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Videospielgeschichte zum Anfassen

Ein eigenes Computerspielmuseum in Österreich: Das ist die „große Vision“ von Sammler Andranik Ghalustians. Mit Tausenden Spielen sowie unzähligen Konsolen und Fernsehgeräten deckt sein Fundus ein knappes halbes Jahrhundert Spielegeschichte ab.

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Andranik Ghalustians, in der Sammlerszene als „Nik“ bekannt, teilt seinen Geburtstag mit dem des Videospielpioniers Atari. Im Juni 1972 gegründet, zeichnet der ehemalige amerikanische Spielegigant unter anderem für den Klassiker „Pong“ verantwortlich. Zwei Paddel und ein Ball - Tennis aus der Vogelperspektive: Der Spielautomat begründete eine ganze Ära und legte den Grundstein für die heutige Milliardenindustrie, deren Umsätze selbst Hollywood in den Schatten stellen.

Sein Geburtsdatum ist für Ghalustians bloß eine Anekdote, doch schon beim Betreten seiner Altbauwohnung in Wien wird offensichtlich, dass - Zufall oder nicht - Spiele eine ganz besondere Rolle im Leben des studierten Politikwissenschaftlers einnehmen. Statt Porzellan sind Spielmodule und Konsolen in der Vitrine ausgestellt, dem Fernseher steht ein Spielautomat gegenüber, die Retrovorliebe wird durch 70er-Jahre-Mobiliar unterstrichen.

Spielesammlung von Andranik Ghalustians

ORF.at/Lukas Krummholz

Kein gewöhnliches Wohnzimmer: In Andranik Ghalustians’ Wohnung stehen zahlreiche Spielautomaten und Konsolen. Dabei ist Anfassen ausdrücklich erlaubt.

Auf der Suche nach dem geeigneten Ort

Ghalustians Sammlung umfasst nach eigener Schätzung rund 40.000 Titel und deckt die gesamte Videospielgeschichte ab, von den Spielautomatenanfängen bis hin zur aktuellen Konsolengeneration und Virtual-Reality-Headsets - nicht alles findet dabei Platz in seiner Wohnung. „Fast 70 verschiedene Computer, die voll funktionstüchtig sind“, zählt er auf, „an die 100 Röhren- und Studiomonitore“, um riesige Ausstellungen zu bestücken: „Nik“ ist kein gewöhnlicher Privatsammler.

Ziel sei es, eine dauerhafte Ausstellungsfläche für seine Sammlung zu finden, ein eigenes Computerspielmuseum - wie in Berlin oder Paris. Immer wieder stellt er seine Geräte und sein Wissen für Ausstellungen zur Verfügung, zuletzt im Lignorama in Riedau, wo unter dem Titel „Computerspiele einst und jetzt“ auf ein halbes Jahrhundert Computerspielgeschichte zurückgeblickt wurde. Das Interesse ist jedenfalls gegeben, wie auch der Andrang bei seinen Vorträgen, etwa auf der Vienna Comic Con, bestätigt.

Dabei ist die Zielgruppe breit gefächert, auch viele jüngere Spieler interessieren sich heute für die Gaming-Vergangenheit. Das war in der noch recht jungen Geschichte des Mediums nicht immer so: Erst in den 90ern wurde „Retro“ zunehmend zum Thema. Bis heute bestimmt der Blick nach vorne auf neue Technologien die Spielebegeisterung, doch vor allem in den vergangenen Jahren entwickelte sich eine eigene Retroästhetik, die ganz bewusst auf die Anfänge zurückgreift und ihre Vorfahren hochleben lässt.

Wettlauf gegen die Zeit

Der Trend entgeht auch den großen Entwicklern und Verlegern nicht. Spielegigant Nintendo veröffentlichte zum Weihnachtsgeschäft eine Neuauflage seiner ersten Spielkonsole, die „NES Classic Edition“, die seither konstant ausverkauft ist. Dass die größten Namen in der Branche „Retro“ als großes Geschäft für sich entdecken, die Archivierung von Computerspielen somit auch kommerziell interessant wird, könnte vor allem in Zukunft zu einem wichtigen Faktor in der Bewahrung der Spielegeschichte werden.

Andranik Ghalustians

ORF.at/Lukas Krummholz

Im „Hauptraum“ finden sich noch mehr Geräte, Platinen und zahlreiche Gaming-Andenken, die heute nur noch schwer zu beschaffen wären - Ghalustians sammelt bereits seit den frühen 90ern

Denn Sammler wie Nik Ghalustians kämpfen gleich an mehreren Enden gegen die Zeit. Alte Spiele könnten bald gänzlich verschwinden: Magnetbänder, wie sie in Disketten und Kassetten verwendet wurden, haben ein Ablaufdatum, das zum Teil schon deutlich überschritten wurde. Genauso sind Platinen, wie sie in Konsolen und den entsprechenden Spielen enthalten sind, nicht ewig haltbar.

Streaming-Trend als Hindernis

Doch auch die Gaming-Zukunft stellt die Sammlerszene vor neue Herausforderungen: Schon heute gibt es zahlreiche Spiele, die auf Server im Internet angewiesen sind. Beschließt ein Hersteller, dass ein Titel nicht mehr lukrativ ist, werden die entsprechenden Server abgeschaltet - das Spiel kann nicht mehr gespielt werden. Damit besteht allerdings auch die Gefahr, dass es zur Gänze aus der Geschichtsschreibung verschwindet.

Ghalustians bezeichnet es als einen „donquijotischen Kampf“, denn der Trend zum Spiel als „Service“, das ganz ohne Datenträger auskommt, scheint nicht aufzuhalten zu sein. Damit geht nicht zuletzt ein haptisches Erlebnis verloren, das der Sammler mit dem Unterschied von Buch und E-Book gleichsetzt: In Ghalustians Sammlung befindet sich nicht alleine die Software, sondern Verpackungen, Anleitungen und nicht zuletzt persönliche Erinnerungen, wie etwa handgezeichnete Landkarten, die Einblick in den unterschiedlichen Umgang mit dem Medium gewähren.

Keine Ein-Spieler-Sammlung

Auf die Frage, ob ihm noch etwas in seiner Sammlung fehlt, zählt Ghalustians einige Spielautomaten auf - es mangle nicht am Geld, sondern eher am Platz. „Sinn“ ergebe das nur, wenn diese fix aufgestellt werden könnten - das sei gekoppelt daran, dass „dieses Museumsprojekt Wirklichkeit wird“. Sonst hätte er in erster Linie gerne mehr Zeit, sich mit den Spielen, die er besitzt, auch auseinandersetzen zu können - denn wirklich gespielt hat er nur die wenigsten.

Einmal wöchentlich veranstaltet er in seiner Wohnung ein „Arcade-Treffen“, bei dem Ghalustians’ Spielautomaten ausprobiert werden können. In einem alten Kassabuch seines Großvaters werden High-Scores aufgezeichnet, er selbst nützt die Gelegenheit auch zum Netzwerken mit Vertretern der Branche.

Vielleicht findet sich auf diesem Weg doch jemand, der ihn bei der Umsetzung seiner Museumsvision mit einem geeigneten Platz unterstützt - wenn nicht, müsse „man sich tatsächlich auch überlegen“, ob die Sammlung „nicht wieder stark reduziert“ werde. „Als Privatperson hast du ja nichts davon“, so das nüchterne Resümee eines leidenschaftlichen Fans, der 44 Jahre Computerspielgeschichte nicht nur für sich behalten will.

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