Vom Hörsaal in die Öffentlichkeit
Die zunehmend offensiv agierenden Klimawandelskeptiker und ein allgemeiner Trend zu „alternativen Fakten“ versetzen Forscherinnen und Forscher in Alarmbereitschaft. Beim weltweiten „March for Science“ („Marsch für die Wissenschaft“) gehen sie erstmals gemeinsam auf die Straße.
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„Die Verfälschung und Verleumdung von Tatsachen zu ideologischen Zwecken bedrohen nicht nur die Wissenschaft, sondern die Grundlagen der Demokratie“, heißt es im amerikanischen Aufruf zum „March for Science“, der Samstag in Washington und in 500 anderen Städten weltweit stattfindet. Die Wissenschaften müssten wieder mehr Einfluss auf die öffentliche Meinung gewinnen, fordern die Veranstalter - und wenn sich Medien und Entscheidungsträger in manchen Ländern schon nicht um die Wissenschaft bemühten, müssen die ihre Belange eben selbst an die Öffentlichkeit tragen.
Wissenschaft „ignoriert und kleingeredet“
Jeremy Berg, Chefredakteur des renommierten Fachjournals „Science“ und einer der Unterstützer des Marsches, warnt: Gerade in den USA würden wissenschaftliche Erkenntnisse „ignoriert und kleingeredet“ - unschwer zu erkennen, dass er mit dieser Kritik auf Präsidenten Donald Trump abzielt. Der ließ Ende Jänner alle Informationen zum Klimawandel von den Seiten des Weißen Hauses löschen. Wissenschaftler protestierten, wurden nicht gehört - und begannen, ihrer Wut auf dem Kurznachrichtendienst Twitter Luft zu machen.
In den USA ist die Stimmung ohnehin aufgeheizt: Eine Reihe wissenschaftlicher Institutionen ist durch Trumps im März vorgelegten Haushaltsentwurf von massiven Kürzungen bedroht: So will Trump 31 Prozent des Etats der nationalen Umweltschutzbehörde EPA streichen und ein Viertel ihrer Beschäftigten entlassen. Und auch die Nationalen Gesundheitsinstitute (NIH) sollen sechs Milliarden Dollar (5,6 Milliarden Euro) weniger bekommen.
Die Mittel für Klimaforschung bei der Raumfahrtbehörde NASA und der nationalen Ozean- und Atmosphärenbehörde (NOAA) sollen ebenfalls gestrichen werden. Im Jänner 2017 machte sich Trump aber auch den US-Nationalparkdienst (NPS) zum Gegner, als er ihm einen Maulkorb verpassen wollte: Die Institution, die unvorteilhafte Fotos von Trumps Angelobung auf der National Mall auf Twitter gestellt hatte, schickte kurz darauf - wohl nicht ohne Druck - eine Entschuldigung aus. Frühere Tweets der Organisation, die erschreckende Zahlen zur Klimaerwärmung lieferten, wurden gelöscht.
Aber nicht nur in den USA, auch in der Türkei und in Ungarn sehen sich aktuell Forschungsinstitute und Universitäten Restriktionen ausgesetzt.
Hashtag #MarchForScience
Es ist das erste Mal, dass sich Wissenschaftler weltweit in diesem Ausmaß vernetzen, um gemeinsam auf die Straße zu gehen. Und gerade das Internet, jenes Medium, das nicht ganz unschuldig ist an der „Verfälschung der Tatsachen“, gegen die die Wissenschaftler demonstrieren, erweist sich nun als wichtigstes Werkzeug in ihrem Kampf um mehr Öffentlichkeit: Unter den Hashtags #MarchForScience und #ScienceMarch bündelten die Samstag-Demonstranten ihre Aktionen und spielten sich gegenseitig Plakatmotive und Mottos zu.
Die New Yorker Ärztin Caroline Weinberg ist eine der Initiatorinnen des Marsches: Seit drei Monaten hat sie den Protestmarsch mit Zentrum in der Washington-Mall geplant und koordiniert. Dabei haben sie und ihr Team sich schon relativ früh mit dem Earth Day Network zusammengetan, einem Organisationsteam, das sich für den „Tag der Erde“ bereits die Demonstrationsrechte für die berühmte National Mall gesichert hatte und bereit war, gemeinsame Sache zu machen: Ein Coup für die Wissenschaftler, denn an diesem Ort schreiben US-Bürgerrechtsbewegungen immer wieder Geschichte.
1963 hielt etwa Martin Luther King auf der National Mall seine berühmte „I Have A Dream“-Rede. Im Internet wurde die Mall kürzlich zum Meme, als oben erwähnte Luftaufnahmen von Trumps vergleichsweise mager besuchter Angelobung die Runde machten - während sich bei der Angelobung Obamas dort Massen zu drängen schienen.
Vorbild „Women’s March“
Auch der „Women’s March“ war Ende Jänner an der National Mall entlanggezogen. Damals hatten USA-weit über eine Million Frauen gegen die Amtseinführung Trumps demonstriert - und damit sogar den Aufmarschrekord der Anti-Vietnam-Demos von 1969 gebrochen. Solche Zahlen sind ein Ansporn für das Team um Weinberg: Zwar haben die Wissenschaftler kein so aufsehenerregendes Symbol wie die pinkfarbene „Pussy-Haube“ der Frauenrechtlerinnen. Das Motto „Science, not Silence“ („Wissenschaft statt Schweigen“) klingt allerdings auch nach einprägsamer PR.
In Washington selbst wird die Demonstration mit Teach-ins von Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen starten, später folgen Auftritte prominenter Wissenschaftler wie Lydia Villa-Komaroff, der es gelang, Insulin aus Bakterien zu gewinnen, und Mona Hanna-Attisha, jener Whistleblowerin, die 2014 einen Skandal um bleivergiftetes Trinkwasser öffentlich machte und von den Amerikanern seither liebevoll „Dr. Mona“ genannt wird.
Auch Kritik an „politisierter“ Wissenschaft
Im Vorfeld des Marsches wurden allerdings auch Stimmen laut, die sich gegen eine Politisierung der Wissenschaften aussprachen. Ein Gastautor beklagte etwa im US-Magazin „The New Yorker“, dass die Wissenschaft „inzwischen ebenso fürchterlich politisiert sei wie jeder andere Bereich des amerikanischen Lebens“. Durch den Protest würden sich vorhandene Kluften allenfalls vertiefen.
Der Physiker Sylvester James Gates warnte in einem Bloomberg-Gastkommentar unter dem Titel „Warum einige nicht für die Wissenschaft marschieren“, dass „ein derart politisch aufgeladenes Großereignis die Botschaft aussende, dass auch die Wissenschaftler mittlerweile stärker von Ideologien als von wissenschaftlicher Beweisführung getrieben seien“.
Österreichisches Ministerium unterstützt Marsch
In Österreich hat sich unterdessen das Wissenschaftsministerium selbst mit den Marschierenden solidarisch erklärt. „Die Freiheit der Wissenschaft ist eine elementare Grundlage unserer Demokratie. Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind Orte der kritischen Auseinandersetzung, der Toleranz und des freien Denkens“, wird Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) in einer Aussendung der Allianz österreichischer Wissenschaftsorganisationen zitiert, die den Wiener Marsch ebenfalls unterstützt.
Der Wiener „Science March“ hat am Samstag mit einem Picknick im Sigmund-Freud-Park vor der Votivkirche begonnen und führte durch die Innenstadt zum Abschlussfest auf dem Maria-Theresien-Platz: Das dort befindliche Maria-Theresien-Standbild streckt seine Hand laut einer Anekdote bewusst in Richtung jener Institution aus, die der Herrscherin mehr am Herzen lag. Dem Kunsthistorischen, nicht dem Naturhistorischen Museum.
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