Zarter Pop und Störgeräusche
Seit Freitag bietet das Donaufestival ein Programm zwischen zeitgenössischer Performance, Kunst und Musik. Neue Formate, ein intensiver theoretischer Zugang und auch eine Generalüberholung in gastronomischer Hinsicht zeugen von neuen Impulsen. Das Festival findet erstmals unter der Leitung von Thomas Edlinger statt, dessen Handschrift sich trotz der bewährten Ansätze deutlich zeigt.
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Das Abtauchen in eine vollkommen andere Welt hat anlässlich des musikalischen Auftakts des Donaufestivals Tradition – nicht nur angesichts der inhaltlichen Offenheit des an zwei Wochenenden in Krems ausgetragenen Festivals. Beim Betreten des abgedunkelten Raums der Minoritenkirche wurden die auf Tageslicht eingestellten Augen vom plötzlichen Kontrast irritiert. Alles blieb schwarz, bis sich die Sicht ganz langsam wieder aufbaute.

Donaufestival
Techno aus Teheran trifft Tradition: Sote with Tarik Barri, Arash Bolouri & Behrouz Pashaei
Lediglich die Visuals, schwaches Bühnenlicht und die Beschilderung der Notausgänge traten zwischen den dicken Steinsäulen des Kirchenraums aus der Dunkelheit hervor und boten etwas Orientierung. Die Musik von Sote with Tarik Barri, Arash Bolouri & Behrouz Pashaei tat ihr Übriges.
Der Derwisch im Undergroundclub
Der aus Teheran stammende Musiker Sote legte einen elektronischen Klangteppich vor - flächiges Surren, harte Technobeats und akustische Irritation gingen ineinander über. Der Sound wurde immer wieder von den Instrumentalisten Arash Bolouri und Behrouz Pashai durchbrochen. Sitar und Santur, ein hackbrettartiges Instrument, das insbesondere in der persischen Musik Tradition hat, erdeten die elektronischen Klänge oder schaukelten sie zusätzlich auf.
Der Sound, dessen Intensität vom Kirchenraum spürbar verstärkt wurde, ließ an tanzende Derwische im urbanen Subkulturkontext denken. Die Visuals von Tarik Barri brachten den Titel des Projekts auf anderer Ebene zum Ausdruck: „Sacred Horror of Design“ - Alltagsflucht gelungen.
Wagner und die Wälder
Dieser Eskapismus, den das Donaufestival am Freitag zum musikalischen Auftakt bot, wurde im Laufe des Tages und am Samstag noch gesteigert. Auf den Techno aus Teheran, der auf instrumentale Tradition prallte, folgte mit GAS das Ambient-Projekt von Wolfgang Voigt. Voigt, der sich längst in den Kanon zeitgenössischer Elektronikmusik eingeschrieben hat, war in den 1990er Jahren Mitbegründer des einflussreichen Kölner Technolabels Kompakt, das eine globale Reputation besitzt und den Sound von Minimaltechno prägte wie kaum ein anderes Label.
Mit GAS entführt Voigt seit Mitte der 1990er Jahre in Ambientwelten, die mitunter tief in der deutschen Kultur wurzeln und bis hin zur Opulenz eines Richard Wagner reichen. Die Platten trugen Namen wie „Königsforst“ und „Zauberberg“. Voigt steht mit GAS momentan im hohen Interesse der internationalen Musikfachpresse. Mit „Narkopop“ erschien vor wenigen Tagen das erste GAS-Album seit dem Jahr 2000. Sein Auftritt beim Donaufestival wurde lange erwartet.
Sound mit Sogwirkung
In Krems bot Voigt am Freitag ein audiovisuelles Spektakel in Form einer mäandernden Irrfahrt durch dunkle Wälder mit stetem düsteren elektronischen Hintergrundrauschen, das mit verzerrten Streichersamples, die sich Schicht für Schicht über die elektronischen Sounds legten, eine bemerkenswerte Intensität entfaltete. Eine Inszenierung mit ungemeiner Sogwirkung, die es leicht machte sich woanders zu wähnen. Erst wer wieder in der Sonne stand, wusste, wie weit er sich entfernt hatte.
Empathie als Leitmotiv
„Du steckst mich an“ lautet der Festivaltitel der diesjährigen Austragung. Nicht nur eine Krankheit, auch Euphorie kann ansteckend sein. Der Titel bezieht sich auf das Leitmotiv des heurigen Festivals: Empathie. Es ist das erste Donaufestival unter der neuen Leitung von Edlinger, der auch als Radiomacher bei FM4 („Im Sumpf“), Kurator und Buchautor bekannt ist, und der dem Donaufestival eine starke textliche Ebene verordnet hat.
Zum Festival ist eine Publikation mit Essays erschienen, die sich mit dem Leitmotiv der Empathie auseinandersetzen. Der Begriff der Empathie soll sich aber auch auf die Künstler des Festivals und deren Werk anwenden lassen, erklärte Edlinger im Vorfeld. Dabei wird in Krems ein inhaltlicher Bogen gespannt, der nicht nur das Zeitgenössische beinhaltet, sondern auch in die Vergangenheit der Popkultur blickt.
Die Revolution von damals
Mit Scritti Politti gastierte am Freitag als einer der Hauptacts im Kremser Stadtsaal eine Institution des New Wave der späten 1970er und der frühen 1980er. Die Band, die im Grunde genommen als Projekt des Briten Green Gartside zu betrachten ist, gilt mit ihrem sanften New-Wave-Pop, der mitunter subtile Züge annimmt, längst als Bestandteil des Popkanons jener Zeit.
Sie stand damals bei Rough Trade unter Vertrag, was allein schon als politisches Statement galt. Der Name der Band bezieht sich auf den Titel eines Buches des einflussreichen italienischen Kommunisten Antonio Gramsci.
Das Auge hört mit
Gartside kennt die Höhen und Tiefe des Popgeschäfts. Einst war er trotz der Affinität zum Politischen ein Posterboy des New Wave, mit Fönfrisur und Hits in den britischen Charts. Ab den mittleren 1980er Jahren erklärte er seine Bühnenkarriere aufgrund einer Panikattacke für beendet. Musik produzierte er weiterhin und schrieb unter anderem für Chaka Khan Songs. Er gilt als Selbstverweigerer, schlauer Denker und großer Künstler, den selbst die „New York Times“ anlässlich eines Comebacks anno 2006 umfangreich zu würdigen wusste.

Donaufestival
Green Gartside alias Scritti Politti - ein Zeitzeuge des New Wave
Seit wenigen Jahren spielt Gartside mit Scritti Politti wieder Konzerte. Gartside ist längst vom agilen Posterboy zum gemütlichen, barttragenden Bären geworden. Sein Aussehen stand in starkem Kontrast zu seinen mit eindringlicher Stimme vorgetragenen New-Wave-Songs. Teile des Publikums taten sich sichtlich schwer, Empathie für das Gesehene aufzubringen - dabei hätte es gereicht, die Augen zu schließen und die Musik wirken zu lassen.
Sympathische Entführung
Mit der neuen Festivalleitung bietet das Donaufestival auch neue Musikformate wie Stockholm Syndrom. Der Begriff bezeichnet das Phänomen, wenn Entführte mit ihren Entführern zu sympathisieren beginnen, und dabei wird das Festivalpublikum tatsächlich entführt. Lediglich die Uhrzeit ist bekannt, nur wer sich eine Zählkarte besorgt, erfährt einen Treffpunkt und lässt sich auf das Ungewisse ein. Ein Frühstücksraum eines Kremser Hotels wird so zum spontanen Schauplatz für eine Schlagzeugperformance, die so gar nicht dem üblichen Konzertgebaren entspricht.

Donaufestival
Elysia Crampton bot intensive und exzessive kulturelle Brückenschläge
Das aus Japan stammende und in Berlin lebende Duo Group A exerzierte am Freitag zum Kehraus des Eröffnungstages Lärmorgien mit einer Schlagseite in Richtung Performance. Elysia Crampton bot ebenso eine Mischung aus Konzert und Performance und führte exzessive kulturelle Brückenschläge mit mitunter verstörender Wirkung vor – eine Bühnenerscheinung sondergleichen.
Neubauten machen Lärm
Mit Auftritten von Moor Mother, Yves Tumor, DJ Lag und vor allem Gonjasofi wurden und werden weitere Möglichkeiten zur Realitätsflucht geboten. Der vierte Festivaltag bringt am Montag einen der Konzerthöhepunkte des diesjährigen Donaufestivals. Einstürzende Neubauten, die zur Legende gewordene Formation rund um Blixa Bargeld, und seit fast vier Jahrzehnten Vorbild für kreative Lärm- und Krachexzesse in Verbindung mit undogmatischer Klangerzeugung, beenden die erste Hälfte des Donaufestivals, bevor es kommenden Freitag ins zweite Wochenende geht.
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Johannes Luxner, für ORF.at