Schwierige Ausgangslage für Opposition
Schon jetzt wird dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan autoritäres Regieren vorgeworfen: Seit dem Putschversuch im Juli 2016 ermöglicht ihm der ausgerufene Ausnahmezustand, auch ohne Zustimmung des Parlaments Dekrete mit Gesetzeskraft zu erlassen. Mit der Zustimmung zum Referendum über eine Verfassungsänderung wird dem Präsidenten noch mehr Macht gegeben. Nur: Dieser Präsident muss erst gewählt werden.
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Freilich spricht vieles dafür, dass Erdogan bei der für November 2019 geplanten Wahl sein Ziel erreicht und dabei nichts dem Zufall überlässt. Als gewählter Präsident wäre er dann auch gleichzeitig Regierungschef. Das Amt des Ministerpräsidenten wird abgeschafft. Die neue Verfassung sieht vor, dass der Präsident für zwei je fünfjährige Amtszeiten gewählt werden kann. Gibt es in der zweiten Amtszeit vorgezogene Neuwahlen, darf der Präsident außerdem ein drittes Mal kandidieren.
Bescheidenes Ergebnis bei Referendum
Kein Wunder also, dass Erdogans Gegner schon von einem Sultanat sprechen. Doch die Wahl muss Erdogan erst gewinnen - und das Ergebnis des Referendums war alles andere als triumphal. Denn selbst mit Repressalien gegen regimekritische Presse und Opposition fiel das Ergebnis mit 51,4 Prozent für das Präsidialsystem mehr als knapp aus. Dass in vielen Städten - allen voran in Ankara und Istanbul - die Mehrheit mit Nein stimmte, ist ein Warnsignal. Bisher konnte Erdogans AKP dort auf satte Mehrheiten bauen.
Entscheidender Faktor Wirtschaft
Vor allem ein Faktor wird bei der kommenden Wahl entscheidend sein: die Entwicklung der türkischen Wirtschaft. Denn der Aufschwung in Erdogans Jahren als Ministerpräsident ab 2003 war es, dem er seine Popularität zu verdanken hat. Doch nun geht es bergab. Die türkische Lira verlor in den vergangenen Jahren fast 50 Prozent ihres Wertes, Ratingagenturen stuften die Kreditwürdigkeit auf Ramschniveau.
Die wichtige Tourismusbranche erlitt nicht erst nach dem Putschversuch, sondern vor allem durch Anschläge der Terrormiliz IS und durch Attacken kurdischer Kämpfer einen Einbruch. Und die autoritären Tendenzen schrecken internationale Investoren ab.
Setzen sich diese Entwicklungen - insbesondere ein Steigen der Arbeitslosigkeit - fort, könnten sie Erdogan in Bedrängnis bringen. Beobachter spekulieren damit, dass der Präsident dann nicht lange zusehen wird, wie seine Chancen schwinden. Erdogan könnte die Wahl vorziehen. Das allerdings könnte ebenfalls als leicht durchschaubares Manöver abgestraft werden.
Farbloser Oppositionsführer
Der Opposition fehlt wiederum eine Führungsfigur, die Erdogan tatsächlich herausfordern kann. Der Chef der kemalistisch-sozialdemokratischen CHP, Kemal Kilicdaroglu, greift Erdogan zwar immer wieder scharf an, hat aber den Ruf, zu nachgiebig und zahm zu sein. Der 68-Jährige ist seit 2010 Chef der größten Oppositionspartei, rasend erfolgreich ist er aber nicht, seine Partei stagnierte bei den vergangenen Wahlen bei einem Viertel der Stimmen. Viele kritisieren, er habe kein Charisma.
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Kilicdaroglu steht seit 2010 an der Spitze der CHP
Seine bedächtige Art lässt ihn zwar klar argumentieren, auf großen Bühnen wirkt er nach Ansicht seiner Kritiker aber verloren. Beobachter meinen, die Strategie der Partei sei, bewusst zurückhaltend zu sein, um nicht ins Fadenkreuz der AKP und Erdogans zu geraten. Auch im Wahlkampf vor dem Referendum wurde ihm vorgeworfen, zu wenig kämpferisch zu sein. Bei den Protesten in Istanbul nach dem Referendum wurde seine Ablöse verlangt. Wie fest er als Parteichef im Sattel sitzt, ist in der türkischen Presse umstritten. Als Nachfolger aufgedrängt hat sich aber bisher kaum jemand.
„Wölfin“ mischt Nationalisten auf
Für Aufsehen sorgte zuletzt Meral Aksener. Die 60-Jährige führte in der rechten Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) einen offenen Aufstand gegen Parteichef Devlet Bahceli an. Bahceli unterstützte überraschend Erdogan beim Referendum, Aksener füllte im Wahlkampf unter dem Slogan „80 Millionen Mal Nein“ Hallen und Plätze im ganzen Land.
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Die mit Henna auf die Handfläche gemalte Flagge wurde ihr Markenzeichen
Aksener ist alles andere als eine Unbekannte. In den 90er Jahren war sie Innenministerin der Türkei. Nachdem ihre Partei des Rechten Weges in der Versenkung verschwand, schloss sie sich der MHP an. Aksener gilt als flammende Rednerin, ihren Spitznamen „Wölfin“ erwarb sie sich in ihrer Zeit als Ministerin mit ihrem harten Kurs gegen kurdische Aufständische.
Keine Konsenskandidatin?
Nun wird spekuliert, ob sie die Partei übernehmen könnte. Als potenzielle Präsidentschaftskandidatin wäre sie für Erdogan insofern gefährlich, als sie durchaus auch im Lager der AKP-Anhänger fischen könnte. Sie als Konsenskandidatin der Opposition zu installieren scheint hingegen schwierig: Das Gros der CHP-Wählerschaft dürfte sie nicht ansprechen. Allerdings hatten sich CHP und MHP schon 2014 auf einen gemeinsamen Kandidaten geeinigt. Der Wissenschaftshistoriker Ekmeleddin Ihsanoglu erreichte 38,3 Prozent - und kandidierte im Jahr darauf für die MHP.
Kurdischer Shootingstar in Haft
Bei der Wahl 2014 ging auch der Stern von Selahattin Demirtas auf. Als Kandidat der prokurdischen HDP trat er erstmals in Erscheinung. Unter seinem Vorsitz entwickelte sich die HDP von einer Interessenvertretung der kurdischen Minderheit zu einem linken und säkularen Sammelbecken. 2015 schaffte er den Einzug der HDP ins Parlament, von einem „türkischer Obama“ war bereits die Rede.
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Demirtas sorgte 2015 dafür, dass die AKK bei der Wahl deutlich verlor
Doch im November des Vorjahres wurde er wie auch die zweite Parteivorsitzende Figen Yüksekdag verhaftet. Er wurde beschuldigt, eine „Terrororganisation zu leiten“, „Propaganda zu verbreiten“ und „zu Hass und Feindschaft“ aufzurufen. Ihm drohen bis zu 142 Jahre Haft. Derzeit sieht es nicht danach aus, als ob er bald freikommt - ein politischer Faktor bleiben er und die HDP dennoch.
Ehemalige Weggefährten auf Abwegen?
Spekulationen gibt es auch, ob jemand aus Erdogans Zirkel die Seite wechselt. Der frühere Staatspräsident Abdullah Gül hat es zum Ärger der AKP-Führung ganz abgelehnt, Werbung für die Verfassungsänderung zu machen. Der Ex-Ministerpräsident Ahmet Davutoglu mied Auftritte und Stellungnahmen ebenso. Davutoglu hatte Erdogan einen Machtkampf geliefert und war daraufhin im Mai 2016 abgelöst worden. Dass einer der beiden tatsächlich auf völligen Konfrontationskurs geht, erwarten Beobachter aber nicht.
Hoffnungsträger Feyzioglu
Bleibt noch Metin Feyzioglu, der derzeit als größter politischer Hoffnungsträger gehandelt wird - obwohl er noch gar kein Politiker ist. Der 47-Jährige ist der Vorsitzende der türkischen Anwaltskammer - und auch in dieser Funktion übte er im Wahlkampf für das Referendum scharfe Kritik an Erdogan. Schon zuvor hatte er dem Präsidenten mehrmals die Stirn geboten.
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Feyzioglu nimmt sich gegenüber Erdogan kein Blatt vor den Mund
Dass Feyzioglu eine Nähe zur CHP nachgesagt wird, kommt nicht von ungefähr: Er ist der Enkel von Turhan Feyzioglu, der - von der CHP kommend - zweimal stellvertretender Ministerpräsident war. Schon 2014 und 2015 gab es nach bescheidenen Wahlergebnissen Gerüchte, Feyzioglu könnte als Quereinsteiger den Chefsessel der CHP übernehmen. Der Jurist zögerte damals noch, den Schritt in die Politik zu wagen. Das könnte sich jetzt ändern.
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