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Vom Linguisten zum USA-Kritiker

Die „New York Times“ nannte ihn einmal den „wichtigsten Intellektuellen der Gegenwart“: 88 Jahre ist Noam Chomsky mittlerweile alt, und noch immer schreibt er unermüdlich, gibt Interviews und hält Vorträge. Nachdem er sich als Sprachwissenschaftler einen Namen gemacht hatte, wurde die Politik sein zentrales Thema: Seit Jahrzehnten gilt er als einer der streitbarsten Kritiker der USA.

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1928 in Philadelphia als Sohn eines jüdischen Gelehrten geboren, studierte er Philosophie und Linguistik an der Universität von Pennsylvania. Nach weiteren Studien in Harvard wechselte er 1961 an das renommierte Massachusetts Institute of Technology (MIT). Seine sprachphilosophischen Theorien waren so revolutionär, dass sie weltweit Aufmerksamkeit erregten und ihn zu einem der bedeutendsten Forscher und meistzitierten lebenden Menschen der Gegenwart machten.

Revolutionär der Sprachwissenschaft

Vor allem durch seine interdisziplinären Arbeiten zwischen Linguistik, Kognitionswissenschaft und Informatik setzte er neue Maßstäbe, seine Kritik am Behaviorismus förderte die durch viele Disziplinen reichende kognitive Wende, was Chomsky in den 1960er und 70er Jahren zu einer ebenso wesentlichen wie streitbaren Figur der wissenschaftlichen Diskussion machte.

Chomsky revolutionierte die Linguistik vor allem mit der noch immer umstrittenen Theorie, dass jeder Mensch eine angeborene Sprachfähigkeit - als eine Art Programm - habe. Demnach wäre Sprache weit weniger vom kulturellen Umfeld wie der Familie und Volksgruppe geprägt, sondern vorgegeben. Seine „Generative Transformationsgrammatik“ wurde nach den Gesetzen der Mathematik und der Logik geschaffen und besteht aus einem komplizierten Formelwerk aus Kürzeln und Gleichungen.

Durch seine Arbeiten an der Formalisierung der Sprache und durch das aus der „Metasprache“ abgeleitete Hierarchiesystem für Grammatiken in der nach ihm benannten Chomsky-Hierarchie legte er den Grundstein für die Entwicklung der Computerlinguistik.

Linker Vordenker

Politisch schwang er sich zum Vordenker unter anderem der Anti-Globalisierungs-Bewegung auf, seit Mitte der 90er Jahre verstärkte er auch sein politisches Engagement und unterstützte immer wieder Aktivistengruppen. Seine politische Haltung verortet er selbst im Anarcho-Syndikalismus oder im libertären Sozialismus.

Nach dem 11. September 2001 blies Chomsky in dasselbe Horn wie viele andere Kritiker der amerikanischen Außenpolitik. Seiner Auslegung nach waren die Terroranschläge auf New York und Washington eine unvermeidliche Antwort der Dritten Welt auf die Ausbeutung und Unterdrückung durch die USA.

Kritik am US-Imperialismus

Aus Chomskys Sicht kämpft Washington seit Jahrzehnten hemmungslos um die uneingeschränkte Weltherrschaft. Auch Barack Obama sah Chomsky in der Reihe der US-Präsidenten nicht als Ausnahme. Dass der mächtigste Staat der Welt vor nichts zurückschrecke, um seine Dominanz zu festigen, habe sich unter anderem im Irak gezeigt, sagt Chomsky. Dass es im Nahost-Konflikt immer weniger Aussicht auf die angepeilte Zweistaatenlösung gebe, kreidet er ebenfalls den USA an. Mit Hilfe von Washington dehne sich Israel systematisch auf palästinensisches Gebiet aus. Für seine Anti-Israel-Haltung erntet Chomsky regemäßig scharfe Kritik.

Medien als Schalthebel der Mächtigen

Auch seine Medienkritik ist umstritten: Medien sieht er in erster Linie als Instrumente des Kapitals und der herrschenden politischen Klasse: Sein Propagandamodell der Kommunikation liefert vom Ansatz brauchbare Analysen. So argumentierte Chomsky, dass der Völkermord in Osttimor durch die indonesische Besetzung in den 70er Jahre im Westen praktisch unerwähnt blieb, während die Gräueltaten in Kambodscha breit berichtet wurden. Der Unterschied: Indonesien war damals Verbündeter der USA, in Kambodscha regierten die maoistisch-nationalistischen Roten Khmer. Allerdings öffnet seine Medienkritik auch Tür und Tor für Verschwörungstheorien.

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