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„Weniger dramatisch als kolportiert“

Das Institut für Höhere Studien (IHS) hat im Auftrag des Sozialministeriums die Effekte der Digitalisierung, Automatisierung und Industrie 4.0 auf den österreichischen Arbeitsmarkt und die einzelnen Berufsgruppen untersucht. Eine am Mittwoch präsentierte Studie sieht die Auswirkungen als „weniger dramatisch als kolportiert.“

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Vor vier Jahren hatte eine Studie der Universität Oxford Alarm geschlagen: In den USA seien 47 Prozent der Arbeitsplätze durch „künstliche Intelligenz“ bedroht, hieß es damals. Oder anders gesagt: Innerhalb der nächsten zehn bis 20 Jahre könnte dort jeder Zweite seinen Job an einen Computer verlieren. Das Gespenst der vierten Industriellen Revolution machte medial die Runde.

IHS-Studie vergleichsweise optimistisch

Die Studie des IHS liefert nun erstmals Vergleichsdaten für den heimischen Arbeitsmarkt - und wirkt dabei geradezu optimistisch: Neun Prozent der Arbeitsplätze - das entspricht 360.000 Stellen - seien durch Digitalisierung gefährdet.

Und: Ein Teil davon könne wiederum durch die Schaffung neuer Jobs im Zuge der Digitalisierung, etwa in der Entwicklung neuer Technologien, kompensiert werden. Das überraschende Ergebnis des IHS: An der Gesamtbeschäftigung werde sich durch die Digitalisierung unter dem Strich wenig ändern.

IHS-Chef Martin Kocher

APA/Helmut Fohringer

Ökonom Martin Kocher leitet das IHS seit September 2016

Jobverlust droht vor allem Hilfsarbeitern

Von einem mittelfristigen Jobverlust bedroht sind laut IHS-Schätzung vor allem Arbeitnehmer, die lediglich über einen Pflichtschulabschluss verfügen: Die Jobs von Hilfsarbeitern und Handwerkern machen rund 50 Prozent der gefährdeten Stellen aus. Durch die Digitalisierung und Automatisierung wird also der Druck auf Arbeitskräfte mit geringer Ausbildung weiter steigen - in Österreich lag die Arbeitslosenquote von Pflichtschulabsolventen zuletzt bereits bei 28 Prozent.

Ihren Job an Automaten verlieren könnten zudem etwa 19 Prozent der Handwerker, 18 Prozent der Maschinenbediener und elf Prozent der Beschäftigten in Dienstleistungsberufen. Eine geringe Automatisierungswahrscheinlichkeit prognostiziert das IHS dagegen bei Führungskräften, akademischen Berufen und Technikern.

Durch Digitalisierung mittelfristig gefährdete Arbeitsplätze in Österreich, gesamt und nach Berufsgruppen

Grafik: ORF.at; Quelle: APA/IHS

„Entwarnung kann vor allem für Berufe, in denen Kreativität, soziale Intelligenz und Flexibilität gefragt sind, gegeben werden. Diese Tätigkeiten sind so gut wie gar nicht durch die Digitalisierung betroffen“, erklärte Studienmitautorin Gerlinde Titelbach auf einer Pressekonferenz am Mittwoch.

Digitale Bildung ist Trumpf

Als Resümee der Studie, die im Auftrag des Sozialministeriums entstand, formulierte IHS-Leiter Martin Kocher entsprechend: Die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt seien „weniger dramatisch als kolportiert“, dennoch machten sie „Investitionen in ein die Digitalisierung in Österreich antizipierendes Bildungssystem“ notwendig, dann könne es sogar gelingen, zusätzliche Jobs in Zukunftsbereichen zu schaffen. Diese Forderung korrespondiert mit Bundeskanzler Christian Kerns (SPÖ) „Plan A“, der Gratistablets und Laptops für Österreichs Schulkinder vorsieht, um „die digitalen Kompetenzen der Jugend für den Arbeitsmarkt zu stärken“.

Die grundlegend verschiedenen Studienergebnisse der IHS-Studie und jener aus Oxford erklärte Kocher damit, dass die IHS-Autoren - Titelbach, Katarina Volkova und Wolfgang Nagl - „mehrere Dimensionen und Parameter bei der Bewertung der Automatisierbarkeit von Berufen“ mit einbezogen hätten. Erst wenn mehr als 70 Prozent der Prozesse maschinell ersetzbar gewesen seien, habe man Jobs als „mittelfristig gefährdet“ eingestuft.

„Pi-mal-Daumen-Studie“ aus Oxford

Die viel diskutierte Oxford-Studie von Carl Benedict Frey und Michael A. Osborne, die die deutsche „Zeit“ kürzlich als „Pi-mal-Daumen-Studie“ titulierte, bezog ihre Ergebnisse dagegen weniger auf konkrete statistische Untersuchungen als vielmehr auf Diskussionen mit Experten und anschließende Hochrechnungen.

Zumindest hinsichtlich der Arbeitsbereiche, die von der Digitalisierung bedroht sind, kamen Frey und Osborne zu ähnlichen Ergebnissen wie die Autoren des IHS: Wer im Sektor Management und Finanzen oder Gesundheit, Ingenieurswesen und Wissenschaft beschäftigt sei, müsse sich kaum vor einem Jobverlust fürchten. Von der Automatisierung bedroht seien dagegen auch zukünftig Jobs im Service-Sektor, im Bereich Verkauf, Transport und Administration.

Deutsche Studie stützt Ergebnis des IHS

Zu einem ähnlichen Prozentergebnis wie die Forscher vom IHS kam dagegen Mitte 2016 eine Studie des deutschen ZEW-Instituts, die die Arbeitsmarktentwicklung in den OECD-Ländern (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) untersuchte: Zwölf Prozent der österreichischen Jobs sehen die deutschen Kollegen von der weiteren Automatisierung gefährdet, doppelt so viele wie etwa in Südkorea. Österreich ist laut OECD-Studie besonders stark betroffen, weil hierzulande zahlreiche niedrig und mittel qualifizierte Arbeitskräfte Tätigkeiten durchführen, die leicht zu automatisieren sind.

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