Transplantationen zum Diskontpreis
Seit den Terroranschlägen im Dezember 2016, aber auch aufgrund der aktuellen politischen Entwicklungen in der Türkei wird Istanbul von vielen ausländischen Touristen gemieden. Eine Attraktion scheint jedoch seltsam krisensicher: Istanbuls Haarkliniken ziehen monatlich Tausende ausländische Besucher an. Mit medizinischem Know-how und Diskonttarifen locken sie vor allem männliche Patienten aus dem Nahen Osten und den Golfstaaten in die Bosporus-Metropole.
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Mit über 300 Kliniken, die sich auf Haartransplantationen spezialisiert haben, scheint sich Istanbul derzeit zur Welthauptstadt der kosmetischen Haarbehandlung zu entwickeln. An touristischen Hotspots wie dem Taksim-Platz sieht man laut der türkischen Tageszeitung „Hürriyet Daily News“ immer mehr Männer mit rasierten Köpfen umherschlendern. Einige tragen Verbände, die Rötungen und Operationsnarben verdecken, andere zeigen auf Stirnbändern stolz das Logo der Klinik, in der sie behandelt werden - denn eine Haar-OP ist auch ein Statussymbol.

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Touristen mit Stirnbändern ihrer Haarklinik: Die OP ist auch ein Statussymbol
„Ich bin für eine Haarverpflanzung und irgendwie auch als Tourist in die Türkei gekommen“, wird der 27-jährige Palästinenser Jamaal, der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, von der „Hürriyet Daily News“ zitiert. Jamaal erzählt, dass er seine Operation in einer Istanbuler Haarklinik bereits hinter sich habe. 1.500 Haare seien ihm Stück für Stück über der Stirn eingesetzt worden, jetzt plane er noch einen Besuch der Blauen Moschee und eine Bootstour auf dem Bosporus.
„Haartouristen“ als Maskottchen der Stadt
Laut „Hürriyet Daily News“ sind die „Haartouristen“ schon derart fix im Istanbuler Stadtbild verankert, dass die Bewohner witzeln, man solle sie doch gleich zum Maskottchen der Stadt erklären.
Im Internet lassen sich schnell Dutzende Diskontkliniken in und um Istanbul finden. Für eine Haarverpflanzung verlangen sie erheblich weniger Geld als Kliniken im deutschsprachigen Raum. Die Preisdifferenzen können mehrere tausend Euro betragen: Rund 1.200 Euro zahlt ein Patient in Istanbul für seine Standardbehandlung. In den meisten anderen Ländern Europas würde die gleiche Prozedur über 6.000 Euro und in Ländern des Nahen Ostens noch einmal erheblich mehr kosten.

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In Istanbuls Haarkliniken wollen Patienten Tausende Euro sparen
Mit Kombiangeboten versuchen einzelne Haarkliniken, sich von ihren ebenso günstigen Mitbewerbern abzusetzen: So kann man mit der neuen Haarpracht auch gleich eine Stadtrundfahrt buchen, sich mit einer VIP-Limousine vom Flughafen in die Klinik chauffieren lassen oder andere schönheitschirurgische Eingriffe ins Angebotspaket holen.
Onlinevideos zeigen den OP-Ablauf
Der genaue Ablauf der Operation ist in den vielen Videos dokumentiert, die die Schönheitsinstitute und -kliniken für potenzielle Kunden online gestellt haben: Während der Follicular Unit Extraction (FUE) werden dem Kunden Haare dort entnommen, wo sie noch reichlich wachsen, also etwa im Nacken.

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Eigenhaareinpflanzung in Esteworld, einer privaten Schönheitsklinik in Istanbul
Anschließend werden sie an Bereichen mit schütterem Haarwuchs, wie der Kopfoberseite, wieder eingesetzt. Diese Prozedur dauert acht bis zehn Stunden - und ist visuell und akustisch nichts für schwache Nerven. Im Anschluss brauchen die kleinen, auf wenige Millimeter gekürzten Härchen Wochen und Monate um richtig anwurzeln und weiter wachsen zu können. Gesetzt den Fall, es geht alles gut.
Schwarze Schafe unter den Diskontern
Der Artikel der „Hürriyet“ ist voll des Lobes für die türkische Transplantationsszene. Das Internet kennt aber auch Geschichten des Misserfolgs: Enttäuschte Kunden posten nach ihrer Türkei-Reise Fotos von Haaren, die mit falscher Wuchsrichtung oder bündelweise eingepflanzt wurden oder überhaupt nach kurzer Zeit wieder ausfallen. Nicht alle Diskontanbieter scheinen zuverlässig zu arbeiten.

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Kampf gegen die „hohe Stirn“: Volles Haupthaar suggeriert Virilität
Wie dem auch sei - Emre Ali Kodan, offizieller Berater des türkischen Verbandes für Gesundheitstourismus ist optimistisch: „Allein im Bereich Haartransplantationstourismus ist ein zehnprozentiges Wachstum im laufenden Jahr 2017 absehbar“, sagt er gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Statt der bisher 5.000 Haartouristen sieht er in Kürze bereits bis zu 6.500 monatlich ins Land strömen. Interesse zeigten derzeit vermehrt auch Kunden aus Griechenland, Italien und Russland.
Aber auch weibliche Kundinnen finden in Istanbul ein auf sie abgestimmtes Service: Manche Unternehmen spezialisieren sich auf Haarverlängerung und -verdichtung. Die ist zwar auch aufwendig, geht aber im Unterschied zu den meist an Männern durchgeführten Transplantationen unblutig ab. Für rund 80 Euro pro 100 Gramm Echthaar können sich „Haartouristinnen“ Strähnen in die eigene Frisur flechten lassen - ein Effekt, der allerdings nur wenige Wochen anhält.
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