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Eine Sperre von vielen

Die Onlineenzyklopädie Wikipedia ist in der Türkei am Samstag - offenbar auf behördliche Anordnung hin - gesperrt worden. Auf der Website werde darauf hingewiesen, dass der Zugang aufgrund eines Gerichtsbeschlusses nicht zu erreichen sei.

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Einem Bericht der türkischen Tageszeitung „Hürriyet“ zufolge wird dem Portal laut einem Hinweis auf der Seite ein Verstoß gegen ein türkisches Gesetz gegen Onlinekriminalität vorgeworfen. Wikipedia habe trotz wiederholter Aufforderung durch die türkischen Behörden Artikel nicht gelöscht, die Terrorismus propagieren und die Türkei auf eine Stufe mit Terroristen stellen würden.

„Nach rechtlicher Erwägung“

Nach Angaben der Gruppe Turkey Blocks, die Internetzensur in der Türkei überwacht, wurde der Zugang zu Wikipedia aufgrund einer behördlichen Anordnung gesperrt. Laut Medienberichten und Turkey Blocks müsse die Anordnung noch von einem Gericht bestätigt werden. Zitiert wird eine Erklärung der türkischen Behörde für Informations- und Kommunikationstechnologien, derzufolge die Anordnung „nach technischer Analyse und rechtlicher Erwägung auf der Grundlage von Gesetz Nummer 5651“ erlassen wurde.

Der Zugang war für türkische Nutzer nur über technische Umwege erreichbar. Zahlreiche User taten über Soziale Netzwerke ihren Unmut kund. Die türkische Regierung hat in der Vergangenheit viele Male Onlineportale während Demonstrationen oder Anschlägen sperren lassen. Davon waren vor allem Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter betroffen. Dabei kommt es laut Aktivisten auch immer wieder zur Sperrung einzelner Inhalte. So wurde beispielsweise laut Turkey Blocks kürzlich die Instagram-Seite des Bierherstellers Guinness geblockt.

Meiste behördliche Löschanfragen bei Twitter

Laut dem im März erschienenen Transparenzbericht von Twitter führt die Türkei zudem die Statistik über Behördenanfragen zur Löschung von Inhalten an. Die meisten der betroffenen Accounts hätten Terrorpropaganda verbreitet. Das Land stellte auch 77 gerichtliche und andere Anfragen zur Entfernung von Twitter-Botschaften, die von verifizierten Journalisten oder Medien veröffentlicht wurden. In den meisten Fällen sei Twitter den Anträgen nicht gefolgt. Damit kamen 88 Prozent solcher Anfragen aus der Türkei.

Auch Booking.com gesperrt

Erst kürzlich wurde die geringe Scheu vor Internetblockaden in der Türkei auch zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen genutzt. Ende März erwirkte ein Gericht in Istanbul die Einstellung aller Aktivitäten des Hotelbuchungsportals Booking.com in der Türkei. Das Gericht habe die Entscheidung mit „unfairem Wettbewerb“ begründet, teilte die Vereinigung türkischer Reisebüros (TÜRSAB) in einer Erklärung am Mittwoch mit. Diese hatte 2015 geklagt.

Booking.com kündigte rechtliche Schritte gegen den gerichtlich angeordneten Stopp an. Zugleich teilte das Hotelbuchungsportal mit, den Beschluss eines Istanbuler Gerichts bis zum Ausgang des Verfahrens zu respektieren. Die Blockade betrifft nur Buchungen innerhalb der Türkei.

Platz 155 von 180 auf Pressefreiheitindex

Im aktuellen Index der Pressefreiheit schnitt die Türkei angesichts der Repressionswelle nach dem Putschversuch, der Übernahme regierungskritischer Zeitungen und zahlreicher Journalisten in Haft wenig überraschend verheerend ab. In den vergangenen zwölf Jahren ist das Land in der Rangliste um 57 Plätze nach unten gerutscht und belegt jetzt Platz 155 von 180.

Unter dem nach dem Putschversuch ausgerufenen Ausnahmezustand ließ Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mehr als 170 Medien und Verlage schließen. Darunter sind viele regionale und kritische Medien, die über den Kurdenkonflikt im Südosten des Landes berichteten, wie der TV-Sender IMC. Die Konsequenz: Zuverlässige Informationen zu erhalten wird immer schwieriger.

Entwicklung für Kern „wirklich beunruhigend“

Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) hat die Entwicklung in der Türkei als „wirklich beunruhigend“ bezeichnet. Vor Beginn des „Brexit“-Sondergipfels der EU-27 in Brüssel am Samstag sagte Kern auf die Frage nach den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei, die jüngste Festnahme von mehr als 1.100 Polizisten sei „kein gutes Zeichen“.

Die Beziehungen der EU mit der Türkei müssten neu geordnet werden. Aus österreichischer Sicht sei ein Beitritt ja keine realistische Option. Aber man sollte neue Beziehungen mit der Türkei aufbauen. Er habe das seit neun Monaten verlangt. „Wir haben eine Menge Zeit verloren“, und es sei ein guter Zeitpunkt, die Dinge zu beschleunigen. Denn die EU sollte kein instabiles Land mit 80 Millionen Einwohnern in der Nachbarschaft haben.

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