Vertrauenszirkel Elternschaft
Mit Kindern freiberuflich zu arbeiten hört sich zwar flexibel an, gestaltet sich in der Praxis jedoch oft schwierig. In Deutschland gibt es einige Coworking-Spaces, in denen Eltern in Ruhe arbeiten können und dabei in der Nähe ihres Nachwuchses sind. Hierzulande waren entsprechende Versuche bisher nicht lang erfolgreich.
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Für Selbstständige, die daheim hauptsächlich prokrastinieren statt konzentriert zu arbeiten, gibt es Coworking-Spaces zuhauf. Büroräume oder lediglich Schreibtische, die pauschal tage- oder monatsweise angemietet werden können und einladen, produktiv zu sein. Denn nicht immer ist der Schreibtisch im Eigenheim eine Oase der Ruhe, vor allem nicht mit Kleinkindern. Diese können kaum unbeaufsichtigt gelassen werden und den Lärmpegel zusätzlich deutlich in die Höhe treiben.
Gemeinschaftsbüros mit Kinderbetreuung
Für genau diese Aufgabenstellung wären Coworking-Spaces, in denen Mütter und Väter einen ruhigen Arbeitsplatz haben und ihre Kinder gleichzeitig unter Aufsicht stellen können, eine optimale Lösung - vor allem wenn sie ihre Kleinkinder nicht in die Krippe, die Kindergruppe oder den Kindergarten geben können oder wollen. In Deutschland gibt es mittlerweile 19 solcher Gemeinschaftsbüros, wo Kinder zwischen null und drei Jahren nicht nur toleriert werden, sondern sogar Voraussetzung sind.
Johanna Gundermann, Gründerin von Rockzipfel in Leipzig, einem der ersten Eltern-Kind-Büros in Deutschland, weiß aus Erfahrung, dass die Umsetzung eines solchen Konzeptes nicht so einfach ist. „Das Rockzipfel-Eltern-Kind-Büro in Leipzig gibt es schon seit 2010“, erklärt Gundermann im Gespräch mit ORF.at. Ungefähr drei Jahre dauerte es von der ersten Idee bis zur endgültigen Umsetzung. Auch weil sich die ersten Anläufe mit unterschiedlichen Elterngruppen immer wieder auflösten.
Von Eltern für Eltern mit hartem Auswahlverfahren
„Dann habe ich es alleine gemacht“, sagt die dreifache Mutter im Interview. Dabei habe sie Glück gehabt und einen sehr günstigen Ort für ihr Büro gefunden. Ursprünglich sah Rockzipfel vor, dass die Eltern ihre Kinder selbst betreuen. Nun haben freiwillige Helfer ein Auge auf die Kinder. In anderen Coworking-Spaces hingegen klappt die Betreuung durch die Eltern ganz gut.
Denn viele Mütter und Väter gäben ihre Kinder ungerne an „unausgebildete“ Hände an. Warum es in Leipzig ohne ausgebildete Fachkräfte funktioniert? „Wenn Vertrauen in der Gruppe herrscht, dann haben die Eltern kein Problem damit, dass die Betreuer und Betreuerinnen keine ausgebildeten Fachkräfte sind“, so die Gründerin. Die Basis dafür wird in einer ausgedehnten Kennenlernphase geschaffen, in der „,alte‘ ,neuen‘ Eltern gegenüber ein Vetorecht haben. „So wird im Vornherein ausgeschlossen, dass Leute, die nicht zusammenpassen, zusammenkommen.“
Fremdbetreuung mit pädagogischem Mehrwert
Auf eine Betreuung mit pädagogischem Mehrwert hingegen wird im Coworking Toddler in Berlin unter dem Motto der „Vereinbarkeit“ besonderen Wert gelegt. Dort gibt es eine angrenzende Kindertagesstätte mit staatlich geprüften Erziehern. Damit schuf man quasi eine Art Betriebskindergarten für Freiberufler. Laut der Homepage sind alle Betreuungs- und Coworking-Plätze dort derzeit ausgebucht.
Projekte in Österreich gescheitert
Die Nachfrage scheint zu bestehen. Auch in Österreich gab es Versuche, solche Gemeinschaftsbüros auf die Beine zu stellen. Das Eltern-Kind-Büro und die Coworkid-Initiative waren beide in Wien angesiedelt und wollten Arbeitsstationen mit einer professionell geführten Kindergruppe bieten. Das Eltern-Kind-Büro musste - trotz zweijähriger Vorlaufphase - schließen. Das Coworkid im L’Office schaffte nicht einmal den Startschuss.
Auch in Salzburg gab es einen Versuch, Arbeitsräume für Eltern mit Kindern zu schaffen. „Eine Zeit lang hat es gut funktioniert“, erzählt Katrin Gerschpacher, Gründerin von Cowork and Baby in Salzburg. Im Jänner 2016 gestartet, übernahm sie das Modell der ersten „Betriebstagesmütter“, die in Salzburger Unternehmen eingesetzt wurden, um Kinder in Kleingruppen unmittelbar am Arbeitsplatz zu betreuen – mehr dazu in salzburg.ORF.at. Trotz dieser Option musste Gerschpacher bereits im November des gleichen Jahres wieder aufgeben.
Kosten zu hoch
Für Gerschpacher war die Idee einer Tagesmutter eine gute Lösung, denn vorrangig ging es darum, Eltern einen ruhigen Arbeitsraum zu bieten. Dafür mussten aber separate Räumlichkeiten angemietet werden, die die Kosten zusätzlich in die Höhe trieben. Auch die Tagesmutter wurde auf Dauer zu teuer, denn diese musste für mindestens drei Tage für je fünf Stunden wöchentlich angestellt und auch bezahlt werden, egal, ob Eltern da waren oder nicht.
„Insgesamt durften die Betreuungskosten im Eltern-Kind-Büro nicht übertrieben hoch sein“, so Gerschpacher, die damals den Preis bei 30 Euro für einen Coworking-Arbeitsplatz inklusive Kinderbetreuung für einen halben Tag ansetzte. Aber Räumlichkeiten, Betreuungspersonen und Leerläufe sprengten schließlich das Budget.
Neue Betreuungsmodelle für neue Lebensmodelle
Für Gundermann wäre die Integration einer Kindertagesstätte im Rockzipfel Leipzig, den sie ganz alleine auf die Beine stellte, im Vorhinein zu aufwendig gewesen. Außerdem sei sie von Fremdbetreuung nicht unbedingt begeistert. „Ich finde es schöner und besser, wenn Eltern die Kinder in den wichtigen Anfangsjahren noch begleiten können.“ Vor allem aber wollte sie beweisen, dass es auch anders geht. Gundermann will die Betreuungslandschaft in Deutschland ergänzen und aufweichen. „Wir brauchen mehr als die Standardbetreuung, wir brauchen verschiedene Modelle, für die vielen verschiedenen Lebensmodelle, die es heutzutage gibt.“
Ihrer Meinung nach sollte Familie und Beruf noch intensiver miteinander vereinbart werden können: Kindergärten, die mit Schreibtischen und Internet ausgestattet sind, Tagesmütter, die sich auf Freiberufler spezialisieren, Großraumbüros, die selbstverständlich ein Eltern-Kind-Büro integrieren.
Meist nur ehrenamtlich möglich
Kleinen Initiativen mangle es jedoch an finanzieller Unterstützung, und die Städte förderten solche Projekte nicht, beklagt Gundermann. Auch Gerschpacher glaubt, dass die Stadt gebührenfrei Räumlichkeiten zur Verfügung stellen sollte, denn es sei ohnehin ihre Aufgabe, genügend Kinderbetreuungsplätze einzurichten. Hier könne man sich demnach in der Mitte treffen.
Um ihren Coworking-Space zu erhalten, müssen die Betreiber die Kosten niedrig halten, sonst sind normale Kindergartenplätze für die Eltern attraktiver. Aus diesem Grund arbeiten Gundermann und die freiwilligen Helfer zurzeit ehrenamtlich, weil „wir schlicht finden, dass es für Kinder doch so wichtig ist, bei ihren Eltern aufwachsen zu können“.
Links:
Yasmin Szaraniec, für ORF.at