Dealmaker-Image beschädigt
Seine eigenen Leute haben US-Präsident Donald Trump, der wenig Sinn für die Funktionsweise von Politik hat, eine harte Lektion erteilt: Politische Deals zu schließen erfordert andere Qualitäten und anderes Vorgehen, als es Trump aus seiner Zeit als Immobilientycoon kennt. Dass Trump gleich mit seinem ersten großen gesetzgeberischen Projekt scheiterte, könnte weitreichende Folgen haben.
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Mehrere US-Medien spekulierten jedenfalls am Wochenende bereits, dass diese Niederlage eine Abwärtsspirale für Trump und seine Republikaner auslösen könnte. Die Auslöschung von „Obamacare“, der Gesundheitsreform seines Amtsvorgängers Barack Obama, war ein Prestigeprojekt Trumps und der gesamten Republikanischen Partei, allen voran des Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, Paul Ryan.
Die Republikaner hatten die von Trump maßgeblich gestützte Gesetzesvorlage am Freitag kurz vor der Abstimmung im Repräsentantenhaus zurückgezogen, weil keine Mehrheit in der eigenen Partei absehbar war. Damit nahm der Vorschlag nicht einmal die erste wichtige parlamentarische Hürde.
Nicht nur Imageschaden?
Das Scheitern habe gezeigt, dass der Geschäftsmann Trump weit von dem von ihm versprochenen „tollen Deal“ entfernt war, schrieb das Magazin „Politico“. Trump stehe nach seiner ersten Konfrontation im Kongress „besiegt, ausgebremst und mit leeren Händen“ da. Der „Dealmaker Trump“ sei völlig ineffizient gewesen, schrieb auch die „New York Times“ in einem Kommentar.

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Paul Ryan ist mit dem erzwungenen Rückzieher mindestens ebenso angeschlagen wie Trump
Der Fehlschlag sei selbst verursacht, urteilte „USA Today“. Die Frage sei nun, ob die Republikaner sich davon erholen werden - allerdings stünden die Zeichen dafür schlecht, denn eine solche Niederlage führe in der Politik meist zu mehr Dissens und Misstrauen. Nach dem Scheitern seiner Reformpläne will Trump die Steuerpolitik als nächstes großes politisches Projekt angehen. Dazu kommt ein geplantes Infrastrukturpaket in Höhe von einer Billion Dollar. Vor allem bei Letzterem muss Trump wieder mit großem Widerstand aus den eigenen Reihen rechnen.
Der lange Schatten der Niederlage
Die Niederlage mit „Trumpcare“ schwächt Trump und Ryan nicht nur auf der politisch-taktischen Ebene. Laut einem Kommentar in der „Washington Post“, sollte der Beschluss von „Trumpcare“ auch die versprochenen milliardenschweren Steuernachlässe für Reiche erleichtern.
Denn mit den rechnerischen Budgetentlastungen durch die Abschaffung von „Obamacare“ wäre der nötige finanzielle Spielraum entstanden, um das Entlastungspaket für Wohlhabende im Haushalt leichter unterzubringen. Damit seien zwei weitere zentrale Wahlversprechen - Steuerentlastung und Infrastrukturpaket - nicht nur politisch, sondern auch budgetär schwerer umsetzbar geworden.
Trump auf Demokraten angewiesen
Ein neuer Anlauf der Republikaner bei der Gesundheitsreform scheint vorerst unwahrscheinlich. „Wir müssen auf absehbare Zukunft mit ‚Obamacare‘ leben“, sagte Ryan noch am Freitag. Trump lud die oppositionellen Demokraten, denen er zugleich die Schuld am Scheitern in die Schuhe zu schieben versuchte, zur Mitarbeit ein. „Ein parteiübergreifendes Gesetz wäre ein großer Fortschritt“, sagte er im Weißen Haus. Dabei könnte es sich dann um die Modifizierung des seit sieben Jahren bestehenden „Affordable Care Act“ handeln, das nach seinem Schöpfer als „Obamacare“ bezeichnet wird.
Am Samstag versprach Trump via Twitter, dass „Obamacare“ ersetzt werde. Doch vorher müsse man dieses System „explodieren“ lassen. Dann, so das Kalkül Trumps, würden die Demokraten neuen Verhandlungen zustimmen. Weil in der eigenen Partei die Widerstände von verschiedenen Seiten zu groß sind, braucht Trump auch Stimmen der Demokraten - trotz komfortabler Mehrheit seiner Republikanischen Partei.

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Nancy Pelosi und ihre demokratischen Kolleginnen und Kollegen jubeln. Sie hatten das Geschehen von der politischen Seitenlinie aus beobachten müssen.
Demokraten freuen sich
Viele Abgeordnete aus dem konservativen Lager, aber auch moderate Republikaner wollten nicht mit ihrem Präsidenten stimmen. Der Gesetzesentwurf wurde von gemäßigten Republikanern als zu drastisch und vom rechten Flügel als zu wenig weitgehend abgelehnt. Die Oppositionschefin im Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi, bezeichnete den Freitag dagegen als „großen Tag für das amerikanische Volk“. Aus Sicht der Opposition hätte die Abschaffung von „Obamacare“ zu mehr sozialer Ungerechtigkeit geführt.
Vorausgegangen war ein tagelanger Politkrimi, bei dem Trump in vielen persönlichen Gesprächen versucht hatte, parteiinterne Kritiker umzustimmen. Nach Angaben seines Sprechers Sean Spicer hatte er bis spät am Abend 120 Einzelgespräche mit Parlamentariern geführt.
Erste Bewährungsprobe ging schief
Die Abstimmung hatte als erste große Bewährungsprobe für die Frage gegolten, ob Trump in der Lage sei, schwierige politische Projekte im Parlament durchzusetzen. Während der ersten beiden Monate seiner Regierungszeit hatte er vor allem Dekrete erlassen, die keine parlamentarische Debatte erfordern. Dabei war er allerdings in der Frage der Beschränkung der Einreisen aus überwiegend muslimischen Ländern von Richtern ausgebremst worden.
Selbstbewusste rechte Fraktion
Nach dem gescheiterten Umbau des US-Gesundheitswesens wenden sich die Republikaner nun einer umfassenden Steuerreform als nächstem Großprojekt zu. Noch am Freitag kündigte der Vorsitzende des Steuerausschusses im Repräsentantenhaus, Kevin Brady, erste Schritte im Frühling an. Die auch von Trump geforderte Reform solle dann vor der Sommerpause Ende Juli verabschiedet werden. Finanzminister Steven Mnuchin sagte, eine Steuerreform sei in mehreren Punkten viel einfacher als eine Gesundheitsreform.
Doch der parteiinterne rechte Flügel im Kongress, der Freedom Caucus, könnte auch hier auf die Bremse steigen, sollte der Vorschlag nicht weitreichend genug sein. Diese Gruppierung trat bereits bei „Trumpcare“ mehr als selbstbewusst in Erscheinung und brachte das Projekt zu Fall - obwohl die Partei seit sieben Jahren „Obamacare“ abschaffen will. Die Argumentation widerspricht diametral jener ihrer parteiinternen Kritiker: Während diese betonen, mit dem Aus für „Trumpcare“ sei die republikanische Agenda schwer beschädigt worden, betonten Mitglieder des „Freedom Caucus“ am Samstag: Sie hätten mit ihrem sturen Nein Trump die Mehrheit im Kongress auch für die Zeit nach der Kongress-Zwischenwahl im nächsten Jahr gesichert.
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