträge gegen Minister ausnehmen würde.
ÖVP will sieben Punkte umsetzen
Die SPÖ möchte bis zur Wahl im Herbst noch zehn Punkte umsetzen. ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka legte für seine Partei sieben Forderungen vor: Es gebe sieben Projekte, die es vordringlich umzusetzen gelte, so der Klubchef in einer Aussendung. Die Liste umfasst die Reform des Sicherheitspolizeigesetzes, die Abschaffung der kalten Progression und die Anpassung der Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder.
Zudem führte Lopatka die Abschaffung des Kumulationsprinzips zur Entlastung von Gewerbebetrieben, die Mobilität auf dem Arbeitsmarkt für mehr Flexibilität, den zweiten Teil des Fremdenrechtsänderungsgesetzes und die Studienplatzfinanzierung an. Kurz habe Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) und Mahrer damit beauftragt, diese und zehn weitere Punkte mit der SPÖ zu verhandeln, so Lopatka. Er sieht überdies die Arbeit des Eurofighter-U-Ausschusses im Mai und Juni gewährleistet, da der Neuwahlbeschluss erst Ende Juni gefasst werde.
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